# taz.de -- 50. Geburtstag von Tim Mälzer: Bei ihm schmeckt’s immer
       
       > Kein Rezept und lieber der Nase nach: Am Freitag wird der Fernsehkoch,
       > Gastronom und Kochbuchautor Tim Mälzer 50 Jahre alt.
       
 (IMG) Bild: Tim Mälzer, Fernsehkoch der Sendung „Schmeckt nicht, gibt's nicht“, im Jahr 2006
       
       Es gibt eine Szene bei „Dittsche“, in der in einer Minute ganz viel über
       Tim Mälzer steckt. 2007 hat er einen Gastauftritt in der Comedyserie. Er
       habe Freunde zu Gast, erzählt er, als er an die Theke des Eppendorfer
       Grills tritt. Aber es sei was schiefgelaufen. Er brauche jetzt Currywürste
       – „halb und halb“ – und Pommes. „Ich will das zu Hause fertig machen“, sagt
       er. Dittsche versteht nicht, warum Ingo ein Autogramm haben will, Mälzer
       auch nicht („Das wollen die Leute normalerweise immer nur für Muttern“).
       Und als Mälzer den Imbiss verlassen hat, hängt noch immer Olli Dittrichs
       Frage im Raum: „Ist das ächt so nen Kochtitan?“
       
       13 Jahre später ist die Frage beantwortet. Tim Mälzer, der am Freitag
       seinen 50. Geburtstag feiert, ist derzeit Deutschlands einflussreichster
       Koch.
       
       In der kurzen „Dittsche“-Szene sind alle Aspekte angerissen, warum das so
       ist: Es ist die spezielle Mischung aus Koch, Entertainer, Hamburger
       Persönlichkeit und vor allem Gastronom, die Mälzer ausmacht.
       
       Die Geschichte von Tim Mälzer beginnt 2003. Da geht auf Vox die Kochshow
       „Schmeckt nicht, gibt’s nicht“ auf Sendung. Am Herd steht ein junger Mann,
       schmächtig, mit kurzem Mecki und ziemlich ungesundem Teint, und er redet
       schneller, als er hackt. Er ist zugleich Alter Ego wie Anti-Ego zu jenem
       [1][jungen Koch, der mit seinen Fernsehshows von Großbritannien aus einen
       Siegeszug angetreten hat:] Jamie Oliver und er kennen sich, sie haben
       gemeinsam in London in der Küche gestanden.
       
       Mit den Fingern rein
       
       Mälzer und Oliver verbindet der Zugang zu ihrem Gegenstand. Die beiden
       kochen einfach und der Nase nach – und mit einem heftigen Zug Richtung
       yummy. Nichts ist tabu außer dem Spruch: „Ich habe da schon mal was
       vorbereitet.“ Es geht leidenschaftlich und zuweilen erfrischend rustikal
       zur Sache. Die Zitrone wird mit der Hand ausgedrückt. Kekse kommen in einen
       Beutel und werden mit dem Nudelholz zerkrümelt, als wäre das eine neue Art
       von Antiaggressionstherapie. Und Marinade massieren die beiden
       kräftig-liebevoll in Hühner ein, als kneteten sie einem Berner Sennenhund
       das Fell. In anderen Kochshows rufen Zuschauerinnen an, wenn Köche einmal
       nicht den Löffel in der Hand hatten, Jamie und Tim greifen die Zutaten
       regelmäßig mit den Fingern.
       
       Oliver und Mälzer pflegen ein sinnliches Verhältnis zu den Lebensmitteln,
       sie stehen auf Du und Du mit den Zutaten, den Menschen in ihren Studios und
       auch den Zuschauern daheim, einer völlig neuen Zielgruppe. Für Hausfrauen
       hat der Österreicher Johann Lafer im ZDF die Nachfolge von Max Inzinger
       angetreten. Dort gibt es kalorienbewusste, praktische Küche.
       
       Das Publikum, für das das Kochen mit dem Glas Rotwein am Herd beginnt,
       zumeist mittelalte Männer, wird von Alfred Biolek bedient und darin
       geschult, über Sinn und Unsinn der Knoblauchpresse zu räsonieren. Dort geht
       zwar auch immer mal was schief, etwa wenn der Eierkuchen in der Pfanne
       gewendet wird. Aber die hemdsärmeligen Jungköche gehen mit solchen Pannen
       anders um: Sie wissen, wie man improvisiert.
       
       Und das ist es, was sie ihrem neuen Publikum vermitteln, den Jüngeren, die
       im Studentenwohnheim oder der ersten eigenen Wohnung das Kochen für sich
       entdecken: Schaut nicht so sehr auf die Rezepte, geht nach eurem Geschmack.
       Lieber Currywurst als Hühnerfrikassee? Dann denkt euch die geilste
       Currysauce der Welt aus! Mälzer wie Oliver richten sich damit auch an die
       erste Generation, die von Kindesbeinen an mit Fast Food Bekanntschaft
       gemacht hat. Dass es schmeckt, das gibt’s – das ist der massive Einsatz von
       Kräutern, Speck, Knoblauch, Oliven, Kapern und Parmesan.
       
       Aber Mälzer auf seine geistige Verwandtschaft zu Jamie Oliver zu
       reduzieren, das würde zu kurz greifen. Er tritt alsbald bei „Kerner kocht“
       auf – [2][mit Sarah Wiener], Johann Lafer, Alfons Schuhbeck, Lea Linster
       und Cornelia Poletto. Hier werden seine Entertainerqualitäten sichtbar. Der
       junge Mann kann sabbeln, selten ist er mit seinen Gerichten wirklich,
       wirklich zufrieden.
       
       Mit „Kerner …“ und später „Lanz kocht“ nimmt das Koch-TV schon die
       Big-Brother-Formate vorweg, die später ins Genre einziehen, an der Spitze
       „Das perfekte Dinner“. Aber niemand kann sich origineller runtermachen als
       Mälzer selbst, bei anderen hat er da Schwierigkeiten. Der Mann ist
       unverbesserlich konstruktiv. Er wird in dieser Phase keine so große Rolle
       spielen, und auch als die Fernsehköche sich auf der Mattscheibe als Coaches
       strauchelnder Lokale annehmen, bleibt Mälzer außen vor. Kann man sich
       vorstellen, dass er einem verzweifelten Gastronomen noch eins auf den
       Deckel gibt, wie Frank Rosin, Christian Rach oder Steffen Henssler es tun?
       
       Mälzer ist nicht so jemand. Er betont zwar oft das rotzfrech Hamburgische.
       Aber auf die dicke Lippe ist ein sehr artikuliertes Hochdeutsch gelegt,
       manchmal eine fast literarische Sprache. Es ist diese Ambivalenz, die ihn
       auch für Talkshows interessant macht. Vom Habitus, von seinem Berufsethos
       her ist er zwar einer, der aus der proletarischen Ecke kommt, aber wenn er
       den Mund aufmacht, verschwimmt dieses Bild sofort. Und dann ist Mälzer
       einfach grundehrlich mit dem, was er sagt – und fühlt. Kaum ein Mann hat im
       deutschen Fernsehen so oft geheult wie er.
       
       Längst ist aus dem Fernsehkoch ein erfolgreicher Gastronom und
       Kochbuchautor geworden. In Hamburg betreibt er im Schanzenviertel die
       Bullerei, gründet später die Restaurantgruppe Hausmann’s und steigt mit der
       Speisenwerft ins Eventcatering ein. Ab 2010 erscheinen Kochbücher, die sich
       mit Klasse und sehr modern der deutschen Küchentradition widmen. Erst
       „Mälzer & Witzigmann“, dann „Heimat“ und „Neue Heimat“, alle Bestseller.
       Mälzer bereitet das Publikum so auf eine Küche vor, die regional und
       saisonal funktioniert und im Gourmetbereich von manchen heute neue deutsche
       Küche genannt wird.
       
       Es geht ums Gewinnen 
       
       Das Kochfernsehen tritt in dieser Zeit schon wieder in einen neuen Zyklus
       ein. Schon seit den Zeiten von Biolek ist klar: Menschen beobachten andere
       Menschen am Herd am wenigsten aus dem Interesse heraus, etwas nachzukochen.
       Also haben die Macher jedes pädagogische oder didaktische Interesse
       aufgegeben. Scheitern und gewinnen ist nun das Oberthema.
       
       Die Fernsehküche übernimmt Formate von Stefan Raab („Grill den Henssler!“)
       und die Comedy-Challenge-Formate von Joko und Claas. Ende 2014 geht Mälzer
       mit „Kitchen Impossible“ bei Vox auf Sendung, in der Pilotfolge ist der
       Berliner Sternekoch Tim Raue zu Gast. Das Format, bei dem sich zwei Köche
       ein Duell liefern und nach den außergewöhnlichsten Restaurants der Welt
       schicken, um ein Gericht nachzukochen, läuft inzwischen länger als jede
       frühere Mälzer-Show. Dort begegnet man immer einem großartigen Analytiker,
       der aber in der Umsetzung ein unverbesserlicher Intuitivkoch ist. Niemand
       scheitert dort schöner als Mälzer selbst.
       
       „Er hat bei ‚Kitchen Impossible‘ zu sich selbst gefunden“, sagt Vijay
       Sapre, der Chefredakteur des Food-Magazins Effilee. Denn die Sterneküche
       sei schon immer ein Thema für ihn gewesen. Aber Mälzer fehle für das Metier
       der Hang zur Präzision, die „Liebe zur Pinzette“. In seiner Show hat er nun
       die kulinarische Crème de la Crème zu Gast, öffnet ihr und dem Publikum für
       die Trends und Innovationen Augen und Gaumen. Er ist auf unterhaltsamste
       Weise zum Impresario und Botschafter der Weltküche geworden. Und lehrt mit
       seiner Breitenwirkung mehr, als es besternte Namen wie Joachim Wissler oder
       Christian Bau je vermögen.
       
       Also Dittsche, noch Fragen?
       
       22 Jan 2021
       
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