# taz.de -- Repaircafés in Berlin: Das geht doch noch!
       
       > In Berlin fallen jährlich 70.000 Tonnen Sperrmüll an. Repaircafés und
       > weitere Initiativen versuchen, dem Müll ein zweites Leben zu geben.
       
 (IMG) Bild: Kein Müll, alles noch zu benutzen. Nachdem Ulrich Panzer es in seinem Laden fit gemacht hat
       
       Berlin taz | Ist hier das Repaircafé?“ Eine Frau mit einer Tischlampe steht
       schüchtern in der Tür. „Als sie kaputtgegangen ist, hab ich geheult“,
       erzählt die Frührentnerin, die sich als Alexandra S. vorstellt. Wenig Geld
       habe sie, zudem beschäftige sie sich mit Handarbeit. „Und dafür brauche ich
       die Lampe dringend.“ Kein Problem für Eric Schulz vom Repaircafé Mitte, der
       mit drei Kollegen kostenlos Hilfe anbietet. 15 Minuten dauert es, dann
       strahlt Frau S. wie ihre Lampe.
       
       Insgesamt kommen an diesem Abend zehn Hilfesuchende ins Repaircafé im Haus
       der Statistik. Obwohl das Konzept will, dass man unter Anleitung selbst
       schraubt, greifen oft die Helfer zum Werkzeug – geht eben schneller so.
       
       Jan Siero hält das mit dem Helfen allerdings anders: „Viele Leute, die
       hierher kommen, haben noch nie einen Schraubenzieher in der Hand gehabt“,
       sagt er. Er will, dass die Leute erfahren, dass sie das selber können. Was
       meist glückt, weshalb Siero auch nach zehn Jahren immer noch motiviert ist,
       das Café einmal im Monat zu organisieren: „Es ist schön zu sehen, dass die
       Leute was auseinanderschrauben und reparieren können.“
       
       Nach einer aktuellen Studie, die die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt,
       Verkehr und Klimaschutz zusammen mit [1][Ebay Kleinanzeigen in Auftrag
       gegeben] hat, befinden sich bundesweit in fast neun von zehn Haushalten
       (88 Prozent) ungenutzte Produkte (in Berlin: 82 Prozent). Sie haben
       zusammen einen geschätzten Gesamtwert von 52,6 Milliarden Euro.
       
       ## Keine Muße, keine Zeit
       
       Schade um die Dinge. Die nicht selten belasten. Der Kram nimmt Platz weg,
       außerdem sendet er eine nervige Botschaft aus: Mach was mit mir!
       
       Wer aber repariert so was noch, wem kann ich das andrehen, oder lohnt sich
       doch der Verkauf auf Plattformen wie Ebay, und wann hab ich dafür Zeit?! –
       Viel zu viel Kopftheater um einen alten Rührstab. Und so landet er wie viel
       anderes Zeug häufig im Müll. Laut der oben erwähnten Studie entscheiden
       sich 43 Prozent der Berliner*innen dafür (bundesweit: 50 Prozent).
       
       Für Silvia M. kommt das nicht infrage. Für sie ist Nachhaltigkeit wichtig.
       Und so besucht sie das Repaircafé Mitte nun schon den zweiten Monat in
       Folge, um einen Wasserkocher zu reparieren. Leider reicht das besorgte
       Ersatzteil nicht aus. Ein Plastikteil muss noch geklebt werden – und über
       Nacht trocknen. Silvia aber gibt nicht auf. „Ich komme nächsten Monat
       wieder.“
       
       ## Man muss sich nicht sofort trennen
       
       Carmen H., die mit gleich drei defekten drahtlosen Telefonen und
       selbstgebackenen Streuselschnecken erscheint, fällt es schwer, sich von
       Dingen zu trennen. Was sie aber eigentlich gern würde. „Das muss ich doch
       wegschmeißen, oder?“, fragt sie nicht nur einmal. Aber Eric Schulz ist
       Reparateur und kein Scheidungsanwalt. „Wenn Sie die reinigen und nen neuen
       Akku kaufen, dann geht das wieder.“
       
       Jede*r zweite Befragte, so die bereits genannte Studie, wünscht sich unter
       anderem mehr Annahmestellen für Gebrauchtes. Zu diesem Schluss kam man auch
       bei einem Pilotprojekt auf einem Recyclinghof der Berliner Stadtreinigung
       2018, bei dem Bürger*innen aus der Umgebung aufgefordert wurden, noch
       brauchbare Dinge für Re-Use-Zwecke zu spenden.
       
       „Schon nach eineinhalb Tagen geriet die Annahmestelle an ihre
       Kapazitätsgrenzen“, berichtet Frieder Söling aus dem Ideenlabor der BSR. 90
       Prozent der Spenden konnten am Ende wiederverwendet werden. Ein Erfolg, der
       der BSR den Anlass gab, das [2][Konzept der NochMall] zu entwerfen, ein
       großes Kaufhaus für Gebrauchtwaren, dessen Geschäftsführer Frieder Söling
       heute ist.
       
       Auf drei Recyclinghöfen sowie am Kaufhaus selbst können gut erhaltene
       Gebrauchtwaren der NochMall gespendet werden. Diese werden sortiert,
       gereinigt und teilweise auf Funktionstüchtigkeit und Sicherheit überprüft.
       Das Konzept scheint aufzugehen. Der Kundschaft gefällt, dass die NochMall
       „gar nicht aussieht wie ein Secondhand-Kaufhaus“.
       
       Das Lager ist gut gefüllt. Im Jahr 2020 wurden innerhalb von vier Monaten
       mehr als 100 Tonnen Sperrgut zur Wiederverwertung gesammelt und damit mehr
       als 40.900 Kilo CO2 vermieden. Und das soll in den nächsten Jahren noch
       wesentlich mehr werden.
       
       Hört sich gut an. Gemessen an den rund 70.000 Tonnen Sperrmüll, die jedes
       Jahr in Berlin anfallen und von denen etwa 7.000 Tonnen verbrannt werden,
       wären aber auch 1.000 Tonnen gerettetes Gut leider immer noch Peanuts.
       
       ## Die Frage der Klimabilanz
       
       Lässt sich mit solchen Projekten also tatsächlich die Berliner Klimabilanz
       aufbessern? Thomas Schwilling von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr
       und Klimaschutz zeigt sich optimistisch. Zurzeit würden durch die
       Re-Use-Maßnahmen im Land Berlin schätzungsweise mehr als 30.000 Tonnen an
       schädlichen Klimagasen pro Jahr eingespart, meint er. „Ich gehe davon aus,
       dass sich das in den nächsten Jahren verdoppeln lässt.“
       
       Mit dem im Juni beschlossenen Abfallwirtschaftskonzept will Berlin [3][in
       den nächsten zehn Jahren zur „Zero-Waste-City]“ werden, bestehende
       Re-Use-Projekte werden ausgebaut und weitere entwickelt. So ist zum
       Beispiel ein Baumarkt mit Restmaterialien und Gebrauchtwaren geplant. Auch
       ist angedacht, T-Shirts und Sweatshirts der Berliner Polizei aus recyceltem
       Material herzustellen – in Berlin fallen im Jahr 67.000 Tonnen gebrauchte
       Textilien an. Auch setzt das Land auf Akteure der Re-Use-Szene.
       
       Zum Beispiel Repaircafés. Die sollen in einem Reparatur-Netzwerk mit
       Vertreter*innen der Handelskammer und professionellen Reparaturläden
       mehr Geräte vor dem Müll und die Berliner Luft vor giftigen Gasen bewahren.
       
       Klingt toll. Aber bringt das auch den gewünschten Effekt?
       
       Jan Siero vom Repaircafé Mitte macht sich hier keine Illusionen. Zwar
       würden circa 70 Prozent der Geräte repariert. „Das, was wir hier machen,
       ist aber ein Tropfen auf den heißen Stein.“
       
       „Ich glaube, das ist hier die falsche Stelle“, sagt auch sein Kollege
       Christian Hopf, „das müsste ja politisch gewollt sein, dass die Dinge
       anders konzipiert und langfristig reparierbar sind.“ Damit sich eine
       Reparatur lohnt, müsse dringend etwas gegen Billigpreise getan werden. „Die
       Preise, die man zahlt, sind ja nicht real.“ Die sozialen und ökologischen
       Kosten müssten mit eingepreist sein. Danach sehe es aber nicht aus, dass
       ernsthaft auf Nachhaltigkeit gesetzt werde. Wachstum bleibt das Ziel. Hopf:
       „Ja. Das lässt einen leicht verzweifeln.“
       
       ## Gemeinsam Gutes tun
       
       Angesichts dessen ist es gut, dass man sich beim Tüfteln etwas ablenken
       kann und wenigstens im Kleinen Gutes tut. Für Jan Siero ist zudem der
       Gemeinschaftsaspekt im Repaircafé wichtig: „Ich find’s einfach schön, mit
       den Leuten zusammenzuarbeiten.“
       
       Ein ähnliches Motiv treibt auch Ana Lichtwer an. Sie arbeitet für die
       Berliner Stadtmission im [4][Haus der Materialisierung], das vom Senat
       geförderte Re-Use-Zentrum. Im Textilhafen der Stadtmission werden unter
       anderem gebrauchte Textilien angeboten, die in einer Textilwerkstatt mit
       oder ohne Anleitung weiterverarbeitet werden können. Auch die anderen
       Initiativen im Haus bieten neben der Materialvermittlung Hilfe zur
       Selbsthilfe an. Hier werden etwa gemeinsam Möbel und Fahrräder gebaut,
       Dinge verliehen und getauscht, Boxershorts genäht und Hochbeete bepflanzt.
       
       Ob sich hierbei wesentlich CO2 sparen lässt, ist zweifelhaft. Ana Lichtwer
       aber ist überzeugt, dass es um mehr gehe: um gemeinschaftliche Kooperation,
       Solidarität und Bildung. Das Re-Use-Zentrum sei nicht nur gut für die
       Umwelt, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
       
       ## Das Geld sinnvoll ausgeben
       
       Zumindest profitiert der Einzelne davon. Im Repaircafé Mitte, das ebenfalls
       im Haus der Materialisierung im Haus der Statistik stattfindet, wird nicht
       nur glücklich, wer Hilfe bekommt. Nach dem Grund ihres Engagements gefragt,
       antworten die Ehrenamtlichen, dass sie „neugierig“ sind, „was alles
       hergebracht wird“ und „wie es da drinnen aussieht“. Hier erfreuen sich also
       passionierte Tüftler an neuen Herausforderungen.
       
       Eine ausgeprägte Leidenschaft für die Geheimnisse menschengemachten Geräts
       ist auch Ulrich Panzers Lebenselixier. Panzers Laden „Feine Mechanik und
       Design“ in Charlottenburg ist eine gute Adresse für alle, die keine Zeit
       für ein Repaircafé haben, für die Reparatur aber Geld ausgeben wollen.
       
       Seit 20 Jahren repariert Panzer in der Pestalozzistraße fast alles, was ihm
       zwischen die Finger kommt, vor allem Lampen, Espressomaschinen und kleine
       Küchengeräte, die kein Fachmensch mehr reparieren mag. Oft scheitert eine
       Reparatur auch an fehlenden Ersatzteilen. Panzer stellt diese oft selbst
       her.
       
       ## Bewusstes Konsumieren hilft
       
       Für Panzer fängt das Problem beim Einkauf an. Hier solle man sich das
       Produkt erst mal genau anschauen. Viele Gehäuse seien nur gepresst und
       ließen sich nach dem Öffnen nicht mehr zusammenbauen. Auch sei es meist
       besser, Markenprodukte zu kaufen, da wäre die Chance, ein Ersatzteil zu
       bekommen, wesentlich höher.
       
       Dass der Berliner Senat prüft, die Reparatur alten Geräts mit einer kleinen
       Prämie zu fördern, so wie das schon in Thüringen der Fall ist, nimmt der
       77-Jährige aber nur schulterzuckend zur Kenntnis. „Was fehlt, sind Leute,
       die so was machen“, weiß er. Seine Kundschaft bittet ihn jedenfalls oft,
       nicht in Rente zu gehen.
       
       Übrigens: Panzer selbst gibt sich nur mit wenig Dingen ab. Er weiß: „Alles,
       was man nach Hause trägt, belastet einen.“
       
       4 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://medien.ebay-kleinanzeigen.de/circular-economy-2021/
 (DIR) [2] https://www.nochmall.de/
 (DIR) [3] /Neues-Abfallwirtschaftskonzept/!5776984
 (DIR) [4] https://www.berliner-stadtmission.de/re-use-zentrum
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karlotta Ehrenberg
       
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