# taz.de -- Abschiebefall im Landkreis Celle: Behörde reißt Familie auseinander
       
       > Der Kreis Celle holt eine Familie aus dem Bett und setzt den Vater mit
       > vier Kindern ins Flugzeug nach Georgien. Die schwangere Mutter bleibt
       > zurück.
       
 (IMG) Bild: Abschiebevehikel Nummer eins: Flugzeug
       
       Hamburg taz | Um 1.30 Uhr in der Nacht sind Polizisten und ein Mitarbeiter
       des Landkreises Celle in die Wohnung einer Familie eingedrungen, um diese
       nach Georgien abzuschieben. Wie der niedersächsische Flüchtlingsrat
       mitteilte, durfte die hochschwangere Mutter aus gesundheitlichen Gründen in
       Deutschland bleiben. Der psychisch kranke Vater und vier Kinder wurden am
       vergangenen Donnerstag abgeschoben. Die Anwälte der Familie kritisierten,
       sie seien zu spät informiert worden, um für einen Rechtsschutz sorgen zu
       können. Das Lüneburger Verwaltungsgericht verwahrte sich gegen diesen
       Vorwurf.
       
       Nach Angaben des Flüchtlingsrats hat ein Arzt der im siebten Monat
       schwangeren Frau M. eine Risikoschwangerschaft attestiert, weswegen sie
       nicht abgeschoben werden dürfe. Der CDU-geführte [1][Landkreis Celle teilt
       mit, er habe die Frau nicht abgeschoben, um sie zu schützen]. Er wolle ihr
       stattdessen eine „freiwillige Ausreise“ ermöglichen. Ihr Mann, der mehrere
       Suizidversuche unternommen haben soll, und ihre drei- bis zehnjährigen
       Kinder wurden trotzdem gegen ihren Willen mit einem Flugzeug von Berlin
       nach Georgien verfrachtet.
       
       Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen,
       bezeichnete das Verhalten der Verantwortlichen als entsetzlich
       scheinheilig: „Wäre den Behörden tatsächlichen an Frau M. und ihrem
       ungeborenen Kind gelegen, dann hätten sie die Familie nicht
       auseinandergerissen.“
       
       Die Rechtsanwälte der Famlie, Paulo Dias aus Hannover und Magdalena Gajczyk
       aus Minden, wiesen darauf hin, dass der Vater aufgrund seiner desolaten
       psychischen Verfassung nicht im Stande sei, die vier Kinder allein zu
       versorgen. Frau M. solle wohl „durch die Schaffung vollendeter Tatsachen
       dazu psychisch gezwungen werden, trotz Risikoschwangerschaft 'freiwillig’
       auszureisen“, vermuten die Anwälte.
       
       Besonders skandalös finden die Anwälte, dass sie erst um 9 Uhr über die
       nächtliche Abschiebung informiert worden seien. Um 10.50 Uhr hätten sie
       versucht, die drohende Abschiebung mit zwei Eilanträgen beim
       Verwaltungsgericht Lüneburg zu stoppen. Das Gericht habe sich jedoch nicht
       in der Lage gesehen, bis 12 Uhr eine Entscheidung zu treffen.
       
       Der Fall belege „erhebliche menschenrechtliche und rechtsstaatliche
       Defizite, die regelmäßig im Zusammenhang mit Abschiebungen zu beobachten
       sind“, finden die [2][Anwälte Dias und Gajczyk sowie der Flüchtlingsrat].
       Das seien zwei weitere Gründe, Abschiebungen überhaupt in Frage zu stellen.
       
       Durch sein Vorgehen habe der [3][Landkreis Celle] „der Familie ihr Recht
       auf einen vorläufigen Rechtsschutz genommen“, kritisiert auch Hans-Joachim
       Janßen, der migrationspolitische Sprecher der Grünen im Landtag. „Das ist
       eines Rechtsstaats nicht würdig.“
       
       Das Verwaltungsgericht Lüneburg verwahrte sich gegen die Vorwürfe. „Den
       Antragstellern ist in kürzester Zeit umfassender Rechtsschutz zuteil
       geworden“, teilte eine Sprecherin mit und begründete das ausführlich: Nach
       Erhalt der Eilanträge hätte das Gericht zunächst den Abschiebebescheid bei
       den Anwälten anfordern müssen, den die Anwälte nicht mitgeschickt hätten.
       
       Der schriftlich begründete Beschluss im asylrechtlichen Verfahren sei um
       13.04 Uhr ergangen. Wäre ein Erfolg absehbar gewesen, hätte das Gericht
       einen Tenorbeschluss ohne ausführliche Begründung vor 12 Uhr fassen und die
       Beteiligten telefonisch hierüber informieren können. Die Richter hätten
       jedoch keine hinreichenden Erfolgsaussichten hierfür gesehen.
       
       Das ausländerrechtliche Eilverfahren sei weiter anhängig. „Sollte sich
       dort, insbesondere aufgrund weiteren Vortrags der Antragsteller, ergeben,
       dass die Abschiebung ausländerrechtlich zu beanstanden ist und der
       Eilantrag Erfolg haben, könnte das Gericht eine Rückholung der
       Antragsteller anordnen“, teilte die Sprecherin mit.
       
       ## Innenministerium gibt Rückendeckung
       
       Aus Janßens Sicht sind mehrere Aspekte des Falls mit einer
       menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik nicht vereinbar:
       Familientrennung, Nachtabschiebung, Abschiebung besonders schutzbedürftiger
       Personen. Janßen fordert von der Landesregierung, die Familie
       zurückzuholen.
       
       Wie der Landkreis Celle dem Evangelischen Pressedienst mitteilte, ist der
       Rechtsweg in dem Fall seit 2016 ausgeschöpft. Allen Familienmitgliedern sei
       das Bleiberecht verwehrt worden. Auch die Härtefallkommission habe einen
       Antrag der Familie auf Aufenthaltsrecht im Oktober abgelehnt. „Somit
       besteht für alle Familienmitglieder eine vollziehbare Ausreisepflicht“,
       sagt Pressesprecher Tore Harmening. Die Behörden hätten die Reisefähigkeit
       und die medizinische Versorgung der Familienmitglieder sichergestellt.
       
       Rosa Legatis, Sprecherin des niedersächsischen Innenministers Boris
       Pistorius (SPD), sagte dem Evangelischen Pressedienst, wenn Personen ihrer
       Verpflichtung zur Ausreise nicht freiwillig nachkämen, seien sie laut
       Aufenthaltsgesetz abzuschieben. „Diese gesetzliche Rechtsfolge ist
       zwingend, hier haben die Ausländerbehörden keinen Ermessensspielraum.“ Das
       Vorgehen der Celler Ausländerbehörde sei nicht zu beanstanden.
       
       25 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Sechsjaehrige-Romni-mit-Behinderung/!5781738
 (DIR) [2] https://www.nds-fluerat.org/51978/aktuelles/fluechtlingsrat-kritisiert-grundsatzpapier-der-spd-innenministerinnen/
 (DIR) [3] /Abschiebungen-nach-Afghanistan/!5780519
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gernot Knödler
       
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