# taz.de -- Online-Angebote des Theaters Kiel: Feierstunde einer versunkenen Liebe
       
       > Als Hörspiel präsentiert das Theater Kiel das Stück „Seine Braut war das
       > Meer und sie umschlang ihn“. Und „Alice im Wunderland“ gibt es als Film.
       
 (IMG) Bild: Auch wenn es nicht zu sehen ist, rauscht das Meer. Was könnte sich besser als Hörspiel eignen?
       
       Männer trotzen den Gefahren der Ozeane und fischen sie leer, bezwingen ihre
       gischtschäumende Wut auch als abenteuernde Entdecker, machtgierige Eroberer
       oder geldgeil Handeltreibende. Männer sind wie das Meer, unergründlich,
       kraftstrotzend, in ständiger Bewegung, von wilder Schönheit, verlockend und
       dabei so gefährlich. Frauen sind hingegen der Hafen, blicken von den
       Kaimauern fasziniert in die endlose, leidenschaftlich wogende Weite und
       warten auf die knuffigen Seebären, die in ihren Armen sexhengstlich
       heimkommen sollen. Aus derart schwiemlig durch die Literatur mäandernden
       Klischees webt Autor Andreas Marber mit feiner Ironie sein dramatisches
       Seemannsgarn.
       
       „Seine Braut war das Meer und sie umschlang ihn“ kam 2010 am Staatstheater
       Mainz zur Uraufführung, fand sofort das Interesse der Hamburger
       Kammerspiele, die einen maritimen Abend voll vergänglichem Begehren und
       ewiger Sehnsucht sowie einer Handvoll fernwehtrunkener Seefahrtslieder auf
       die Bühne heben wollten – als Wunschprojekt der Schauspielerin Nina Petri.
       Es wurde schnell ein Lieblingsobjekt in der Zuschauergunst, daher auch
       nachgespielt in Bremerhaven, Rostock und Dortmund. Die Erstaufführung im
       Norden gestaltete aber Sinja Bohn im März 2011 in der Lounge des Hotels
       Kieler Yachtclub – mit Blick auf die Förde.
       
       Daran erinnerte man sich am Theater Kiel, als angesichts des immer weiter
       verlängerten Theateraufführungsverbots nach neuen Möglichkeiten gesucht
       wurde, herzerfrischende Lebenszeichen zumindest online senden zu können. Da
       Schauspielerin Yvonne Ruprecht immer noch Ensemblemitglied und Pianist Axel
       Riemann dem Haus weiterhin sehr verbunden ist, rekapitulierte diese
       Premierenbesetzung nun zehn Jahre später nochmal all die Worte und Noten
       des Stücks, ging dazu aber nicht ins Film-, sondern ins Tonstudio.
       
       Natürlich ist es ein Verlust, Ruprecht nicht mit ihrem ganzen Körper kokett
       schmachten und glückserfüllt träumen zu sehen. Aber in der fein
       abgemischten Hörspiel-Intimität macht der Text trotzdem Spaß – mit dem Meer
       als mächtig rauschender Metapher.
       
       Wer der Aufnahme auf dem [1][Youtube-Kanal des Theaters] lauscht, bekommt
       dazu nicht mehr als ein Aufführungsfoto zu sehen, auf dem Ruprecht im
       festlich schulterfreien Kleid missmutig fasziniert von unten nach oben
       blickt, wohl ihren Helden in Kapitänsuniform erinnert. Die große und
       einzige Liebe ihres Lebens, wie sie sagt. Aber die verhassten Wellen hätten
       den Supermann entführt, für immer ins nasse Grab geholt. Ein Unfall – oder
       wurde er von einer verlassenen Gespielin über die Reling entsorgt?
       
       ## Fantasietrunkener Erinnerungsmonolog
       
       Egal, nun sei sie jedenfalls Seemannswitwe, sagt die Protagonistin, und
       begehe den Geburtstag ihres Göttergatten allein mit einer Flasche Sekt. Die
       Feierstunde einer untergegangenen Liebe wird zum fantasietrunkenen
       Erinnerungsmonolog. Wobei die Perspektiven wechseln und nicht ganz klar
       wird, ob Ruprecht verschiedene Frauenrollen spielt oder diese von der
       Ich-Erzählerin-Figur fabuliert werden, während sie sich vorstellt, wie es
       gewesen wäre, sich auf einer Kreuzfahrt in die zarten Hände des raubeinig
       charmanten Kapitän zu begeben, mit dem Meer unterm Bauch des Schiffes – es
       tost wie Freiheit.
       
       Jedenfalls kommen diverse Wesen zu Wort aus der hungrigen Meute
       ausgedörrter Weiblichkeit an Bord eines Ozeandampfers, dessen Chef sie
       allein schon mit Blicken ausziehen. Ein politisch hinreißend unkorrektes
       Vergnügen wie sich die Rivalinnen mit sprach-zickiger Eifersucht als
       „Konkubinen“, „Eintagsschnepfen“, „weibliche Hygienartikel“ oder
       „verhuschtes Huhn“ beschimpfen.
       
       Ja, „Kühe auf dem Siedepunkt ihrer unerlösten Geschlechtlichkeit“ werden
       die Nebenbuhlerinnen genannt, die für den Fall der Fälle einer Affäre eine
       Doppelkabine gebucht haben oder brünstig neben ihren rachsüchtig
       verkniffenen Ehemännern beim Kapitänsdinner hocken und den Mann becircen,
       der die Frauen mag.
       
       Im Liebesromanjargon suchen alle nach Ausdruck ihrer Gelüste. „In einer
       Mischung aus Gier und Bewunderung stürzten sich die Körper aufeinander“,
       sie „hitzten sich aneinander auf bis sie kochten“, heißt es. Schwer atmend
       seien sie hingegossen auf verschwitzen Laken des gewährten Tête-à-Têtes.
       
       ## Ozean der Gefühle
       
       Neben dieser Groschenheft-Satire und einem Krimi-Handlungsstrang funkelt
       auch immer wieder der hilflos stumm ertragene körperliche Schmerz in
       Abwesenheit des Geliebten durch die Erzählungen. Eben der grenzenlose
       Wunsch, zurückgeliebt zu werden. Letztlich geht es um den in jedem
       Menschenkörper herumschwappenden, schwer einzudeichenden Ozean der Gefühle
       sowie um die medial vermittelten Bilder, was Liebe sei.
       
       Ruprecht hat eine apart strahlende Erzählstimme, die sie für die
       verschiedenen Charaktere dezent variiert. Aber leider wackelt ihre
       Singstimme in den höheren Lagen, kommt nicht in die Tiefen der
       vorgetragenen Lieder und lässt Gesangsvolumen in der Mittellage vermissen.
       Weswegen die musikalischen Darbietungen keine große Freude sind. Das war,
       in der nostalgischen Rückschau, bei Nina Petri in Hamburg und Sascha Maria
       Icks in Bremerhaven noch ganz anders.
       
       Aber das Theater Kiel lässt sich nicht entmutigen. Zum Hörspiel wird noch
       ein Film ins Internet gestellt. „Alice im Wunderland“ nach Lewis Carroll,
       gespielt vom Ensemble des Jungen Theaters im Werftpark vor einer Green
       Screen, so dass Bühnenbildzeichnungen im Hintergrund flimmern können.
       Filmpremiere auf dem Youtube-Kanal des Theaters Kiel ist am 24. Januar, 16
       Uhr, für alle ab sieben Jahren.
       
       23 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/user/DasTheaterKiel
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Fischer
       
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