# taz.de -- Dokuserie über SPD-Vize Kevin Kühnert: Ermüdender Alltag
       
       > Drei Jahre lang begleitete ein NDR-Team Kevin Kühnert, wie er vom
       > Juso-Vorsitzenden zum SPD-Parteivize wurde. Langzeitstudie einer
       > politischen Karriere.
       
 (IMG) Bild: Held:innenreise mit Kevin Kühnert
       
       28. Oktober 2018, Landtagswahl in Hessen. Ein paar Jusos sitzen im
       Halbkreis und starren fassungslos auf einen Fernsehbildschirm. Die Kamera
       ruht auf Kevin Kühnerts Gesicht, als im Fernsehen das „schlechteste
       Ergebnis seit 1946“ für seine Partei verkündet wird. „Das ist bitter, liebe
       Genossinnen und Genossen.“
       
       Was beginnt wie die Hollywoodgeschichte eines Underdogs, der es nach der
       Niederlage später im Film allen zeigt, ist in Wirklichkeit die politische
       Geschichte von Kevin Kühnert, erzählt in der NDR-Dokuserie „Kevin Kühnert
       und die SPD“. In sechs Teilen begleiten die Regisseur:innen Katharina
       Schiele und Lucas Stratmann den Juso-Chef (und später stellvertretenden
       Vorsitzenden) [1][Kevin Kühnert] durch die jüngste Geschichte der SPD.
       
       Vom Tiefpunkt Bundestagswahl 2017 zum zweiten Tiefpunkt Europawahl 2019
       (Kühnert: „un-fucking-fassbar“), Andrea Nahles’ Rücktritt als
       Parteichefin, die aufwendige Wahl einer neuen Doppelspitze bis zum
       unerwarteten Gewinnen der Bundestagswahl 2021: Kühnert wird auf Schritt und
       Tritt verfolgt. Man bekommt einen guten Einblick, wie Alltag und Strategie
       eines aufstrebenden Politikers funktionieren. Aber leider auch das Gefühl,
       dass das nur begrenzt interessant mit anzusehen ist.
       
       Kevin Kühnert kann als [2][der aufstrebende „Star“ der SPD] bezeichnet
       werden. Als besonders charismatisch und progressiv gilt er seit seiner Zeit
       als Juso-Chef – einer, der die sozialdemokratischen Grundwerte noch nicht
       vergessen hat und die jungen Wähler:innen zurückholen kann. Dass er die
       Hauptrolle spielen darf in der Geschichte über den Kampf der SPD zurück an
       die Spitze, verwundert nicht.
       
       ## Behind-the-Scenes-Gefühl
       
       Oft kommt dabei ein richtiges Behind-the-Scenes-Gefühl auf. Zum Beispiel
       bei der Besprechung der Jusos nach der verhunzten Bundestagswahl 2017.
       Kühnert, der sich immer wieder GroKo-kritisch geäußert hat, muss sich
       positionieren. Rauchend und mit tiefen Augenringen steht er auf dem Balkon
       der Parteizentrale und sagt Sätze ins Telefon, wie: „Wir haben zwei
       Scheißoptionen“, „Politik orientiert sich nicht an einem,Wünsch dir was'“
       oder „Ein klares Jein“.
       
       In solchen Momenten fühlt sich das Ganze wirklich an wie ein exklusiver
       Bericht aus dem Inneren: So war das also! Auch sonst hat die Doku ihre
       Momente. Ein Tag nachdem Kühnert sich 2019 in einem Interview mit der Zeit
       dafür ausgesprochen hatte, Firmen wie BMW zu kollektivieren, gibt es viel
       schlechte Presse. Kühnert und Juso-Pressesprecher Benjamin Köster laufen
       durch den Berliner Hauptbahnhof. Erst entdecken sie Ex-SPD-Chef Franz
       Müntefering: „Gott sei Dank hat der uns nicht gesehen.“ Draußen suchen sie
       den Leihwagen: „Gott sei Dank kein BMW!“
       
       ## Stressig und unspektakulär zugleich
       
       Wenig später sitzt der „Königsmacher“ Kühnert vor Norbert Walter-Borjans
       und Saskia Esken, die er für die anstehende Wahl der neuen
       Parteidoppelspitze berät. Er hält sie an, Leidenschaft für das Amt
       auszustrahlen. „Ihr habt Lust“, sagt Kühnert, und drückt mit den
       Zeigefingern seine Mundwinkel hoch. Die Anwärterinnen blicken ihn
       ausdruckslos an.
       
       Der Stil der Doku ist zurückgenommen: Kein Offkommentar, keine Gespräche
       mit Kühnert, er schaut nicht mal in Richtung Kamera. Das Geschehen soll für
       sich selbst sprechen. Nur scheint es, hat das Geschehen oft nicht viel zu
       sagen. Der politische Alltag ist ganz schön ermüdend: Kühnert blickt
       besorgt auf Bildschirme, Kühnert fährt mit dem Zug in die Provinz zu
       Ortsverbänden, Kühnert beim Smalltalk in Kongresshallen, Kühnert im
       Fernsehen, Kühnert checkt sein Facebook, Kühnert twittert. Irgendwann hat
       man sich an die Abläufe gewöhnt, die gleichzeitig irre stressig und
       unspektakulär sind.
       
       ## Die Reise ist nicht neutral
       
       Wirklich nur den politischen Prozess abbilden zu wollen, das nimmt man der
       Serie nicht ganz ab. Die Held:innenreise verrät sich: über die Musik.
       Die ist spannungsreich, wenn die Hochrechnung kommt, es spielen traurige
       Klavierklänge bei der Niederlage und epische Musik nach der erfolgreichen
       Rede zum SPD-Applaus.
       
       „Kevin Kühnert und die SPD“ will hinter Kulissen schauen, ist aber selbst
       auch eine Inszenierung von Politik. Man will neutral beobachten, fiebert
       aber gleichzeitig mit. Von Kühnert kann man dabei kaum eine neue Seite
       entdecken, als er sonst auch in der Öffentlichkeit zeigt. Lohnt sich die
       Dokumentation also, um Politik und SPD ein Stück näherzukommen? Ein klares
       Jein.
       
       4 Oct 2021
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Emeli Glaser
       
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