# taz.de -- Hamburger Folteropfer Achidi John: Verdrängt und vergessen
       
       > Am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg verstarb 2001 ein
       > 19-Jähriger nach dem Einsatz von Brechmitteln. Bis heute gibt es keine
       > Aufarbeitung.
       
 (IMG) Bild: 2001 führte Olaf Scholz in Hamburg Brechmitteleinsätze ein. Das Bild zeigt eine Demo im Jahr 2013
       
       Hamburg taz | [1][Achidi John] wurde am 8. Dezember 2001 im Hamburger
       Stadtteil St. Georg festgenommen. Der Verdacht gegen ihn: Drogenhandel. In
       der Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) sollte dem
       19-jährigen Nigerianer eine Magensonde eingeführt werden, doch John
       leistete Widerstand.
       
       Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt, fünf Polizisten fixierten seine
       Beine und drückten seinen Oberkörper zu Boden. Währenddessen flößte ihm
       eine Rechtsmedizinerin mit der Magensonde 30 Milliliter des Brechsirups
       Ipecacuanha und 800 Milliliter Wasser ein. Infolgedessen fiel John ins
       Koma. Vier Tage später wurde die intensivmedizinische Behandlung
       abgebrochen und John verstarb noch im Krankenhaus.
       
       Fast 20 Jahre ist das her. Die Initiative zum Gedenken an Achidi John
       fordert nun, am UKE einen Gedenkort für die Menschen zu schaffen, die
       Opfer von Brechmitteleinsätzen geworden sind. „In den Räumen des Instituts
       für Rechtsmedizin ist gefoltert worden“, sagt der Sprecher der Initiative,
       Daniel Manwire, gegenüber der taz. Eine Entschuldigung seitens des UKE sei
       bisher ausgeblieben.
       
       In einem Brief hatte die Initiative das Klinikum Mitte Juli nach dem
       aktuellen Stand der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen gefragt.
       „Die Antwort des UKE war eine Unverschämtheit“, sagt Manwire. Das
       Krankenhaus verweist in dem Schreiben, das der taz vorliegt, auf
       schriftliche Anfragen der Hamburger Bürgerschaft, die zum Teil Jahrzehnte
       alt sind. Das einzige aktuelle Dokument vom Juli 2021 erläutert die
       technischen Abläufe beim Einsatz von Brechmitteln.
       
       ## Europäischer Gerichtshof beendet Scholz' Politik
       
       530-mal wurden dem Schreiben zufolge in den Jahren von 2001 bis 2006
       Brechmittel am UKE eingesetzt, zum Teil erzwungen. Mit der Aufarbeitung der
       Geschehnisse setzt sich das Dokument in keinem Wort auseinander. Auch auf
       die Anfrage der taz zur Aufarbeitung der Brechmitteleinsätze antwortete das
       UKE nicht. Ein Gedenkort sei jedenfalls nicht geplant.
       
       Der zwangsweise Einsatz von Brechmitteln zur Sicherung von verschluckten
       Drogen war 2001 vom damaligen Hamburger Innensenator und heutigen
       SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz eingeführt worden. Während andere
       Bundesländer den Einsatz von Brechmitteln nach dem Tod Achidi Johns
       aussetzten, wurde in Hamburg einfach weitergemacht. Bis 2006, denn dann gab
       es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Der
       zwangsweise Einsatz von Brechmitteln ist demnach eine Foltermethode und
       daher menschenrechtswidrig.
       
       Daniel Manwire ist schleierhaft, warum am Hamburger UKE keine Aufarbeitung
       stattgefunden hat. „Dass solche Praktiken gegen die Menschenrechte
       verstoßen, wurde vom UKE lediglich zur Kenntnis genommen. Zu keinem
       Zeitpunkt hat man reflektiert, dass dort Menschen gefoltert wurden.“ Für
       ihn sei es kein Zufall, dass die meisten Opfer schwarze junge Männer aus
       Afrika waren: „Die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln war eine
       Fortführung der rassistischen Drogenpolitik, die damals wie heute in
       Hamburg betrieben wird“, sagt Manwire.
       
       Vor zwei Jahren erschütterte ein weiterer Todesfall im UKE die schwarze
       Community Hamburgs. [2][William Tonou-Mbobda starb in der Psychiatrie des
       UKE], nachdem er von Sicherheitsleuten zu Boden gedrückt worden war. Zeugen
       berichteten damals von brutalem Vorgehen des Wachdienstes. „Das Verhalten
       des UKE zum Tod von Tonou-Mbobda zeigt, dass es dort in Bezug auf
       institutionellen Rassismus keinen Lernprozess gibt“, sagt Manwire. „Black
       Lives mattern im UKE nicht.“
       
       ## Bremen macht's besser
       
       Die Hamburger Rechtsmedizinerin, die Achidi John das Brechmittel
       verabreichte, wurde strafrechtlich nie zur Rechenschaft gezogen. Die
       Obduktion hatte ergeben, dass John an einem Hirntod aufgrund von
       Sauerstoffmangel gestorben ist, der durch einen Herzstillstand verursacht
       wurde. Die Rechtsmediziner attestierten dem Toten einen Herzfehler.
       
       Die Forderung nach einem Denkmal [3][gab es in Bremen bereits vor Jahren].
       2005 starb auch dort ein schwarzer Geflüchteter, Laye-Alama Condé, infolge
       des Einsatzes von Brechmitteln. Dort sehe es mit der Aufarbeitung ganz
       anders aus, sagt Manwire. Der [4][Bau eines Gedenkortes] in der Innenstadt
       ist geplant. Die schuldigen Ärzte wurden strafrechtlich verfolgt. Der
       Bremer Alt-Bürgermeister Henning Scherf [5][sagte 2017] gegenüber dem
       Kundenmagazin einer Versicherung: „Ich fühle mich schuldig, dass ich den
       Tod dieses Menschen möglich gemacht oder zumindest dieses Verfahren
       gerechtfertigt habe.“
       
       ## Grüne und SPD ohne Ansprechpartner:innen
       
       Ein solcher Prozess der Aufarbeitung müsse auch in Hamburg beginnen, sagt
       Manwire: „Hamburg ist diesbezüglich weit unter der Latte durchgesprungen.“
       
       In den Hamburger Fraktionen von Grünen und SPD scheint das Thema
       Brechmitteleinsätze jedoch nicht sehr präsent. Auf Anfrage der taz kann
       keine der beiden Fraktionen Ansprechpartner:innen dazu zur Verfügung
       stellen. Bei der SPD wird zuerst im Kulturressort nachgefragt, dann erst im
       Ressort für Drogenpolitik. Eine Rückmeldung gab es bis Redaktionsschluss
       nicht.
       
       15 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexandra Hilpert
       
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