# taz.de -- Serie „Himmelstal“ auf DVD: Die Hölle sind die anderen
       
       > Spannender Psychothriller mit bösem Zwilling: Die schwedische Serie
       > „Himmelstal“ basiert auf einem Roman von Marie Hermanson.
       
 (IMG) Bild: Helena oder Siri (beide Josefin Asplund)? Keiner weiß mehr, wer wer ist
       
       Warum die MacherInnen von „Himmelstal“ sich wohl dafür entschieden haben,
       aus den männlichen Hauptfiguren der [1][Romanvorlage von Marie Hermanson]
       Frauen zu machen? Vielleicht, weil weibliche Psychopathinnen interessanter,
       weil seltener, als männliche sind? Vielleicht aber auch, weil sich damit
       ein anderes aus der Literatur berühmtes weibliches Zwillingspaar
       hervorragend überschreiben lässt, was dem Plot zusätzliche Doppelbödigkeit
       verleiht.
       
       Einiges an der Geschichte der Schwestern in der „Himmelstal“-Serie erinnert
       nämlich stark an Erich Kästners „doppeltes Lottchen“: Die eineiigen
       Zwillinge Helena und Siri sind getrennt aufgewachsen, eine bei der Mutter,
       eine beim Vater. Äußerlich kaum zu unterscheiden, sind sie in ihren
       Persönlichkeiten so unterschiedlich, wie Menschen nur sein können. Helena
       ist vernünftig, vertrauensvoll und empathisch, Siri dagegen – hier endet
       die Kästner-Analogie – gefühlskalt, skrupellos und manipulativ.
       
       Die schwedische Schauspielerin Josefin Asplund ist sehr überzeugend in
       ihrer Doppelrolle. Als Helena sich entschließt, ihre Schwester auf deren
       dringende Einladung hin zu besuchen, hat sie Siri schon viele Jahre nicht
       gesehen und ist nicht vorbereitet auf das, was sie erwartet. Siri lebt in
       einer luxuriösen Klinik mitten in den Alpen, einer geschlossenen Anstalt,
       in der sie einen Entzug machen soll, nachdem sie bei einem Verkehrsunfall
       ein Kind schwer verletzt habe.
       
       Das erzählt sie ihrer Schwester, und Helena erfährt später, dass nichts
       davon stimmt: Sämtliche BewohnerInnen der Einrichtung sind verurteilte
       SchwerverbrecherInnen mit psychopathischer Veranlagung, die in der
       Abgeschiedenheit des Hochtals behandelt und erforscht werden.
       
       ## Rollentausch in der Psychiatrie
       
       Dieses Wissen allerdings kommt für Helena zu spät: Denn Siri hat, die
       Gutgläubigkeit ihrer Schwester ausnutzend, deren Identität angenommen, um
       sich aus der Klinik abzusetzen. Die zurückgebliebene Helena kann nichts
       unternehmen, um die ÄrztInnen davon zu überzeugen, dass sie nicht ihre
       Schwester ist, da jeder neue Versuch nur für einen besonders perfiden
       Manipulationsversuch Siris gehalten wird.
       
       Die erste Staffel – sie ist so angelegt, dass eine zweite bestimmt kommt –
       besteht aus acht Folgen, die bequem an einem einzigen Wochenende weggeguckt
       werden können. Und es ist sicher nicht verkehrt, sich tatsächlich vorab ein
       bisschen Zeit dafür zu reservieren, denn jede einzelne Folge endet mit
       einem Cliffhanger. Helena, die ihre Flucht aus der geschlossenen Anstalt
       plant, braucht dafür Verbündete und muss diese unter lauter potenziell
       gemeingefährlichen PsychopathInnen finden.
       
       Manche davon – aber das weiß sie nicht, und wir wissen nicht, welche – sind
       eingeschleuste Spione, die zum medizinischen Personal gehören. Wer hier
       also wer in Wirklichkeit ist und ob es überhaupt eine Person gibt, die ist,
       wer sie zu sein scheint, ist ungefähr genauso unsicher, wie mensch es schon
       aus [2][„Homeland“] kennt, nur dass der Psychoterror in „Himmelstal“,
       obgleich ebenso lebensbedrohlich, weniger blutig verläuft.
       
       ## Klaustrophobischer Kosmos mit Realitätsbezug
       
       Letztlich ist allen alles zuzutrauen. Nicht einmal der Hauptfigur in ihrer
       Rolle als guter Helena kann man sich wirklich sicher sein. Die meisten
       DarstellerInnen agieren souverän auf dem schmalen Grat zwischen scheinbar
       harmloser Selbstbezogenheit und potenziell lauerndem Irrsinn. Nur Matthew
       Modine als sardonisch dauergrinsender Anstaltsleiter überchargiert seine
       Rolle ohne Not und muss, wenn sich für das Schmierentheater nicht noch eine
       Erklärung in der zweiten Staffel findet, als Fehlbesetzung betrachtet
       werden.
       
       Aber wer weiß, wann diese zweite Staffel überhaupt wird produziert werden
       können. Bei Google suchen schon viele Leute danach. Und ziemlich
       wahrscheinlich wird das Identifikationspotenzial der Serie noch steigen.
       Denn je mehr die Gesellschaft wieder auf Lockdown-Modus umstellt, desto
       mehr Analogien zur Realität bietet der klaustrophobische Kosmos von
       „Himmelstal“: Man kann nicht weg von da, wo man ist, und kann außerdem
       nicht ausschließen, irgendwann in der Isolierstation für besonders schwere
       Fälle zu landen.
       
       9 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /die-wahrheit/!5186272
 (DIR) [2] /Staffelfinale-von-TV-Serie-Homeland/!5676824
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Granzin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Serie
 (DIR) DVD
 (DIR) Psychiatrie
 (DIR) Schweden
 (DIR) Literatur
 (DIR) Film
 (DIR) Literatur
 (DIR) DVD
 (DIR) TV-Serien
 (DIR) Spielfilm
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Roman „Die Überlebenden“: Bullerbü ist anderswo
       
       Alex Schulmann ist ein Star in Schweden. Sein Roman „Die Überlebenden“
       erzählt bezwingend klar über eine Kindheit in Ungeborgenheit.
       
 (DIR) HBO-Thrillerserie „Wasteland“: Das ganz normale Böse
       
       Wenn ein Dorf am Ende ist: Die Serie „Wasteland“ ist herausragend. Sie
       bietet das ganz große Drama um menschliche Niedertracht.
       
 (DIR) Thomas King „Dunkle Wolken über Alberta“: Zwei Tote im Grenzland
       
       Ein Antiheld, unterwegs als Fotograf im Grenzgebiet zwischen USA und
       Kanada. Thomas Kings Krimi „Dunkle Wolken über Alberta“.
       
 (DIR) Horrorfilm „Relic“ auf DVD: Die unheimliche Großmutter
       
       Der australische Horrorfilm „Relic“ von Natalie Erika James handelt von
       einem Spukhaus. Das klassische Thema bekommt dabei einen matriarchalen
       Dreh.
       
 (DIR) Sky-Serie „Hausen“: Ein Geisterhaus
       
       In der TV-Serie „Hausen“ auf Sky wohnt der Grusel in einem alten
       Plattenbau. Es blubbert, knarzt und ächzt – und ist dabei trotzdem hübsch
       anzusehen.
       
 (DIR) Film übers Übersinnliche: Mit Voodoo unterwandern
       
       Ungewöhnliche Geschichtsstunde am Mädcheninternat: Der Spielfilm „Zombi
       Child“ von Betrand Bonello verbindet Französische Revolution und Haiti.