# taz.de -- Neuübersetzung von „Die Farbe Lila“: Schreiben als Selbstermächtigung
       
       > Klassiker über Segregation in den USA: Alice Walkers Roman „Die Farbe
       > Lila“ wird in seiner neuen Übersetzung dem lakonischen Ton der Vorlage
       > gerecht.
       
 (IMG) Bild: Ein Barbecue, rassistisch getrennt entlang der Colorline im US-Südstaat Alabama, 1935
       
       Die uns lieben, lassen uns mit unserem Schmerz nie allein. Sie zeigen uns
       unsere Wunde, und zugleich eröffnen sie uns, dass sie das Heilmittel
       haben“, hat die afroamerikanische Schriftstellerin Alice Walker 2018 [1][im
       Vorwort zu „Barracoon“ postuliert], der Feldforschung von Zora Neale
       Hurston über den letzten als Sklaven auf einem Schiff in die USA
       verschleppten Afrikaner, der in den späten 1920ern noch im Süden des
       Landes, im Bundesstaat Alabama, lebte.
       
       Alice Walker stammt ebenfalls aus dem Süden, sie wuchs in Eatonton,
       Georgia, auf. Und sie ist diejenige, die das Werk der afroamerikanischen
       Schriftstellerin und Wissenschaftlerin Zora Neale Hurston wiederentdeckt
       hat. 1973, als junge, noch unbekannte Autorin und Redakteurin des
       feministischen, von [2][Gloria Steinem] herausgegebenen Magazins MS in New
       York, publizierte sie ein Essay, das Hurston, die 1960 verstorben und dann
       in Vergessenheit geraten war, mit einem Schlag wieder bekannt gemacht hat.
       
       
       Walker half, sie als gleichberechtigte weibliche Stimme der männlichen
       Künstler-Gemeinschaft [3][Harlem Renaissance] und als selbstbestimmte
       schwarze Autorin ins Gedächtnis zu rufen. Und sie sammelte Spenden, damit
       Hurston, die zuletzt als Krankenschwester arbeitete und in einem Armengrab
       beigesetzt worden war, einen Grabstein erhielt.
       
       ## Pulitzerpreisträgerin 1983
       
       Für „Die Farbe Lila“, 1982 im [4][US-Original] als ihr zweiter Roman
       veröffentlicht, wurde Alice Walker im Jahr darauf als eine der ersten
       afroamerikanische Autorinnen mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. In
       Deutschland wurde das Werk erst im Zuge seiner Verfilmung durch Steven
       Spielberg (mit Whoopi Goldberg in der Hauptrolle) 1986 übersetzt. Nun hat
       es Cornelia Holfelder-von der Tann als einen Arbeitsauftrag im Rahmen des
       Projekts „Neustart Kultur“ erneut ins Deutsche übertragen. Und sie hat das
       sehr sorgfältig getan. Den lakonischen Ton, den das Original vorgibt, hat
       sie in einer kunstvollen, aber nie zu aufdringlichen Umgangssprache gut
       getroffen.
       
       „Die Farbe Lila“ ist im Süden der USA angesiedelt. Seine Handlung zieht
       sich von 1900 bis 1940, durch eine Zeit also, in der
       Afroamerikaner:Innen in der US-Gesellschaft durch die Segregation auf
       perfideste Weise in allen Belangen des öffentlichen Lebens diskriminiert
       wurden und gleichzeitig in die forcierte Industrialisierung als
       Arbeitskräfte geworfen und im Ersten Weltkrieg an vorderster Front als
       Soldaten in Europa zum Einsatz kamen. Zu Hause wurde vor allem in den
       Städten der Ruf nach Teilhabe lauter, während die Segregation dort genau
       wie auf dem Land strikt gehandhabt wurde.
       
       In der Folge kam es zu zahlreichen Krawallen, auch Lynchmorde waren bis
       weit in die 1930er Jahre an der Tagesordnung. Ehen zwischen Menschen
       unterschiedlicher Hautfarbe waren in den USA damals untersagt. Durch die
       höchstrichterliche Entscheidung „Plessy vs. Ferguson“ wurde 1896 der 14.
       Verfassungszusatz „Alle Bürger sind gleich“ der US-Konstitution de facto
       ausgehebelt und durch „separate but equal“ ersetzt. [5][„Rassentrennung“]
       galt etwa auf Parkbänken, in Schwimmbädern und Kinos.
       
       ## Separater Eingang
       
       Auch Alice Walker, geboren 1944, musste in ihrer Kindheit noch in Kinos den
       „N* Heaven“ genannten separaten Balkon aufsuchen, dort lagen die den
       Schwarzen zugewiesenen Oberränge. Die Praxis der Segregation ist auch in
       „Die Farbe Lila“ in einer grotesken Situation präsent: Schwarze dürfen
       nicht neben Weißen auf dem Beifahrersitz im Auto fahren, sondern müssen
       hinten einsteigen. Celie, die Protagonistin, die eine Weile als
       Kindermädchen bei einer weißen Frau arbeitet, kann ihrer ahnungslosen
       „Herrin“ daher nicht verständlich machen, wie diese den Rückwärtsgang der
       Gangschaltung einlegt.
       
       Weiße tauchen in „Die Farbe Lila“ nur in Nebenrollen auf. Bestimmend für
       die Handlung sind die dysfunktionalen Familienverhältnisse Celies, die in
       einer Kleinstadt im Süden der USA lebt. Nach dem Tod ihrer Mutter wird sie
       von ihrem Stiefvater im Teenageralter missbraucht und zweimal geschwängert,
       ehe sie von zu Hause rausgeworfen und mit einem anderen Mann verheiratet
       wird.
       
       Panisch stellt sich Celie vor ihre jüngere Schwester Nettie, damit dieser
       ihr Schicksal erspart bleibt. Und sie versucht, Kontakt zu ihren Kindern zu
       halten, die ihr von der Fürsorge weggenommen werden. Aus Verzweiflung über
       ihre Machtlosigkeit beginnt sie zu schreiben.
       
       ## Zusammenhänge erschreibend verstehen
       
       Es ist dieser simple Griff, der der Handlung den Kick gibt und Celie als
       Figur im Verlauf der Story an sich selbst wachsen lässt: Sie gewinnt die
       Herrschaft über ihren Körper zurück. Sie schreibt, wie ihr der Schnabel
       gewachsen ist, und sie beginnt – schreibend – Zusammenhänge zu verstehen
       und sich selbst in der Gesellschaft zu verorten. Zunächst formuliert sie an
       Gott gerichtete kurze Briefe, später an Nettie, die es mithilfe ihrer
       Schwester schafft, aus dem wirtschaftlich prekären Leben auszubrechen, die
       Schule abzuschließen und mit einer Missionarsfamilie nach Afrika zu gehen.
       
       Celie kann sich der häuslichen Gewaltspirale entziehen: Durch Shug, einer
       Bluessängerin und Geliebten ihres späteren Ehemanns Albert, wird sie in
       ihrem Selbstbewusstsein gestärkt. Aus Liebe zu dieser schillernden
       Künstlerin entwirft sie schließlich Klamotten für die Community. Eine
       Entwicklung gesteht Walker sogar Albert, dem Ehemann zu, der sich vom
       einfältigen Macho zu einem Menschen wandelt, der Frauen zuhören und ihre
       Meinung ernst nehmen kann.
       
       „Die Farbe Lila“ ist ein feministischer Entwicklungsroman, der in den
       1980er Jahren durch seine Darstellung von lesbischer Liebe und häuslicher
       Gewalt Kontroversen aufgeworfen hat. Seine Verfilmung durch Steven
       Spielberg hat die Rezeption der Romanvorlage in den Schatten gestellt,
       damals wurde oftmals auf die afroamerikanischen „Täter-Männer“ Bezug
       genommen.
       
       Nur ist „Die Farbe Lila“ ein Buch über weiblichen Selbstschutz, die
       Erzählperspektive ist weiblich, die Hauptfiguren sind es auch. Als Walkers
       Roman erstveröffentlicht wurde, galt die Zielgruppe für Belletristik in den
       USA immer noch in der Hauptsache als weiß. Umso bedeutsamer war der
       Mainstream-Erfolg ihres Romans.
       
       Der Literaturwissenschaftler James Snead hat Rassismus einmal als
       „normatives Herrschaftsrezept“ bezeichnet, „geschaffen von Sprechern, die
       sich rhetorischen Taktiken bedienen“. Alice Walker bringt andere Stimmen
       zum Sprechen. Ohne ihr Engagement wäre auch „Barracoon“ von Zora Neale
       Hurston nie veröffentlicht worden.
       
       11 Feb 2022
       
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