# taz.de -- Osteuropäische Filme in Venedig: Erlösung vom Terror
       
       > Nicht immer unbedingt plausibel: Folterer mit schlechtem Gewissen,
       > Traumaverarbeitung und Friedenstauben bei den Filmfestspielen von
       > Venedig.
       
 (IMG) Bild: Um Schuld und Wiedergutmachung geht es in Walentyn Wassjanowytschs Film „Reflection“
       
       Aus Osteuropa kommen Signale der Gewalt und Zeichen der Hoffnung. Gleich
       zwei Filme im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig erzählen von Krieg
       und Folter – und vom Christentum. In Walentyn Wassjanowytschs „Reflection“
       ist es der gegenwärtige Krieg im Donbass der Ostukraine, bei „Captain
       Volkonogov Escaped“ von Natascha Merkulowa und Alexei Tschupow spielt die
       Handlung in einer fiktionalisierten Sowjetunion zur Zeit des Stalinismus.
       
       „Reflection“ ist [1][der zweite Film Wassjanowytschs über den Donbass in
       Venedig, nachdem er 2019 in der Sektion Orizzonti mit seinem
       Science-Fiction-Nachkriegsdrama „Atlantis“ vertreten war]. In „Reflection“
       hingegen ist der Krieg noch nicht vorüber, und der Arzt Serhiy (Roman
       Lutskyi) muss in seinem Alltag Kriegsopfer auf dem OP-Tisch retten.
       
       Er ist von seiner früheren Partnerin getrennt, deren neuer Freund kämpft im
       Krieg. Als er es diesem schließlich gleichtut, gerät er bei einem Einsatz
       auf dem Gebiet der selbstproklamierten „Volksrepublik Donezk“ in
       Kriegsgefangenschaft.
       
       Serhiy muss in seiner Eigenschaft als Arzt fortan gegen seinen Willen die
       bewaffneten Kräfte beim Foltern unterstützen und prüfen, ob die Gefangenen
       noch am Leben sind. Wie schon in „Atlantis“ inszeniert Wassjanowytsch
       seinen Film in horizontal ausgerichteten Tableaus, die leblosen Gefangenen
       etwa liegen wie auf einem Altar im Gefängniskeller. Nach einem erzwungenen
       Geständnis kommt Serhiy frei.
       
       ## Christliche Symbole
       
       Wassjanowytsch verwendet bei Serhiys anschließender Traumaverarbeitung
       weitere christliche Symbole. Einige in sehr massiver Form. So lässt er eine
       Taube gegen Serhiys Wohnzimmerfenster fliegen, später wird diese von ihm
       und seiner Tochter ritualartig verbrannt. Der Vater erzählt dabei von den
       Vor- und Nachteilen von Christentum und Buddhismus, was das Verhältnis von
       Körper und Seele betrifft. Die Tochter reagiert, indem sie Seiten einer
       gefundenen Kinderbibel zum Feueranfachen verwendet.
       
       Wassjanowytsch erzählt mehr in Bildern als in Dialogen, doch wo er in
       „Atlantis“ die Fragen der Gewalt indirekt und offen von ihren Folgen her
       betrachtete, geht es in „Reflection“ stärker um Schuld und
       Wiedergutmachung. Was den Film etwas zu überfrachten droht.
       
       Ähnlich verhält es sich bei „Captain Volkonogov Escaped“. In diesem Fall
       ergreift ein Mitarbeiter des sowjetischen Innenministeriums NKWD, der
       titelgebende Kapitän Wolkonogow (Juri Borissow), eines Tages mitten während
       einer internen „Säuberungsaktion“ die Flucht und wird so innerhalb von
       Sekunden zum Gejagten.
       
       Wolkonogow gehörte zu einer Abteilung, die unschuldig Verhaftete foltert
       und sie zu Geständnissen von Taten zwingt, die sie nicht begangen haben.
       Einer von Wolkonogows ehemaligen Kollegen, der kurz vor dessen Flucht
       exekutiert worden war, erscheint ihm darauf aus dem Jenseits und warnt ihn,
       er müsse mindestens einen Angehörigen der unschuldig Getöteten finden,
       damit er nicht, wie alle anderen seiner Abteilung, in der Hölle landet.
       
       ## Um Erlösung bemüht
       
       Wie Wolkonogow sich dann um seine Erlösung bemüht, ist nicht vollkommen
       plausibel – er sucht die Angehörigen der Ermordeten auf, verkündet ihnen,
       dass die Hinrichtung ein Versehen war, und händigt ihnen deren
       Todeszertifikate aus. Unter stalinistischen Bedingungen müsste das
       eigentlich für die Angehörigen ebenfalls das Todesurteil bedeutet haben.
       
       Doch Plausibilität ist nicht das vornehmste Anliegen dieses Films, der in
       wohlkomponierten Einstellungen mitunter von der Brutalität des Folterns
       abstrahiert und die rotuniformierten NKWD-Schergen beim Chorsingen und
       Kasatschoktanzen zeigt. Sieht fantastisch aus. Ob das der Sache angemessen
       ist, ist eine andere Frage.
       
       9 Sep 2021
       
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