# taz.de -- Nachruf auf Regisseur Kim Ki-duk: Im Labor des Verhaltensbiologen
       
       > Der Regisseur Kim Ki-duk war ein Vertreter des neuen Kinos in Südkorea.
       > Jetzt ist er an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben.
       
 (IMG) Bild: Der Regisseur Kim Ki-duk im Jahr 2019 als Juryvorsitzender des Moskauer Filmfestivals
       
       Eine Gruppe Obdachloser, die am Ufer des Hangang in der Nähe einer Brücke
       kampieren. Einer der Männer lebt davon, Selbstmördern, die von der Brücke
       springen, Geld und Wertsachen abzunehmen. Wegen seines Lauerns am Flussufer
       hat der Mann den Spitznamen „Krokodil“ bekommen. Ein alter Mann und ein
       Junge sind die Einzigen, die es in der Nähe von Krokodil aushalten, der
       brutal und aufbrausend ist.
       
       Eines Abends springt eine junge Frau von der Brücke. Krokodil zieht sie aus
       dem Wasser und vergewaltigt sie. Am nächsten Tag flieht die junge Frau,
       kehrt jedoch zurück, wird für eine Zeit Teil der zusammengewürfelten Gruppe
       von Außenseitern. Am Ende von Kim Ki-duks Regiedebüt „Crocodile“ sind die
       junge Frau und der Protagonist ein Paar, dann bringt erst sie sich um, dann
       er. Der Erstlingsfilm von Kim Ki-duk sollte den Ton setzen für sein
       weiteres Werk.
       
       Der Autodidakt Kim begann seine Filmkarriere 1995 nach einem
       Europaaufenthalt mit einem Drehbuch. Das nie realisierte Projekt handelte
       von der Beziehung zwischen einem krebskranken Maler und einer
       Sexarbeiterin, deren beider Leben in einer Schießerei mit der Polizei
       enden. Ein Jahr später dreht er kurz hintereinander „Crocodile“ und „Wild
       Animals“. Letzterer schildert das Zusammentreffen einer südkoreanischen
       Straßenkünstlerin und eines nordkoreanischen Deserteurs in Paris, das der
       Film zu einem Trip durch die Pariser Unterwelt nutzt.
       
       ## Schmuddeligkeit, Synthesizerklänge, Prügelszenen
       
       Kims erste Filme sind raue Porträts gesellschaftlicher Außenseiter. Mit
       großer Aufmerksamkeit inszeniert er Orte, die ein düsteres Bild der
       südkoreanischen Gesellschaft zeichnen. In beiden Filmen knüpft Kim an
       Thriller der späten 1980er und 1990er Jahre an. Schmuddeligkeit,
       Synthesizerklänge, Prügelszenen.
       
       Die stilisierte Gewalt der späteren Filme Kims findet sich nur in Ansätzen,
       stattdessen wird die Gewalt als Teil eines urbanen, brutalen Kapitalismus
       gezeigt. Die Filme verbinden Kims avanciertes Bildverständnis mit dem
       Können von Bildgestaltern wie Lee Dong-sam oder dem Kameraveteranen Seo
       Jeong-min.
       
       Ein Jahr nach diesen ersten beiden Filmen inmitten des fragilen Übergangs
       Südkoreas von einem autoritären System zu einer Demokratie erschütterte
       eine Wirtschaftskrise das Land, die auch eine ganze Reihe weiterer Länder
       Asiens hart traf. Die Krise führte zu Umwälzungen in der konservativen
       südkoreanischen Filmproduktion, die zu jener neuen Welle von Filmemachern
       führten, die man heute mit dem Kino des Landes verbindet. Neben Kim Ki-duk
       gehören dazu Regisseure wie [1][Hong Sang-so]o und [2][Park Chan-wook].
       
       Dieses neue Kino Südkoreas fand schnell Aufmerksamkeit im Ausland. 1999
       läuft Kims dritter Film „Birdcage Inn“ über ein familiengeführtes
       Minibordell im Panorama der Berlinale. Die Familie beutet eine junge
       Sexarbeiterin aus. „Birdcage Inn“ ist der erste Film Kim Ki-duks, der eines
       jener Settings nutzte, die einem Labor von Verhaltensbiologen zu entstammen
       scheinen. Solche Settings tauchten seither wiederholt in seinen Filmen auf.
       
       ## Anschuldigungen wegen der Misshandlung
       
       Während Kims Arbeiten in Südkorea zunächst auf wenig Gegenliebe stießen und
       regelmäßig beim Publikum durchfielen, zog er die 2000er Jahre hindurch im
       Ausland von Erfolg zu Erfolg. Sein vierter Film „The Isle“ war 2000 im
       Wettbewerb des Filmfestivals von Venedig, ein Jahr später folgte „Bad Guy“
       im Wettbewerb der Berlinale, wo 2004 gleich der nächste Film von ihm lief.
       Mit „Samaria“ gewann Kim den Silbernen Bären für die beste Regie. Es
       folgten Vorführungen seiner Filme in aller Welt, unter anderem im New
       Yorker Anthology Film Archive.
       
       Im Jahr 2007 lief Kims „Breath“ im Wettbewerb in Cannes, 2012 gewann er mit
       [3][„Pietà“] als erster südkoreanischer Regisseur den goldenen Löwen der
       Filmfestspiele von Venedig. Kim ist bis heute der einzige südkoreanische
       Regisseur, dessen Filme in den Wettbewerben aller drei großen europäischen
       Festivals zu sehen waren. Kims brillante Bildsprache und seine oft misogyne
       Gewalt machten ihn zu einem Kultregisseur.
       
       Im Jahr 2017, inmitten der weltweiten #MeToo-Bewegung, wurden
       Anschuldigungen gegen Kim bekannt wegen der Misshandlung einer
       Schauspielerin beim Dreh von „Moebius“ 2013. Später kam es zu weiteren
       Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe bei späteren Drehs. Für die
       Misshandlung wurde Kim rechtskräftig verurteilt, für die sexuellen
       Übergriffe sah das Gericht keine ausreichenden Beweise. Eine Gegenklage
       Kims gegen die Schauspielerinnen, die die Vorwürfe erhoben hatten, hatte
       keinen Erfolg.
       
       Trotz der Anschuldigungen lief Kims [4][„Human, Space, Time and Human“ 2018
       im Wettbewerb der Berlinale]. Letztes Jahr drehte Kim in Kasachstan seinen
       letzten Film „Dissolve“. Er führte bei 23 Spielfilmen und einem
       Dokumentarfilm Regie. Am Freitag ist Kim Ki-duk im Alter von 59 Jahren in
       Lettland an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben.
       
       13 Dec 2020
       
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