# taz.de -- Drohende Auslieferung von Assange: Das Schweigen der EU
       
       > Die Justiz ist durch mit dem Fall Assange. Nun muss die europäische
       > Politik Farbe bekennen zum Schutz von ihm und anderen Whistleblowern.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen die erlaubte Auslieferung von Julian Assange in London am 20.04.2022
       
       Was sagt die Europäische Union zu [1][Julian Assange]? Was tut sie für den
       prominenten Wikileaks-Gründer und Whistleblower, der schwerkrank im
       Londoner Hochsicherheitsknast Belmarsh einsitzt und dem in den USA bis zu
       175 Jahre Haft drohen?
       
       Wir wissen es nicht. Denn die EU schweigt. Weder die eigentlich zuständigen
       EU-Kommissare Věra Jourová und Didier Reynders noch Ratspräsident Charles
       Michel wollen den Fall kommentieren. Auch das Europaparlament sagt nichts
       dazu.
       
       Dabei wäre diese Woche eine gute Gelegenheit gewesen, endlich mal den Mund
       aufzumachen. Ein britisches Gericht hat formell die umstrittene
       Auslieferung in die USA genehmigt. Nur Innenministerin Priti Patel kann
       [2][Assange] jetzt noch retten. Der Fall ist damit endgültig zum Politikum
       geworden. Die Justiz ist durch, nun muss die Politik Farbe bekennen. Und
       das nicht nur in Großbritannien, wo Patel eine historische Entscheidung
       treffen muss – hoffentlich gegen die Auslieferung.
       
       Auch die EU ist gefordert, für europäische Werte wie die Meinungs- und
       Pressefreiheit einzutreten und Assange vor dem absurden Vorwurf der
       Spionage zu retten. Wenn sie es nicht bald tut, verspielt sie endgültig
       ihre Glaubwürdigkeit. Die ist leider schon jetzt angekratzt. Seit die
       EU-Kommission Anfang März die russischen Staatsmedien RT und [3][Sputnik]
       verboten hat, ist die Freiheit der Presse eingeschränkt. Sogar die
       EU-Grundrechtecharta wurde verletzt.
       
       „Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht
       schließt die (…) Freiheit ein, Informationen und Ideen (…) ohne behördliche
       Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und
       weiterzugeben“, heißt es in Artikel 11. Er wurde missachtet. Im Fall
       Assange droht nun der nächste, noch härtere Schlag. Denn hier geht es nicht
       „nur“ um Fake News aus Russland, sondern um Enthüllungen aus den USA und
       aus allen Ländern, in denen die Amerikaner aktiv sind.
       
       „Wenn Assange an die USA ausgeliefert wird, müssen Journalisten weltweit
       immer genau schauen, ob sie Informationen veröffentlichen, die
       US-Interessen schaden“, warnt Amnesty International. Alle Reporter hätten
       dann die Schere im Kopf.
       
       So weit darf es nicht kommen. Auch in Zukunft muss es erlaubt sein,
       US-Kriegsverbrechen wie die Folter im Gefängnis von Abu Ghraib und gezielte
       Luftangriffe auf Zivilisten im Irakkrieg aufzudecken. Wir brauchen nicht
       einen, sondern viele Assanges.
       
       Dies gilt auch und gerade vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs. Die EU
       will die russischen Kriegsverbrechen untersuchen und bestrafen. Dasselbe
       muss für amerikanische Vergehen gelten. Zweierlei Maß darf es nicht geben,
       schon gar nicht in der EU.
       
       22 Apr 2022
       
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