# taz.de -- Jahresbericht von NGO: Täglich gewaltsame Pushbacks
       
       > Die NGO Mare Liberum beobachtet seit Jahren, dass Geflüchtete in der
       > Ägais gewaltsam zurückgedrängt werden. 2021 waren es 5.000.
       
 (IMG) Bild: Protest mit Rettungsfloß: Demonstration gegen Pushbacks und Gewalt an den Grenzen in Athen am 6.2
       
       Berlin taz | Lange blieb das Phänomen im Dunkeln, seit einiger Zeit
       geschieht es immer offener: das direkte, illegale Zurückschieben
       Schutzsuchender an den Grenzen. Zum Beispiel am 13. Oktober 2020, am
       griechisch-türkischen Grenzfluss Evros. Ein Flüchtling berichtet von diesem
       Tag: „Sie haben alle 70 Leute in den Transporter gepackt. Wir konnten eine
       Stunde lang nicht atmen. Mit diesem Auto fuhren sie zum Fluss. Wir stiegen
       aus dem Auto, während sie auf uns einschlugen. Wir waren ohne Kleidung, in
       unserer Unterwäsche, ohne Schuhe.“
       
       Griechische Grenzpolizisten hätten den Menschen gesagt, sie sollten sich in
       einer Reihe hinsetzen, den Kopf senken, sie nicht ansehen. „Ein Polizist
       sagte mir, ich solle aufstehen und hielt eine Waffe an mein Auge. Er
       schrie: „Wenn du noch einmal nach Griechenland kommst, werde ich dich
       töten!'“
       
       Die Aussage stammt aus dem am Donnerstag veröffentlichten Jahresbericht
       [1][Pushbacks] der [2][NGO Mare Liberum]. Die deutsche Initiative ist seit
       2018 mit einem Beobachtungsschiff in der Ägäis und hat sehr früh begonnen,
       vor allem Griechenlands Pushbacks zu dokumentieren. Laut ihrem Bericht sind
       in der EU im vergangenen Jahr täglich gewaltsame Pushbacks verübt worden.
       Misshandlungen und sexuelle Übergriffe gegen Migrant:innen und
       Flüchtlinge sind demnach die Regel.
       
       Dabei werden Migrant:innen und Flüchtlinge, die etwa die griechische
       Polizei aufgreift, nicht wie vorgeschrieben zunächst in
       Aufnahmeeinrichtungen gebracht, sondern direkt an die grüne Grenze oder
       aufs Meer zurückgefahren und meist mit Gewalt dazu genötigt, zurückzugehen
       oder zu fahren.
       
       Schilderungen von Zeug:innen offenbarten, dass dabei Gewalt und
       Demütigungen als „strategisches Mittel“ dienten, um Menschen vom EU-Gebiet
       fernzuhalten, so Mare Liberum. Die Opfer seien Menschen, die aus der Türkei
       überzusetzen versuchten.
       
       ## Einfach ins Wasser geworfen
       
       Pushbacks gehörten mittlerweile zum „Modus operandi“ der Behörden, heißt es
       im Bericht von Mare Liberum. Insgesamt wurden 2021 demnach fast 5.000
       Menschen in Rettungsinseln in türkischen Gewässern zurückgelassen. Ein
       Aufenthalt in den nicht steuerbaren, häufig überfüllten und den
       Meeresbewegungen ausgelieferten Gummiflößen werde von Überlebenden als
       traumatisch beschrieben, heißt es in dem Bericht.
       
       Seit Anfang 2021 sei zudem verstärkt beobachtet worden, wie Menschen von
       griechischen Behörden in der Nähe der türkischen Küste einfach ins Wasser
       geworfen worden seien.
       
       Allein in der Ägäis – jenem Meeresgebiet im Mittelmeer, in dem Flüchtende
       die vergleichsweise kürzesten Wege bei eher ruhiger See zurücklegen müssen
       – starben nach Zählung von Mare Liberum 109 Menschen oder werden nach
       Unglücken vermisst. Seit 2018 seien es mindestens 462 Tote gewesen.
       
       ## Schlechte Datenlage
       
       Mare Liberum räumt ein, dass das Sammeln von Informationen über
       Rechtsbrüche in dem Gebiet schwierig und die Datenlage schlecht sei. Als
       Quellen nennt die Organisation neben Zeugenaussagen vor allem andere
       zivilgesellschaftliche Organisationen. Mare Liberum besitzt ein eigenes
       Schiff zur Beobachtung der Lage. Die Organisation konnte es aber wegen
       Restriktionen der Behörden im vergangenen Jahr praktisch nicht einsetzen.
       
       Die in dem Bericht zusammengetragenen Aussagen decken sich mit Tausenden
       Schilderungen, die NGOs in den vergangenen Jahren in der Region
       zusammengetragen haben. Pro Asyl hatte auf das Problem schon 2013
       aufmerksam gemacht. 2019 hatte der Spiegel berichtet, dass Griechenland an
       der Landgrenze zur Türkei in den vorherigen zwölf Monaten fast 60.000
       Menschen illegal zurückgeschoben habe. Quelle waren dabei Dokumente des
       türkischen Innenministeriums.
       
       ## Griechenland hatte Pushbacks lange abgestritten
       
       Mit den Pushbacks verstößt Griechenland gegen seine Pflicht, Ankommenden
       die Möglichkeit für einen Asylantrag zu geben. Dies wiegt umso schwerer,
       als es sich bei den Zurückgeschobenen auch um Menschen aus Konfliktregionen
       wie Afghanistan, Pakistan, Somalia und Syrien handelt. Und die Türkei
       wiederum schiebt die Menschen in ihre Herkunftsländer ab.
       
       Griechenland hatte diese Praktiken lange abgestritten – denn sie verstoßen
       eindeutig gegen das EU-Recht. Doch weil zuletzt auch Staaten wie Polen und
       Kroatien immer offener Pushbacks praktizieren, gingen die Staaten in die
       Offensive: Im Oktober 2021 verlangten zwölf EU-Mitgliedsstaaten in einem
       Schreiben an die Kommission – darunter Griechenland, Kroatien und Polen –
       die Reform des Schengener Grenzkodex, um Pushbacks zu legalisieren.
       
       22 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nach-illegalen-Pushbacks/!5842608
 (DIR) [2] https://mare-liberum.org/de/unsere-mission/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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