# taz.de -- Berliner Senat und die Enteignungsfrage: Die Grünen müssen mutig sein
       
       > In der koalitionsinternen Debatte um die Enteigung kommt den Grünen eine
       > Vermittlerrolle zu. Doch dafür müssen sie etwas wagen. Ein
       > Wochenkommentar.
       
 (IMG) Bild: Die Antwort soll doch nicht etwa „SPD“ und „Grüne“ lauten?! Mietenprotest im September 2021
       
       Der zweite Schritt hin zu einem Enteignungsgesetz ist getan: Die vom
       rot-grün-roten Berliner Senat einberufene Kommission, die Mittel und Wege
       einer Vergesellschaftung der Bestände großer Immobilienunternehmen prüfen
       soll, ist komplett. Nach zwei Wochen Bedenkzeit hat sich in der vergangenen
       Woche auch die Initiative [1][Deutsche Wohnen und Co. enteignen
       durchgerungen,] die ihr zustehenden drei Mitglieder in die insgesamt
       13-köpfige Kommission zu schicken. Sie hatte auch [2][keine andere Wahl].
       
       Die Initiative hatte den Enteignungs-Volksentscheid auf den Weg gebracht,
       bei dem am 26. September vergangenen Jahres 57,6 Prozent der
       Berliner*innen mit Ja stimmten. Allerdings hatte die Initiative keinen
       Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt, so dass es beim Appell an den Senat
       blieb, einen solchen Entwurf zu verfassen.
       
       Die drei den Senat tragenden Parteien gehen mit diesem Appell allerdings
       unterschiedlich um. Während sich die Linke, der kleinste Regierungspartner,
       mit Verve dafür einsetzt und sich bei jeder Gelegenheit als der einzig
       wahre Vertreter der Bürger*innenmeinung präsentiert, ist vor allem in
       der Berliner SPD-Führung die Ablehnung dieser Position deutlich spürbar –
       sowohl bei der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey wie beim
       zuständigen Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel. Und auch von
       Co-Landeschef Raed Saleh gibt es bisher keine Signale, einer so
       ursozialdemokratischen Forderung wie Enteignung gegenüber aufgeschlossen zu
       sein.
       
       Die Berliner Grünen drohen, zwischen diesen beiden Polen zerrieben zu
       werden. Schon im Wahlkampf haderten sie mit ihrer Position; ihre
       Spitzenkandidatin Bettina Jarasch stimmte zwar letztlich dafür, allerdings
       soll eine Enteignung ihrer Meinung nach nicht der nächste Schritt, sondern
       lediglich ultima ratio sein, wenn sich die großen Vermieter nicht
       einsichtig zeigen und auf weitere drastische Mietsteigerungen nicht
       verzichten. Jarasch wurde daraufhin – nicht ganz zu Unrecht – vorgehalten,
       sie instrumentalisiere den Enteignungsentscheid.
       
       Und auch jetzt noch, ein halbes Jahr nach dem Entscheid, machen es sich die
       Berliner Grünen etwas einfach. Denn wer in Sachen Enteignung und Senat nur
       ein bisschen optimistisch in die Zukunft blickt, weiß, dass auf sie bald
       eine wichtige Vermittlerrolle zukommt, sofern ihnen am Bündnis mit Linken
       und SPD etwas liegt.
       
       In der 13-köpfigen Kommission des Senats sitzen vor allem Jurist*innen:
       Gegner*innen wie Unterstützer*innen einer Enteignung. Sofern sie
       nicht – überraschenderweise – zum Ergebnis kommen, dass eine Enteignung via
       dem Grundgesetzartikel 15 gar nicht möglich ist, dürfte die Erkenntnis der
       Kommission etwa so lauten: Ein Gesetzentwurf ist denkbar, aber juristisch
       riskant und letztlich wird darüber das Bundesverfassungsgericht entscheiden
       müssen. Dass die Expert*innen mit großer Mehrheit einen konkreten,
       rechtlich sicheren Weg aufzeigen, ist sehr unwahrscheinlich.
       
       ## Entscheiden muss die Politik, also Rot-Grün-Rot
       
       Das heißt: In einem Jahr, wenn die Arbeit der Kommission abgeschlossen ist,
       muss sich Rot-Grün-Rot überlegen, ob man etwas wagen, ein Gesetz
       formulieren und dann auch verabschieden will. Darauf wird die Linke
       drängen, die SPD dürfte bremsen – und die Grünen müssen dann Farbe
       bekennen. Wenn sie ihre Unterstützung bei den vielen Initiativen der Stadt
       nicht aufs Spiel setzen wollen und den direktdemokratischen Auftrag durch
       den Volksentscheid ernst nehmen, müssen sie sich für ein solches Gesetz
       einsetzen – und bei der SPD und deren Abgeordneten Überzeugungsarbeit
       leisten.
       
       Das klingt erstmal nicht sonderlich realistisch, da die Ablehnung vor allem
       in der Führungsetage der SPD deutlich ist. Aber die für
       Mieter*innenschutz zuständige Staatssekretärin in der
       Stadtentwicklungsverwaltung, Ülker Radziwill (SPD), hat am Montag bei einer
       Podiumsdiskussion betont, dass es auch in den Reihen der Sozialdemokraten
       viele gebe, die die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne
       unterstützen würden.
       
       Es müssten auch gar nicht alle Abgeordneten dem Gesetz zustimmen.
       Rot-Grün-Rot verfügt über eine breite Mehrheit, die sogar ein Dutzend
       Abweichler*innen verkraften könnte. Dazu kommt: Es ist wenig
       wahrscheinlich, dass die Prüfung eines verabschiedeten Enteigungsgesetzes
       in Karlsruhe bis Ende dieser Legislaturperiode 2026 abgeschlossen ist, da
       es sich um einen Präzedenzfall handelt. Ein eventuelles Scheitern vor dem
       Verfassungsgericht würde die aktuelle Koalition, anders als beim
       Mietendeckel, nicht mehr treffen.
       
       Für die Grünen heißt das: Ein fertiges Vergesellschaftungsgesetz wäre
       eindeutig auch ihr Erfolg und könnte die Machtbasis einer linken Koalition
       in Berlin über die nächste Wahl 2026 hinaus (und dann unter grüner
       Führung?) perspektivisch sichern.
       
       Die Alternative dazu ist: Rot-Grün-Rot verhandelt, vertagt, ruft noch 'ne
       Kommission ein, und ein Jahr vor der Wahl lassen SPD oder Linke die
       Koalition wegen der Enteigungsfrage platzen. Ist das glaubhaft? Will das
       jemand?
       
       17 Apr 2022
       
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