# taz.de -- Debatte um Enteignungs-Kommission: Für Trotz ist es zu früh
       
       > Die Berliner Initiative Deutsche Wohnen enteignen überlegt, die
       > Senatskommission zu boykottieren. Das wäre keine gute Idee. Ein
       > Wochenkommentar.
       
 (IMG) Bild: Enteignen kann so viel Spaß machen!
       
       In der Demokratie gottgleiche Wesen oder Institutionen zu akzeptieren, ist
       eigentlich ein Widerspruch an sich. Schließlich drückt schon das Wort
       Demokratie aus, dass das Volk herrscht. Von besonderer Bedeutung ist dessen
       Urteil, wenn es direkt zustande kam wie beim [1][Berliner Volksentscheid
       über die Enteignung der großer Wohnungsbestände]: 57,6 Prozent der
       Berliner*innen stimmten am 26. September 2021 dafür. Das absurde dabei:
       Ob der Wille der Bevölkerung umgesetzt wird, entscheidet – wenn es gut
       läuft und zu einem Gesetz kommt – nicht die Politik, sondern das
       Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Es hat in diesem Fall letzte,
       gottgleiche Wort. Das sollte mensch im Hinterkopf behalten in dieser
       Debatte.
       
       Schon der Weg zu einem Gesetzentwurf ist lang und schwierig, darüber
       herrscht Konsens auch bei jenen, die dieser Vergesellschaftung wohlwollend
       gegenüber stehen. Ein Gesetz auf Grundlage des Artikels 15 des
       Grundgesetzes wurde eben noch nie verabschiedet. Deswegen macht es Sinn,
       vorher möglichst viel juristische Expertise zusammen zu tragen, wie es
       Rot-Grün-Rot mit der im Koalitionsvertrag [2][festgeschriebenen
       Enteignungs-Kommission] vorgesehen hat und deren 10 vom Senat gestellten
       Mitglieder am Dienstag benannt wurden. Weitere 3 Mitglieder kann die
       Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen entsenden, die den
       Volksentscheid durchgesetzt hatte.
       
       Die Initiative überlegt nun, darauf und damit [3][auf die Mitarbeit in der
       Kommission zu verzichten]. Sie bezweifelt, wie es in einer Mitteilung nach
       dem letzten Plenum am Dienstagabend heißt, „ob diese Kommission konstruktiv
       und im Sinne der Vergesellschaftung arbeiten kann“. An anderer Stelle
       werden die Vorwürfe, inbesondere in Richtung der SPD und ihrer Regierenden
       Bürgermeisterin Franziska Giffey, noch deutlicher: „Es soll vertuscht
       werden, dass die Kommission im Interesse der Immobilienkonzerne handelt.“
       Die Arbeitsweise des 13-köpfigen Gremiums sei unklar und nicht transparent.
       
       Hintergrund ist vor allem, dass die SPD nach taz-Informationen [4][drei
       konservative Juristen für die Kommission berufen hat]: Neben dem
       ehemaligen, von der CDU benannten Bundesverfassungsrichter Michael
       Eichberger zwei erklärte Gegner der Initiative, genau wie Giffey selbst.
       Giffey hatte bereits im Wahlkampf 2021 erklärt, nicht mit einer Partei –
       sprich mit der Linken – zusammen arbeiten zu wollen, die eine Enteignung
       unterstützt. Inzwischen tut sie das doch.
       
       Die Kommission, der zudem mehrere Befürworter einer Enteignung angehören,
       soll [5][zunächst die Verfassungskonformität des Vorhabens] prüfen und
       dafür auch den Gesetzentwurf der Initiative unter die Lupe nehmen. Am Ende
       der einjährigen Arbeit soll im besten Fall eine gemeinsame Position stehen,
       welche Möglichkeiten es für ein solches Gesetz gibt und wie es aussehen
       kann.
       
       Dass es eine solche gemeinsame Position geben wird, darf getrost bezweifelt
       werden. Aber sie ist auch gar nicht nötig. Denn erstens fällt auch kaum ein
       Urteil des Verfassungsgerichts einstimmig, abweichende Erklärungen der
       Minderheiten-Richter*innen sind eher die Regel als die Ausnahme. Und
       zweitens trifft nicht die Kommission die Entscheidung, ob die Koalition
       anschließend ein solches Gesetz schreibt, sondern eben SPD, Grüne und
       Linke, die Entscheidung ist eine politische.
       
       Und erst dann wird es wirklich spannend: Denn es stellt sich die Frage, ob
       die rot-grün-rote Koalition diesen Konflikt überhaupt überlebt. Schließlich
       steht die Linke im Wort, ein solches Gesetz – wenn es irgendwie geht – zu
       formulieren, während einige Teile der SPD das ablehnen.
       
       ## Es geht darum, die Gegner zu widerlegen
       
       Sich der Arbeit dieser Kommission jetzt zu verweigern, wäre bestenfalls
       dumm, schlimmstenfalls kontraproduktiv und suizidal. Nichts spricht
       dagegen, in den nächsten zwölf Monaten Positionen und Interpretationen zu
       sammeln, wie eine Vergesellschaftung machbar wäre. Nichts spricht dagegen,
       eben auch die Gegner eines solchen Ziels zu hören, denn es geht ja genau
       darum, ihre juristische Lesart zu entkräftigen und zu widerlegen. Und
       angesichts der fehlenden Vorbilder sollte sich die Initiative hüten, ihren
       Gesetzentwurf als sakrosankt zu betrachten.
       
       Indem die Initiative darauf verzichtet hat, am 26. September 2021 einen
       fertigen Gesetzentwurf zu Abstimmung zu stellen, hat sie den
       Gesetzgebungsprozess ein Stück weit aus der Hand zu geben. Es stimmt: Es
       gab und wird den Versuch geben, diesen Prozess zu verschleppen, ihn als
       nicht umsetzbar darzustellen. Aber es stimmt auch, dass ein solches Gesetz
       Zeit braucht und geprüft werden muss. In den nächsten zwei, drei Jahren ist
       damit sowieso nicht zu rechnen.
       
       Und danach liegt das Gesetz, sollte es tatsächlich die nötigen Stimmen auch
       aus der SPD bekommen, erst mal vor dem Bundesverfassungsgericht – wie der
       Mietendeckel ja auch. Entscheidend ist am Ende das Urteil aus Karlsruhe.
       
       Die SPD und die Regierende sollte sich nichtsdestotrotz überlegen, weniger
       widerborstig mit der Initiative umzugehen, auch im eigenen Interesse. Denn
       die teils brüske Ablehnung einer Enteignung durch Giffey und Co.
       widerspricht zum einen dem klaren Willen der Berliner*innen, an dem nicht
       zu rütteln ist, und drückt damit weiterhin eine schwer mit der Demokratie
       zu vereinbarende Ignoranz gegenüber dem Souverän aus.
       
       Klar ist Franziska Giffeys Position zu Enteignung bekannt. Aber was hindert
       sie, das Votum der Berliner*innen für die Durchsetzung
       wohnungspolitischer Forderungen gegenüber Immobilienkonzernen zu nutzen?
       Rapide steigende Preise für den Neubau sowie die Knappheit von Energie und
       Material machen es zunehmend unwahrscheinlich, die selbst gesteckten Ziele
       von 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr zu erreichen. Es ist unverständlich,
       warum sie ein so starkes Druckmittel wie das Votum der Bevölkerung
       angesichts eines derart desolaten Wohnungsmarkts nicht einsetzen will.
       
       2 Apr 2022
       
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