# taz.de -- Forscher Philipp Schrögel über Untergangsrhetorik: „Szenarien, um Druck zu erzeugen“
       
       > Apokalyptische Szenarien können wachrütteln und zugleich zu Hilflosigkeit
       > führen, sagt der Wissenschaftskommunikationsforscher Philipp Schrögel.
       
 (IMG) Bild: The Day After Tomorrow 2004 – der Film sensibilisierte Menschen für den Klimawandel
       
       taz: Herr Schrögel, ist angesichts des Klimawandels der Hinweis auf den
       drohenden Untergang nicht die einzige vernünftige Reaktion? 
       
       Philipp Schrögel: Kommunikation, die auf potenziell katastrophale,
       apokalyptische Ereignisse zielt, kann durchaus wachrütteln, Handlungsdruck
       und Bewusstsein erzeugen. Klimaforscher wie Michael Mann kritisieren
       wiederum: Apokalyptische Szenarien sind kontraproduktiv, weil sie auf
       individueller Ebene zu Hilflosigkeit, Resignation führen. Die in Frankreich
       gestartete Bewegung der „collapsologie“ dagegen sagt: Alles geht den Bach
       hinunter, manche Systeme kollabieren. Deswegen verschließen wir nicht die
       Augen und möchten mit konkreten Maßnahmen entgegenwirken.
       
       Politiker:innen und Journalist:innen versuchen eher, konstruktiv
       an die Klimakrise heranzugehen, während Aktivist:innen und viele
       Klima forscher:innen eher mit der drohenden Apokalypse appellieren. 
       
       Eine aktuelle Studie zeigt tatsächlich: Medien setzen zunehmend auf eine
       konstruktive Klimakommunikation. Andererseits gibt es durch mit dem
       Klimawandel eng assoziierte und immer häufiger auftretende
       Extremwetterereignisse in den Zeitungen geradezu einen Boom des Begriffs
       der Apokalypse. Demgegenüber stehen Akteure der Fossil-Fuel-Industrie und
       konservative Politiker, die versuchen, Handlungen zu verzögern. Das steht
       den Dringlichkeitsargumenten der Aktivisten gegenüber, die mit prägenden
       Bildern – das überflutete Tal, das verbrannte Känguru im Zaun – und
       drastischen Maßnahmen dagegen ankämpfen.
       
       Was wären Alternativen im Diskurs? 
       
       Aktivist:innen nutzen apokalyptische Szenarien, um Handlungsdruck zu
       erzeugen. Andererseits können die – ich nenne sie mal Klimabremser – solche
       Diskurse nutzen, um zu sagen, es lohnt sich alles nicht mehr. Es braucht
       konstruktive Kommunikation: Wie können wir konkrete Transformationsschritte
       hinbekommen? Individuelle Beiträge wie Flugverzicht oder Solaranlagen auf
       dem Dach können Hilflosigkeitsgefühlen entgegenwirken. Gleichzeitig können
       sie zu Vereinzelung führen, Lösungen verhindern: Dem Klima hilft es wenig,
       wenn ich weniger Plastiktüten kaufe, aber Autoindustrie und fossile
       Stromerzeugung sich nicht ändern.
       
       In Adam McKays Film [1][„Don’t Look Up“] ist die Erde von einem
       Asteroideneinschlag bedroht. Fazit: Menschen nehmen die Apokalypse erst
       wahr, als es zu spät ist. Die traurige Wahrheit?
       
       Apokalyptische Prophezeiungen haben ein Problem: wenn sie eintreffen, ist
       es eh schon zu spät. Im Regelfall gibt es viele Warnungen und dann passiert
       erst mal doch nichts. Michael Mann soll Vorbild gewesen sein für Dr. Mindy,
       den von Leonardo DiCaprio gespielten Asteroidenforscher. Der Film ist als
       Metapher übertragbar auf den Umgang mit [2][Klimakrise] oder
       [3][Coronapandemie].
       
       Mindy ist genau mit dem Problem konfrontiert: Zuerst ignorieren die meisten
       seine Warnungen. Als vielen die Katastrophe dann bewusst wird, formiert
       sich eine Bewegung, die es weiter als Panikmache bewertet. Ein
       psychologischer Effekt dabei ist „motivated reasoning“: Ich akzeptiere nur
       Fakten, die in mein politisches Weltbild passen. Momentan sind von der
       Klimakrise die Hauptverursacher noch wenig betroffen, sondern besonders
       Menschen in ärmeren Teilen der Welt, die sich zum Beispiel keine
       Klimaanlagen leisten können und immer öfter an Hitzetod sterben. Das stört
       in Deutschland viele erst mal nicht.
       
       Der Film „The Day After Tomorrow“ hat in vielen Ländern zu mehr Bewusstsein
       für den Klimawandel geführt. Könnte Kommunikation über den Klimawandel auch
       über andere Medien laufen, wie eben Film? 
       
       Filme wie „Don’t look up“ sind ein Ansatz. Doch bei wem kommen die
       Botschaften an? Beim konservativen Trump-Wähler im Mittleren Westen mit
       seinem 5-Tonnen-Pick-up vermutlich nicht. Für ihn ist das – überspitzt
       gesagt – liberaler Hollywood-Mist, mit dem er nichts anfangen kann. Oder er
       nimmt sogar die ironische Überspitzung des Patriotismus als positiv wahr.
       Bei gezielten, von Wissenschaftlern ausgehenden Kommunikationsmaßnahmen
       oder Unterhaltungsfilmen muss man schauen, wen sie erreichen. Oft werden
       seriöse, fundiertere Wissenschaftssendungen gehyped, das Potenzial in etwas
       wie Galileo, das auch ganz andere Gruppen schauen, übersehen. Humor ist
       aber schon ein guter Weg, um vom drohenden, belehrenden Finger wegzukommen.
       
       Wie schafft man es, Gruppen zu erreichen, für die der Klimawandel
       fernliegt? 
       
       Man muss Anknüpfungspunkte finden. In einer ländlichen Region gilt die
       Debatte über Pedelecs und E-Roller vielen als urban akademisch, Veganer
       werden oft ausgelacht. Man sollte die Menschen nicht abtun als vermeintlich
       primitive Landeier, sondern anknüpfen an ihre lokalen Themen. In
       landwirtschaftlich geprägten Gegenden vernichten Dürresommer die Ernten.
       Darüber kann man ins Gespräch kommen. Aber wer führt dieses? Nicht
       unbedingt der urbane Hipster alleine.
       
       Der „Aufstand der letzten Generation“ blockierte zuletzt öfters Autobahnen
       und hat schon im Namen die drohende Apokalypse stehen. Schadet diese
       Rhetorik der Bewegung? 
       
       Ja und nein. Das Problem ist: Schon im Titel steht etwas, das ziemlich
       sicher nicht zutrifft. Es ist nicht die letzte Generation. Ja, seit einigen
       Jahren geht es nicht mehr der Kinder- unbedingt besser als der
       Elterngeneration. Ja, Handlungsmöglichkeiten werden immer geringer, je
       weniger man tut. Aber wenn schon der Titel offenkundig nicht stimmt,
       erzeugt das Widerspruch. Zudem ist es für betroffene Autofahrer erst mal
       schwer nachzuvollziehen, wenn gegen Nahrungsmittelverschwendung protestiert
       wird, indem man sich auf der Autobahn festklebt. Andererseits erzeugt es
       erst mal mediale Aufmerksamkeit.
       
       Laut Ihrem Kollegen Tommy Lynch gibt es auch eine Art „cruel optimism“ –
       fatalen Optimismus, die Hoffnung auf Technologien, die irgendwann alles
       besser machen. Schadet Optimismus doch? 
       
       Nein. Klar, es gibt diesen erst mal beruhigenden Gedanken, nukleare Abfälle
       oder Treibhausgas-Emissionen ließen sich in der Zukunft mit neuen
       Technologien lösen. Verlasse ich mich aber komplett naiv darauf, ist das
       verantwortungslos. Es gilt kritisch zu hinterfragen: Wo ist Hoffnung
       begründet? Wo wird man benutzt in einem Konglomerat aus technologischen
       kapitalistischen Argumenten?
       
       26 Mar 2022
       
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