# taz.de -- Generationenkonflikt ums Klima: Alles zu verlieren, keine Stimme
       
       > Können, ja müssen Eltern und Großeltern im Sinne ihrer Kinder und
       > Enkel:innen wählen? Oder wie sichert man sonst deren Teilhabe?
       
 (IMG) Bild: Auf die Straße gehen ja, Wählen nein: Fridays-for-Future-Protest in Berlin im November 2019
       
       Berlin taz | „Was wünschst du mir für meine Zukunft?“ Diese Frage, sagt
       Anne Risse, sei ein guter Einstieg in das Gespräch mit ihrer Mutter
       gewesen. [1][Anne Risse ist Jahrgang 1998, ihre Mutter 1960 geboren.]
       Politisch seien ihre Eltern schon immer gewesen, sagt die Studentin, aber
       nicht unbedingt interessiert an Umwelt- und Klimaschutz. Also hat sich die
       Fridays-for-Future-Aktivistin und Greenpeace-Praktikantin von ihrem
       zeitweiligen Arbeitsplatz ein Kartenspiel mitgenommen, Name: „Der
       Generationendialog“.
       
       Die Sozialwissenschaftlerin und Campagnerin Gianna Martini hat sich dieses
       Spiel ausgedacht. Greenpeace hat es nicht nur auf Anfrage verschickt,
       sondern ist damit auch durch 50 deutsche Städte getourt. Das Wichtigste
       dabei sei gewesen, sich gegenseitig zuzuhören, deutlich zu machen: „Das
       interessiert mich, was du zu sagen hast“, sagt Martini. Auch für die
       meinungsstarken Mitarbeiter:innen von Greenpeace sei die Idee neu
       gewesen: „Normalerweise hören wir ja nicht zu, sondern stellen
       Forderungen.“ Aber es sei eben ein Unterschied, ob man mit den Eltern oder
       Großeltern spreche [2][oder mit einem Ölkonzern].
       
       Nicht nur Greenpeace hat sich in diesem Wahlkampf intensiv damit
       auseinandergesetzt, dass die vom Thema Klimawandel besonders betroffenen
       Jahrgänge deutlich weniger Wähler:innen stellen als die älteren. 14,4
       Prozent der Wahlberechtigten sind unter 30 Jahre alt, 38,3 Prozent über 60.
       Der Youtuber Rezo hat deswegen in seinem [3][„Zerstörer-Video“] vor allem
       die Älteren beschworen, sie sollten bitte die Interessen der Jungen an mehr
       Klimaschutz wahrnehmen. Die Initiativen Fridays for Future und German Zero
       sind Partner der „Enkelkinderbriefe“, in denen Kinder sich mit
       Satzbausteinen an ihre Großeltern wenden können. Die Idee dahinter: „Mit
       dem Brief-Generator findest du die richtigen Argumente, um deine Großeltern
       um ihre Stimme zu bitten“ – so die Website.
       
       Die Umsetzung der Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien
       bringe Deutschland derzeit nicht auf die 1,5-Grad-Linie, stellte das
       Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung jüngst fest, am nächsten kommen
       ihr nach der DIW-Analyse die Grünen. Wer also intensiv zu einer „Klimawahl“
       aufruft – der wirbt indirekt für Baerbock und Co. Ist das ein legitimes
       Anliegen der Jüngeren oder schäbiger Agitprop?
       
       ## Die Sorgen der Kinder
       
       Der Enkeltrick sei „ein bewährtes Instrument aus dem Baukasten totalitärer
       Regime“, befand der Autor Alexander Grau in der konservativen Zeitschrift
       Cicero, und auch Zeit Online regte sich auf über die Aktion: „Kinder müssen
       gar nichts, schon gar nicht in einen politischen Dialog mit ihren
       Großeltern treten“, befand das Medium, es sei Zeit, die „Jüngsten der
       Gesellschaft einfach mal in Ruhe zu lassen“.
       
       Daniel Grein schnappt am Telefon hörbar nach Luft. „So kann nur reden, wer
       glaubt, dass Kinder keine Sorgen haben“, sagt der Geschäftsführer des
       Deutschen Kinderschutzbundes, „sie haben aber Sorgen.“ Kinderarmut sei ein
       gravierendes Problem. „Soll ich den betroffenen Kindern sagen, wartet mal
       20 Jahre, dann seid ihr groß und könnt das angehen?“, fragt Grein. Mit dem
       Klimawandel sei es das Gleiche. „[4][Das betrifft die Kinder und
       Jugendlichen], und sie haben keine Möglichkeit, politisch etwas dagegen zu
       tun.“
       
       Max Schulte befasst sich am Institut für Politikwissenschaften der
       Universität Münster mit sozialen Bewegungen. Die Erzählung von der
       Klimakrise als einem übergroßen Problem, die Idee, „wir müssen etwas
       machen, sonst gehen wir unter“, sei nicht neu, sagt Schulte. [5][Auch die
       Umwelt- und Friedensbewegung der 70er und 80er Jahre kannte diese Erzählung
       als Angst vor einem Atomkrieg oder einem atomaren Unfall]. „Das birgt immer
       die Gefahr, ein Problem als absolut zu setzen und es gegen andere
       auszuspielen, etwa Klima- gegen Sozialpolitik“, sagt Schulte. Darum sei es
       ein großer Fortschritt in der Debatte, dass das Thema Klimagerechtigkeit
       bei Fridays for Future und auch in der Umweltbewegung insgesamt stärker
       geworden sei.
       
       ## Wie misst sich Erfolg?
       
       Mit seinen Studierenden hat der 40-jährige Sozialwissenschaftler die jungen
       Klimademonstrant:innen interviewt und sie nach ihrer Motivation
       gefragt. „Vor allem sind sie empört“, sagt Schulte, „weil sie die
       wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel sehen und finden, da
       muss man doch was machen.“ Das Moment des „Wie könnt ihr das nur
       ignorieren“ sei ganz stark.
       
       Der Einfluss der Jugendlichen, die zum Klimastreik gingen, bemesse sich
       auch daraus, wie sie auf andere Personengruppen wirkten. „Sie haben dem
       Thema Klimaschutz in der Gesamtbevölkerung eine neue Bedeutung verliehen“,
       sagt Schulte, „Erfolg bemisst sich ja nicht nur daran, ob eine soziale
       Bewegung die politische Programmatik von Parteien beeinflusst oder ob ihre
       Mitglieder Einzug in die Parlamente halten.“
       
       Das sieht Daniel Grein vom Kinderschutzbund ganz anders. „Die Kinder und
       Jugendlichen haben in den vergangenen Jahren ausführlich von ihrem
       Demonstrationsrecht Gebrauch gemacht“, sagt er. Wenn das irgendjemand in
       Parlament oder Regierung ernst nehmen würde, „sähe die Politik doch anders
       aus, oder?“, fragt er.
       
       Am Ende sei es eben doch entscheidend, wer im Parlament sitze und in der
       Regierung die Entscheidungen treffe. Daher müsse das Wahlalter abgesenkt
       werden auf 14 Jahre. In diesem Alter würden die Jugendlichen
       religionsmündig, „darauf können sich viele einigen“, sagt Grein. Außerdem
       gehörten Kinderrechte ins Grundgesetz. „Man sieht ja, was das Staatsziel
       Umweltschutz bewirken konnte“, sagt Grein.
       
       [6][Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung dazu verurteilt],
       ihre Klimaschutzgesetzgebung zu verschärfen. Es begründete seine
       Entscheidung mit der in der Verfassung festgeschriebenen Pflicht, die
       natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu sichern. „Hätten
       auch Kinderrechte Verfassungsrang“, sagt Grein, „könnte das eine ähnliche
       Wucht entfalten.“ SPD, Grüne und Linkspartei seien dafür, Kinderrechte so
       festzuschreiben, CDU und FDP würden das Thema in ihren Wahlprogrammen nicht
       explizit erwähnen, die AfD sei dagegen.
       
       ## Wo sie Einfluss nehmen können
       
       Es gehe darum, den Jugendlichen die Möglichkeit zu politischer Teilhabe zu
       geben und ihnen zu zeigen, wo überall sie Einfluss nehmen können, sagt
       Oliver Wagner. Wagner ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Energiepolitik
       am Wuppertal Institut und leitet das Projekt Schools for Future. „Viele
       Gemeindeordnungen erlauben es Jugendlichen, Anträge an den Gemeinderat zu
       stellen“, sagt Wagner, „das wissen häufig weder die Schüler noch die
       Lehrer.“
       
       Die Schulen hätten im Rahmen der politischen Bildung häufig nur den
       Bundestag, höchstens noch den Landtag im Blick. Doch auch auf der Ebene der
       Kommunen könnten Bürger:innen viel für den Klimaschutz erreichen. „Die
       Jugendlichen sollten in die Gemeinderatssitzungen gehen“, sagt Wagner. Für
       ihre Interessen, glaubt der Vater zweier Töchter, müssten die Jugendlichen
       schon selbst einstehen. „ ‚Opa, gib mir deine Stimme?‘ – ich glaube nicht,
       dass da viel bei rauskommt.“
       
       Allerdings, wendet Schulte von der Uni Münster ein, wählten „Menschen ja
       nicht nur im Hinblick auf ihre eigene Betroffenheit“. Man könne reich sein
       und trotzdem Parteien wählen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen,
       und genauso könne man auch alt sein und sich für Klimaschutz interessieren.
       
       Jana Rosenbaum aus Osnabrück hat das Greenpeace-Kartenspiel mit ihren
       Großeltern gespielt. Je länger es gedauert habe, desto mehr Spaß habe es
       gemacht, sagt die 15-Jährige, „unsere Antworten sind immer länger
       geworden“. Ob Oma, Ende 50, und Opa, Mitte 60, nach dem Gespräch ihre
       Kreuzchen am Sonntag bei einer anderen Partei machen, hat sich die Enkelin
       nicht zu fragen getraut. Sie hoffe, dass es eine Partei ist, die
       „nachhaltige Politik macht und Klimaschutz ernst nimmt“, sagt Jana
       Rosenbaum. Aber eigentlich, sagt sie, hätte sie gerne selbst gewählt:
       „Warum muss ich andere überzeugen, für mich abzustimmen? Ich möchte selbst
       entscheiden, das ist meine Zukunft.“
       
       24 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
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