# taz.de -- Femizid-Prozess in Kiel: Angeklagter sammelt Nazi-Symbole
       
       > Vor dem Kieler Landgericht muss Hartmut F. sich wegen dreifachen Mordes
       > verantworten. Die Ermittelnden fanden bei ihm rechtsextreme
       > Devotionalien.
       
 (IMG) Bild: Das Haus in Dänischenhagen einen Tag nach dem Fund der Leichen am 19. Mai 2021
       
       Hamburg taz | Je 25 Kugeln feuerte der Zahnarzt aus Westensee im Kreis
       Rendsburg-Eckernförde am 19. März vergangenen Jahres aus einer
       Maschinenpistole auf seine Opfer. Am Hauseingang der Doppelhaushälfte in
       Dänischenhagen [1][erschoss Hartmut F. seine von ihm getrennt lebende
       Ehefrau Hanna F. sowie ihren Bekannten]. Nach eigener Aussage habe er eine
       Klärung mit seiner Ehefrau erreichen wollen.
       
       Nach der Tat fuhr der 48-Jährige nach Kiel zu einem Bekannten und schoss
       ihm mehrfach in den Kopf, da er ihm die Schuld am Ende seiner Ehe gab. Die
       Kieler Staatsanwaltschaft wirft F. dreifachen heimtückischen Mord aus
       niedrigen Beweggründen vor. Eine Beziehungstat, die auch durch ein
       politisches Interesse getriggert sein könnte.
       
       Seit dem 23. Februar läuft der Prozess gegen F. vor dem Kieler Landgericht.
       Am fünften Verhandlungstag gestand der Beschuldigte, die Morde begangen zu
       haben. Im Haus von F. fanden die Ermittelnden aber nicht nur viele legale
       und illegale Waffen sowie Munition und Sprengmittel, sondern auch einen
       Wehrpass mit Reichsadler und Hakenkreuz, eine Anstecknadel mit Adler und
       Hakenkreuz, Gürtelschnallen mit dem NS-Symbol sowie verschiedene
       Publikationen aus der Zeit des Nationalsozialismus.
       
       Diese Funde könnten historische Devotionalien eines Waffen- und
       Kriegsinteressierten sein. Es sollen aber auch Gegenstände neueren Datums
       gefunden worden sein, heißt es aus Ermittlungskreisen: eine Kerze mit dem
       [2][SS-Spruch „Meine Ehre heißt Treue“ im Saferaum] und ein Plakat mit dem
       Gedicht „Meine Ehre heißt Treue“ des früheren SS-Mann Hans Hermann Weler an
       einer Kellerwand.
       
       ## Ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus?
       
       Diese Funde bei dem Zahnarzt, der in der Justizvollzugsanstalt (JVA)
       Neumünster tätig war, könnten als aktuelles Interesse am
       Nationalsozialismus gedeutet werden. In dem Gedicht schwört Weler 1959 auf
       „Blut“ und „Reich“ ein. Bekennt sich F. damit zum Nationalsozialismus?
       
       [3][Die Nähe zum Milieu deuten auch Hefte der Zeitschrift Der Freiwillige
       an], das Zentralorgan der ehemaligen Angehörigen der Landesverbände der
       Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der Waffen-SS – kurz
       HIAG. 2014 wurde daraus die Deutsche Militärzeitschrift [4][der
       rechtsextremen Verlagsgruppe „Lesen & Schenken“ mit Sitz in Martensrade
       nahe Kiel].
       
       „Diese Funde deuten darauf hin, dass der Tatverdächtige sehr bewusst und
       umfassend den Nationalsozialismus verherrlicht. Gleichzeitig nahm er aber
       auch eine Aktualisierung vor: Sowohl die Zeitschrift wie auch das Gedicht
       sind keine historischen Dokumente des Nationalsozialismus, sondern
       verweisen auf die Bezugnahme und Verherrlichung über die historische Zeit
       hinaus“, sagt Johanna Sigl, Rechtsextremismusexpertin aus Hamburg mit
       Professur in Wiesbaden.
       
       Der Tatverdächtige scheint Bezugswege in die organisierte extreme Rechte zu
       haben. Aus dieser Einschätzung ergibt sich nicht, dass F. Mitglied einer
       entsprechenden Organisation ist, wohl aber, dass er weiß, wo solches
       Material zu bekommen ist.
       
       Ein persönlicher Kontakt, der bei den Ermittlungen aufgefallen sein soll,
       könnte eine der Quellen gewesen sein, vielleicht auch eine Inspiration,
       heißt es aus Ermittlungskreisen. Über 30 Briefe soll Rudolf J. aus dem
       niederländischen Zoetermeer an F. gesendet haben. Der Briefeschreiber, der
       wesentlich älter wirken soll, schreibe respektvoll über Personen aus dem
       Nationalsozialismus, berichte erfreut von Kameradschaftstreffen ehemaliger
       Angehöriger von SS-Divisionen, die er, seine Familie oder enge Freunde
       besucht hatten.
       
       J. bot F. demnach auch einen Anstecker mit dem „Sonnenrad“ in Silber an.
       [5][Dieses Symbol – bekannt als „Schwarze Sonne“ – dient in der
       rechtsextremen Szene als Bekenntnis zur SS]. Auch Publikationen sollen
       zugesendet worden sein, damit F. selbst herausfinden könne, was „Juda“
       alles kontrolliere und bestimme. Und auch um die Flucht Otto Ernst Remers
       geht es. Nach 1945 floh der ehemalige Wehrmachtsoffizier und
       Hitler-Leibwächter, der den Putsch am 20. Juli 1944 mitverhindert hatte,
       wegen seiner finanziellen Unterstützung von Auschwitz leugnenden
       Publikationen nach Spanien.
       
       In dem Briefwechsel sollen J. und F. sich über die Themen Familie und Ehe
       ausgetauscht haben. Auch Besuche sollen stattgefunden haben, in Estland
       habe F. weitere Gleichgesinnte getroffen, heißt es aus Ermittlungskreisen.
       
       Zudem legt ein anonymes Schreiben eine einschlägige Gesinnung nahe. In
       diesem heißt es, dass F. der rechten Szene zuzuordnen sei und dass er mit
       rechtsextremen Äußerungen aufgefallen sei. Auch wird davon berichtet, dass
       er nicht-deutschen Häftlingen bewusst Schmerzen zugefügt haben soll. Unter
       den Funden sollen auch mehrere Fotomontagen von F. sein, auf denen er
       lächelnd abgebildet sei, in Uniform und mit dem SS-Emblem an der Mütze oder
       am Helm.
       
       Bloß ein Spiel oder Hinweis auf eine Identifikation mit dem
       Nationalsozialismus? Rechtsextremismusexpertin Sigl sagt – mit aller
       Vorsicht –, dass diese Bilder die Annahme einer Identifikation bestärken.
       Einzuschätzen, inwieweit möglicherweise rechtsextreme Motive bei der Tat
       eine Rolle gespielt haben, sei aber „an dieser Stelle unseriös“.
       
       Gleichwohl sei aus der Forschung bekannt, „dass so einer umfassend
       scheinenden Identifikation mit dem Nationalsozialismus meist biografisch
       begründete und intrinsische Motive zugrunde liegen“, sagt Sigl. Das
       Männlichkeitsideal der SS etwa stehe für die Verherrlichung einer
       soldatischen Männlichkeit, welche rechtsextreme Bewegungen nach 1945
       weiterhin idealisiert hätten. Die eigene männerbündische Überhöhung sei
       zugleich hochgradig antifeministisch ausgerichtet.
       
       ## Bedrohtes Männlichkeitsideal
       
       „Frauen haben gemäß dieser Geschlechterstereotype ihren Platz als
       fürsorgende Hausfrau und Mutter an der Seite des kämpfenden Mannes.
       Spätestens, wenn sie diesen Platz verlassen, werden sie zur Bedrohung des
       Männlichkeitsideals und des Männerbundes“, erklärt Sigl.
       
       Nach den Morden stellte sich F. in Hamburg der Polizei, weil er Angst
       hatte, in die JVA Neumünster zu kommen. In der ersten Vernehmung soll er
       die Morde gestanden haben, sagte aus, dass er eine „Klärung“ habe erreichen
       wollen, und räumte dabei auch ein, dass eine Klärung mit einer Waffe in der
       Hand unsinnig ist. Mit einem GPS-Tracker hatte er seine Ehefrau verfolgt,
       die die Scheidung wollte. Hanna F. hatte mit den gemeinsamen Kindern – auch
       wegen Gewalt – Distanz gesucht.
       
       „Der Mord an Hanna F. ist ein Femizid“, betont Sigl. Die Frau habe sich dem
       Einflussbereich ihres Ehemannes entzogen, was dieser als Machtverlust
       erlebt habe. Eine rechte Gesinnung könne eine solche Haltung triggern. Der
       Blick müsse demnach stärker auf das Männlichkeits-Verständnis der Täter
       gelenkt werden, fordert Sigl. Denn für diese gelte: „Der größte Machtgewinn
       ist es, über Leben und Tod bestimmen zu können“.
       
       28 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
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