# taz.de -- Dokureihe über elektronische Clubmusik: „Tanz dich frei“
       
       > Die ARD-Doku „Techno House Deutschland“ erzählt solide von elektronischer
       > Clubmusik. Doch Neues erfährt man dabei kaum.
       
 (IMG) Bild: Seit 1999 ein DJ-Duo: Lexy und K-Paul
       
       Wie das Lebensgefühl in den frühen Jahren von House [1][und Techno] war?
       Darauf haben die Protagonist:innen der achtteiligen Reihe „Techno House
       Deutschland“ ähnlich gelagerte Antworten. „Es ging eigentlich nur ums
       Tanzen. Tanzen, tanzen, tanzen“, sagt Klaus Stockhausen, einst bekannter DJ
       des Clubs Front in Hamburg. „Alles, was neu und frisch war, wurde
       eingeatmet und ausgetanzt.“ Der [2][Frankfurter Star-DJ Sven Väth] spricht
       hingegen von Räumen, „wo man sich entfalten kann und den Alltag hinter sich
       lässt“. Die Türsteherin Iris Harder – ebenfalls aus Frankfurt/Main – bringt
       es auf die 6-Worte-Formel: „Tanz dich frei, lass alles raus“.
       
       Um Befreiung ging es ganz wesentlich, als die elektronischen Musikstile in
       den Achtzigern und Neunzigern aus Detroit und Chicago nach Deutschland
       schwappten und zu großen (sub-)kulturellen Phänomenen wurden. Befreiung von
       der DDR-Diktatur, Befreiung von der BRD-Disziplinargesellschaft. Derzeit
       findet eine neue Welle der Historisierung und Musealisierung dieser Epoche
       statt: im April eröffnete das Museum of Modern Electronic Music (MOMEM) in
       Frankfurt am Main, in diesen Tagen erscheint mit „Trance“ von Leonhard
       Hieronymi ein Buch, das sich der Main-Szene widmet, und in der ARD startet
       eingangs erwähnte Dokumentation.
       
       Die Koproduktion von HR, RBB, SWR und MDR setzt auf das
       Standard-Oral-History-Format, bei dem DJs, Veranstalter:innen und
       andere Szenemenschen berichten, während historisches und aktuelles Material
       aus den Clubs eingeblendet wird. Die ersten vier Teile behandeln die Szenen
       in Frankfurt, Berlin, Hamburg und München von damals bis heute. Zwei
       Episoden sind der Club- und Festivallandschaft im Osten der Nachwendezeit
       gewidmet, zwei weitere dem Festival Nature One im Hunsrück.
       
       Die ersten vier Episoden sind kulturelles Bildungsfernsehen im besten
       Sinne. Sehr vollständig wird erzählt, wie die elektronische Musik nach
       Deutschland kam, wie sie über Frankfurt und Berlin zum Massenphänomen wurde
       und was in der Rückschau fragwürdig wirkt (zum Beispiel, dass es fast eine
       reine Männerkultur war).
       
       Dazu werden Pioniere wie Alan D. Oldham (DJ T-1000) oder der
       DJ/Label-/Clubbetreiber Ata interviewt, weibliche DJs wie Monika Kruse,
       Ipek und Anja Schneider kommen zu Wort, während die jüngere Generation
       (Franziska Berns, Jakojako) erzählt, wie sie die damalige Zeit geprägt hat.
       Auch im Techno komme der alte Sound zurück, meint Alan D. Oldham: „Viele
       der jungen Talente sind zu jung für die 90er, sie machen ihre eigenen
       90er.“
       
       Die vier Teile kommen nicht ohne Auslassungen aus. So spielt etwa der
       [3][tiefste Underground Berlins] eher keine Rolle, auch die Kölner Szene
       kommt etwas zu kurz – es wird von weitgehend bekannten Phänomenen erzählt.
       Dafür arbeiten die Autor:innen fast pflichtbewusst verschiedene Aspekte
       ab: die schwarzen und queeren Wurzeln des Techno, die Kommerzialisierung,
       feministische Ansätze, den Techno-Jetset, die Situation nach der Pandemie.
       Nur filmisch ist der ständige Wechsel zwischen den O-Tönen der
       Protagonist:innen und den Dancefloorszenen recht monoton (die
       Settings gleichen sich sehr oft). Insgesamt bieten diese Episoden einen
       guten Überblick.
       
       Dagegen fallen die vier anderen Teile etwas ab. Auch über Techno im Osten
       lernt man sehr viel, alle relevanten Clubs und Festivals der Nachwendezeit
       kommen vor. Die inflationär verwendeten Stimmen der Protagonist:innen
       bieten allerdings nicht viel Mehrwert, es bleibt nur hängen, dass es eine
       geile Zeit war, in der es eben viele Freiräume gab. Zum Teil porträtieren
       die Autor:innen eher die Protagonist:innen und ihre Familien
       (inklusive Kitschfaktor) – was aber sozial, politisch und gesellschaftlich
       passiert ist, fangen sie nicht ein.
       
       In den letzten beiden Teilen zum Nature-One-Festival fragt man sich, warum
       dieses Festival – das fraglos als großes Massenevent relevant ist – derart
       stark gewichtet wird. Da wirkt die Reihe zusammengeschustert. Sich dem
       Thema ein weiteres Mal zu widmen, ist in Ordnung – zwar scheinen die 90er
       in Berlin dann doch mal langsam auserzählt, aber das trifft eben auf andere
       lokale Szenen nicht zu. Schade ist, dass es so wenig überraschende
       Seitenpfade in der Reihe gibt und sie so konventionell erzählt wird.
       
       Neue Standards in der Historisierung von Techno und House setzt sie nicht –
       für Nachgeborene, die die Geschichte der Clubkultur kennenlernen wollen,
       eignet sie sich trotzdem.
       
       29 Jul 2022
       
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