# taz.de -- Berliner Debatte um Enteignung von Wohnraum: Linke legt Gesetzentwurf vor
       
       > Wie kann die Vergesellschaftung von großen Immobilienfirmen rechtlich
       > funktionieren? Berlins Linksfraktion diskutiert über einen Entwurf.
       
 (IMG) Bild: Der Andrang ist groß bei der Unterschriftensammlung für Deutsche Wohnen enteignen
       
       Berlin taz | Eigentlich ist es der dritte Schritt vor dem ersten: Die
       Berliner Linksfraktion hat am Samstag [1][auf ihrer Klausur] einen
       Gesetzentwurf für die Vergesellschaftung des Bestandes großer
       Immobilienfirmen vorgelegt. Doch wie die Debatte an diesem Vormittag zeigt,
       kann mensch nie zu früh mit einem solchen Projekt beginnen, das am Ende –
       da ist sich der Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg sicher – „die Republik
       verändern“ werde.
       
       Bis dahin ist es aber noch ein gewisser Weg. Und der vorgestellte Entwurf
       sollte nach Meinung der Fraktion auch noch gar nicht die endgültige Lösung
       sein, sondern nur ein erster Aufschlag für die notwendige Diskussion in
       Fraktion, Politik und Gesellschaft. Man betrete damit schließlich
       „vollumfänglich juristisches Neuland“, betont Schlüsselburg, Sprecher der
       Fraktion für Rechtspolitik.
       
       Vergesellschaftungen seien zwar laut Grundgesetz möglich. Der
       [2][entsprechende Artikel 15] habe bisher aber ein Mauerblümchendasein
       geführt, es sei noch nie „zum Schwur gekommen“. Das werde nun anders, sagt
       Schlüsselburg: „Wir zeigen, dass wir nicht nur linke Pose machen, sondern
       dass wir auch liefern.“ Udo Wolf, langjähriger Fraktionschef der Berliner
       Linken und Innenpolitiker, fordert deshalb nicht weniger als die „gesamte
       Schwarmintelligenz der fortschrittlichen Juristerei“ auf, sich an der
       weiteren Diskussion zu beteiligen.
       
       Der am Samstag vorgelegte Entwurf soll regeln, wie auf Grundlage des
       Grundgesetzartikels 15 der „Grund und Boden“ und folglich die darauf
       stehenden Immobilien von großen Wohnungsunternehmen vergesellschaftet
       werden können; wie letztere entschädigt werden müssten und wer in der Folge
       diese Wohnungen wie verwaltet.
       
       Hintergrund ist das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen in
       Berlin, das einen Volksentscheid parallel zur Bundestags- und
       Abgeordnetenhauswahl am 26. September anstrebt. Die Linke in Berlin
       unterstützt als einzige der im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen
       Parteien die Initiative im Ganzen. Sie teilt auch die Forderung, dass
       Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in der Hauptstadt von
       Enteignungen betroffen wären. Laut Berechnungen der Linken wären das
       aktuell mehr als 240.000 Wohnungen, was einem Anteil von etwa 12 Prozent
       des hiesigen Gesamtbestands entspricht.
       
       „Wenn wir diesen Volksentscheid gewonnen haben, müssen wir am 27. September
       einen Gesetzentwurf in der Hand halten, der es dem nächsten Senat unmöglich
       macht, eine Vergesellschaftung aus faktischen und rechtlichen Gründen
       abzulehnen“, umreißt Sebastian Koch, Landesgeschäftsführer der Linken, das
       Ziel. Aber auch bis zu einem Sieg an der Urne ist es noch ein weiter Weg.
       
       Seit gut einer Woche sammeln Unterstützer*innen der Initiative
       Unterschriften für den Entscheid. Damit es dazu kommt, braucht die
       Initiative rund 175.000 Unterstützer*innen bis Ende Juni – angesichts
       [3][der aktuellen Sammlungseuphorie] dürfte dies kaum ein Problem
       darstellen. Bei einem Volksentscheid müsste dann eine Mehrheit der
       Berliner*innen für eine Enteignung stimmen. Ob das jedoch gelingt, ist
       völlig offen.
       
       Und selbst wenn, würde das für die Initiative noch nicht den Sieg in der
       Sache bedeuten: Denn sie hat, anders als andere Initiativen bei früheren
       Volksentscheiden, keinen Gesetzentwurf zur Abstimmung vorgelegt, der bei
       einem Erfolg unmittelbar in Kraft treten würde.
       
       ## Nur ein Appell an den Senat
       
       Vielmehr wird in dem zur Abstimmung stehenden Text [4][der Senat lediglich
       aufgefordert], „alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von
       Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der
       Vergesellschaftung nach Art. 15 des Grundgesetzes erforderlich sind“. Ein
       Gesetz, wie es nun von der Linksfraktion mit dem schönen Namen „Gesetz zur
       Überführung von Grund und Boden von Wohnungsunternehmen in Gemeineigentum“,
       kurz VergesellG GrBoWo, vorgelegt wurde, wäre eine solche Maßnahme.
       
       Die Diskussion auf der Klausur dauert mit eineinhalb Stunden nur knapp halb
       so lang wie vorgesehen, was an der für Nicht-Juristen schwer zu
       durchschauenden Materie liegen dürfte – und vielleicht auch daran, dass,
       wie mehrere Redner*innen betonen, es sich doch eher um ein erstes Gerüst
       handelt, das noch mit Inhalt gefüllt werden müsse.
       
       Der Jurist Sebastian Schneider, der als Mitglied der Initiative Deutsche
       Wohnen und Co. enteignen als Gast eingeladen war, spricht dann auch mehrere
       aus seiner Sicht problematische Aspekte an. Etwa die Frage, ob in dem
       Gesetz, wie vorgesehen, tatsächlich alle betroffenen Grundstücke im Detail
       aufgelistet werden müssten. „Das könnte schwierig zu recherchieren sein“,
       warnt Schneider und verweist auf bisweilen unklare Eigentumsverhältnisse,
       getarnt etwa als Briefkastenfirmen.
       
       Nicht geregelt sei in dem Entwurf bisher, wie mit den bestehenden
       Mietverhältnissen nach der Vergesellschaftung umgegangen werden soll, so
       Schneider. Und unklar bleibe, wer danach wie entschädigt würde. Der Entwurf
       sieht vor, dass sich die Höhe nicht aus dem Marktwert, sondern aus dem
       Ertragswert berechnet, sprich: aus den Einnahmen durch Mieten, wodurch die
       Angelegenheit für das Land auch leichter refinanzierbar werde.
       
       ## Wie soll die Entschädigung aussehen?
       
       Schneider stellt jedoch infrage, dass eine Entschädigung in Geldform die
       einzige Möglichkeit sei, und ob nicht auch Schuldtitel oder Wertpapiere ein
       Möglichkeit wären. Nach einer Schätzung des Senats würde eine
       Vergesellschaftung mit Entschädigung zwischen 28 und 36 Milliarden Euro
       kosten, die Initiative geht von etwa 8 bis 13 Milliarden Euro aus.
       
       Sebastian Schneider zufolge arbeitet die Initiative an einem eigenen
       Gesetzesentwurf. Dieser sei derzeit in der internen Abstimmung und solle in
       wenigen Wochen veröffentlicht werden.
       
       Es soll nicht der einzige weitere Entwurf bleiben. Innenpolitiker Udo Wolf
       fordert die Koalitionspartner Grüne und SPD auf, ebenfalls Gesetzesentwürfe
       zu formulieren. Die SPD allerdings hatte auf einem Parteitag die Initiative
       deutlich abgelehnt.
       
       Die Berliner Grünen hingegen teilen die Ziele, aber mehrheitlich nicht den
       Weg der Initiative. Sie hätten eine Verhandlungslösung vorgezogen,
       kritisieren die Festlegung auf die Zahl der 3.000 Wohneinheiten und wollen
       „verantwortungsvolle Vermieter*innen“ von der Enteignung ausnehmen, also
       solche, die unter anderem den Mietspiegel einhalten und keine Spekulation
       mit leerstehenden Wohnungen betreiben.
       
       ## Grüne wollen bislang keinen Gesetzentwurf vorlegen
       
       Auf taz-Anfrage teilt die grüne Fraktionssprecherin Laura Hofmann mit, man
       habe ein Gutachten in Auftrag gegeben, wie qualitative Kriterien aussehen
       könnten; Ergebnisse würden für April erwartet. An einem eigenen
       Gesetzentwurf arbeite man deswegen noch nicht. „Das wäre auch Aufgabe der
       Senatsverwaltung für Stadtentwicklung“, betont Hofmann. Und die wird von
       Linken-Senator Sebastian Scheel geleitet.
       
       Bei der Linken ist man derweil überzeugt, dass die grundsätzliche Frage, ob
       eine Vergesellschaftung verfassungsrechtlich möglich wäre, geklärt ist. Ein
       gemeinsam mit der Bundestagsfraktion [5][in Auftrag gegebenes juristisches
       Gutachten] habe das ergeben. „Es ist keine Frage des Ob mehr, sondern nur
       noch eine Frage des Wie“, sagt der Abgeordnete Schlüsselburg auf der
       Klausur.
       
       Er erinnert an Artikel 28 der Berliner Landesverfassung, nach dem jeder
       Mensch das „Recht auf angemessenen Wohnraum“ habe und das Land „die
       Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum“ fördert. Dieses
       Grundrecht sei bislang zahnlos gewesen. „Wir verhelfen ihm erst zur
       Geltung.“
       
       6 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Berliner-Linksfraktion-im-Wahljahr/!5756103
 (DIR) [2] http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_15.html
 (DIR) [3] /Kampagne-Deutsche-Wohnen--Co-Enteignen/!5749503
 (DIR) [4] http://www.berlin.de/wahlen/abstimmungen/deutsche-wohnen-und-co-enteignen/artikel.1040424.php#beschlussvorlage
 (DIR) [5] http://www.linksfraktion.berlin/gutachten/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Schulz
       
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       Zehntausende Berlinerinnen aus allen Schichten haben bereits
       unterschrieben.