# taz.de -- Kunsttipps zum Jahresende: Befehl der Sterne
       
       > Verzweigte Arbeiten bei „Stars Down to Earth“ in der Galerie Barbara
       > Weiss. Thomas Fischer zeigt vielschichtige Zeichnungen von Friedemann
       > Heckel.
       
 (IMG) Bild: Installationsansicht „Stars Down to Earth“, Galerie Barbara Weiss, Berlin
       
       Womöglich musste Theodor W. Adorno zunächst einmal nach Los Angeles kommen,
       in diese spirituelle, psychedelische und okkulte Stadt, die nur dank eines
       künstlichen Wassersystems nicht mehr in der Wüste liegt, um sich mit
       Astrologie zu beschäftigen. Der Zweite Weltkrieg war schon vorüber als
       Adorno in den frühen 1950er Jahren aus den Horoskopen der L.A. Times das
       Pseudo-Rationale in der westlichen Massenkultur herauszulesen versuchte,
       das vielleicht auch die Kräfte bis zu der unfassbaren Zerstörung entwickeln
       konnte wie sie gerade erst durch die Nationalsozialisten in Europa
       stattgefunden hatte. Von einer „subtilen, aber höchst bedenklichen
       Abwandlung eines Elements der modernen Tiefenpsychologie“ oder von „der
       allgegenwärtigen Regel, sich den Befehlen der Sterne anzupassen“ schreibt
       Adorno zu den Horoskopen der L.A. Times in seinem Essayband „Stars Down to
       Earth“.
       
       Jetzt, kurz vor der Wintersonnenwende und Weihnachten, wenn wir alle –
       sichtbar oder heimlich – wieder unsere Blicke gen Himmel richten, schlagen
       Künstlerin Sung Tieu und Kurator Nicholas Tammens in der [1][Galerie
       Barbara Weiss] dieses eher unbekannte Adorno-Werk wieder auf. „Stars Down
       to Earth“ heisst auch ihre – ja, sternenförmige – Installation, in der die
       Arbeiten von 19 weiteren Künstler:innen derart unregelmäßig zwischen
       weißen Wänden und zufälligen Einblicken verteilt sind, dass man meint, sie
       folgten schon wieder einem höheren Plan.
       
       Die Liste der zu sehenden Künstler:innen ist prominent, vom
       Konzeptkunst-Altmeister Dan Graham über Willem de Rooij, Ei Arakawa bis
       Kerstin Brätsch. Und alle hören, ob ihm humoristisch widerstrebend oder
       sich mit ihm ernsthaft auseinandersetzend, auf den Befehl der Sterne:
       Andrea Tippel führt den Vorsatz der Gestirne in ihren smarten
       Illustrationen ad absurdum, Christian Jankowski identifiziert in seiner
       Videoprojektion die Astrologie als Popkultur, in Dan Grahams Modell eines
       seiner gläsernen Pavillons könnte man Geister erkennen, aus Kerstin
       Brätschs farbigen Gipswürsten dringen diese geradezu fratzenhaft heraus.
       
       Und während Christian Naujoks Sternkonstellationen vertont, bricht Camilla
       Wills eine ganze Tradition des Spiritualismus in der Farbenlehre auf das
       bloße Material herunter. Wie weit stellen wir uns eigentlich unter den
       vermeintlichen Willen der Gestirne und interpretieren nach ihm Mitmenschen,
       Ereignisse und unser eigenes Tun?, entsteht hier die Frage. Oder um es in
       Adornos abstrakten Worten zu formulieren (übrigens frei aus dem Englischen
       übersetzt): Wird hier „das Nichtbedingte zur Tatsache und das Bedingte zu
       einem unmittelbaren Wesen“?
       
       ## Blicke und Gesten
       
       Seine Zeichnungen hat Friedemann Heckel eigentlich nur für die
       Veröffentlichung seines Buchs „Konversationen“ vor einigen Tagen in der
       [2][Galerie Thomas Fischer] installiert. Doch sie hängen immer noch und
       sind zu einer feinen inoffiziellen Ausstellung geworden. Heckel, der auch
       konzeptionell und in verschiedenen Medien arbeitet, zeigte das letzte Mal
       seine Bilder vor drei Jahren bei Fischer. Damals waren es Aquarelle,
       handgefertigte Reproduktionen von Instagram-Posts, auf denen junge Menschen
       in dem seltsam-psychischen Terrain zwischen Exhibitionismus und
       Selbstfindung lasziv posierten. Jetzt sind aus den Aquarellen reine
       Zeichnungen geworden. Schwarze Linie auf weißem Papier. As simple as that.
       
       Und: As complex as that. Mit klaren Konturen setzt Heckel Personen in einem
       luftleeren Raum, ohne sie zu identifizieren, aber in einer psychologischen
       Vielschichtigkeit. Seine Zeichnungen zeigen häufig intime,
       zwischenmenschliche Momente. Sex bleibt nur angedeutet, ebenso das
       Geschlecht der Portraitierten. Stattdessen kommunizieren sie über Blicke
       und Gesten, mal miteinander, mal mit Dir.
       
       Dabei verzerrt Heckel seine Figuren auf psychedelische Weise, macht
       Gegenstände zu Gliedmaßen, Gedanken zu zwirbelnden Kopffortsätzen, er lässt
       Körperteile verschwinden, verdoppeln, vergrößern. Etwas Suchendes tritt aus
       diesen Figuren hervor, in der melancholischen Verlorenheit eines „Mann, der
       vom Himmel fiel“.
       
       17 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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