# taz.de -- Theaterintendanten im Norden: Bremerhaven auf Bewährung
       
       > Große Intendanten-Rochade zwischen den Theatern des Nordens: In
       > Osnabrück, Schwerin und Bremerhaven kommen und gehen die Chefs.
       
 (IMG) Bild: Soll schwer an sich gearbeitet haben: Intendant Lars Tietje wechselt von Schwerin nach Bremerhaven
       
       Bremen taz | Keine Einladung zur Pressekonferenz oder zum Interview:
       Dreieinhalb Monate nach der Ausschreibung verkündete nur eine mit
       PR-Vokabular formulierte gewürzte Pressemitteilung, dass Lars Tietje in
       2021 neuer Intendant am Stadttheater Bremerhaven wird. 42 Bewerbungen habe
       es gegeben, sieben Personen wurden nach Rücksprache mit den als Experten
       engagierten Intendanten aus Münster und Oldenburg zu Vorstellungsgesprächen
       eingeladen, aus denen Tietje als Sieger hervorging.
       
       Ein klassischer Deal unter alten weißen Männern? Wie ist die Entscheidung
       sonst zu erklären? Immerhin hat sich der Neue als Generalintendant des
       fünfspartigen Staatstheaters in Schwerin keinen allzu guten Leumund
       erworben. Mehrmals wurde sein Rücktritt gefordert, bis er vor einem Jahr
       erklärte, den bis 2021 laufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen.
       Autoritären Führungsstil sagt man ihm nach, einen geradezu feindseligen
       Umgang mit Menschen, keine künstlerischen Ambitionen in der
       Spielplangestaltung – dass Tietje in den Medien dank Einflüsterungen
       einiger Mitarbeiter als eine Art Terminator des Betriebsklimas dargestellt
       wurde, ist wahrlich kein Bewerbungsschreiben für Bremerhaven.
       
       Dort hat Ulrich Mokrusch seit August 2010 aus der plüschig-staubigen
       Operettenseligkeit der Intendanz Peter Grisebachs ein Stadttheater
       entwickelt, das mit Musicals und Operetten Geld verdient, mit
       wiederentdeckten Opern, zeitgenössischer Dramatik und ambitionierten
       Regieansätzen auch ab und an überregional punktet. Man ging mit vielen
       Projekten raus in die Stadtöffentlichkeit, hat zudem ein sozial wie
       politisch relevantes Kinder- und Jugendtheater aus dem Nichts mit eigener
       Spielstätte etabliert.
       
       Als Lohn für diese Aufbauarbeit bekommt Mokrusch ab 2021 die Chance,
       Intendant am Theater Osnabrück zu sein. Für ihn bedeutet das: mehr Geld,
       größere Ensemble, attraktivere Spielstätten, einen umfangreicheren
       Spielplan – dazu eine theateraffinere und bürgerlichere Stadt. Nach
       Osnabrück passt er zudem, da Vorgänger Ralf Waldschmidt in den letzten neun
       Jahren konzeptionell recht ähnlich, wenn auch mit einem avancierteren
       Programm als Mokrusch in Bremerhaven gewirkt hat. Vielversprechend ist
       Mokruschs Entscheidung, die Schauspielleitung der für zeitgenössische
       Dramatik stehenden Dramaturgin Claudia Lowin aus Braunschweig und dem
       Komödienregiespezialisten Christian Schlüter vom Theater Bielefeld
       anzuvertrauen.
       
       ## Ende der Operettenseligkeit
       
       Das Theater Osnabrück könnte mit Mokrusch noch besser werden, das
       Staatstheater Schwerin ohne Tietje wieder zu einer Identität finden. Und
       das Stadttheater Bremerhaven mit Tietje? Da gibt es durchaus Ängste an der
       Nordsee.
       
       Nachdem Tietje das Theater in Nordhausen vor der Abwicklung gerettet hat,
       bekam er den Job in Schwerin 2016 deshalb, weil er bereit war, Geld
       einzusparen: unter anderem bei den Künstlerhonoraren, 30 Stellen abbauen,
       gleichzeitig den Zuschauerzuspruch halten und mit dem Landestheater in
       Parchim fusionieren, was nochmal ein Dutzend Stellen bedrohte.
       
       Das nahm die Belegschaft natürlich schnell gegen den Generalintendanten
       ein. Es wurde nicht besser, als er kleine Privilegien der Mitarbeiter
       strich und kritische Äußerungen im Kleinkunstprogramm des Theaterballs
       verbat, um anwesende Sponsoren nicht zu verärgern.
       
       Gleichzeitig zeigte sich, dass weniger Geld und Angestellte eben auch eine
       Reduzierung des Spielplanangebots bedeuten. Da fielen nicht
       publikumsträchtige Operninszenierungen, sondern inhaltlich und formal
       herausfordernde Schauspielprojekte dem Rotstift zum Opfer, so Vorwürfe aus
       dem Haus.
       
       Hat Bremerhaven nun einen Mann für Budgetkürzungen und Entlassungen geholt?
       In aller Deutlichkeit „Nein“ sagt der Kulturdezernent der Stadt, Michael
       Frost. Es würden weiterhin nicht weniger als 14 Millionen Euro pro Jahr ans
       Theater fließen. „Aufgrund der sozial und damit auch finanziell schwierigen
       Lage Bremerhavens ist leider auch nicht mehr möglich“, sagt Frost. Zumeist
       fordern Intendanten zu Dienstbeginn mehr Geld fürs Theater als Zeichen,
       wirklich gewollt zu werden. In Bremerhaven sei nur das Einfrieren der
       Zuwendungen plus die übliche Übernahme von Tarifsteigerungen geplant, so
       Frost. So habe Tietje immerhin Planungssicherheit.
       
       Obwohl die Abo-Zahlen weiter sinken, so Frost, seien Entlassungen weder
       geplant noch erwünscht. „Wir wollen nicht die Boulevardbühne an der
       Waterkant werden, können uns aber auch nicht einen prägenden Regiestil oder
       viele tolle Experimente leisten.“ Die Vielfalt des Angebots müsse in der
       Breite das treue alte und ein neues Publikum ansprechen, in der Spitze
       wolle man weiter überregionale Ausrufezeichen setzen. 
       
       Tietje deutet das als „Auftrag zur Kontinuität“, plus eigene
       Akzentuierungen. Er selbst ist Pianist und Dirigent und will mit dem
       Generalmusikdirektor Bremerhavens die Opernsparte leiten. Dort kommen die
       meisten Zuschauer, dort findet daher die Publikumsbindung statt, dort soll
       das Stadttheater ein klares Profil in der Abgrenzung zum zeitgenössischen
       Regietheater in Bremen und den romantischen Klangwallungen in Oldenburg
       entwickeln. „Wir könnten ein Haus der Klassik oder des Belcanto werden“, so
       Tietje, was wirtschaftlich nach Nummer sicher, künstlerisch aber wenig
       innovativ klingt. Vielleicht ja das Schauspiel, wo Tietje einen
       Spartenleiter engagieren will. Ob er das traditionelle Ballett von Sergei
       Vanaev behalte, habe er noch nicht entschieden.
       
       Seine Nachfolge in Schwerin war bis Ende März als Doppelspitze
       ausgeschrieben, die Entscheidung für eine künstlerische und eine
       kaufmännische Leitung ist aber noch nicht gefallen. „Diese Neugestaltung
       der Theaterleitung ist für mich eine Genugtuung“, so Tietje, der bisher
       beide Jobs in Personalunion erledigt hat. „Eine Fehlkonstruktion, 70
       Prozent der Arbeitszeit gingen für die des Geschäftsführers des
       wirtschaftlichen Bereichs drauf, blieben nur 30 Prozent für die des
       Intendanten des künstlerischen Bereichs.“ In Bremerhaven kann Tietje sich
       stärker um die Kunst kümmern, denn mit Heide von Hassel-Hüller ist derzeit
       bereits eine Verwaltungsdirektorin etabliert.
       
       ## Schweriner Kleinkriege
       
       Was sein Wirken in Schwerin angeht, ist Tietje selbstkritisch. Er weist
       zwar die Vorwürfe von sich, ein zu anspruchsloses Programm verantwortet zu
       haben, ärgert sich weiterhin über illoyale Mitarbeiter, sieht sich aber
       auch gescheitert als Kommunikator. „Viele Brandherde, die internen Macht-
       und Verteilungskämpfe hätte ich früher erkennen und anders damit umgehen
       müssen“, sagt er.
       
       Fakt ist: Trotz Führungskräfte-Coaching hat Tietje es bis heute nicht
       geschafft, das in nicht unbeträchtlichem Ausmaß gegen ihn aufbegehrende
       Haus zu befrieden, Vertrauen aufzubauen, kooperativ zu führen und selbst
       mehr als ein Verwaltungsmanager guter Auslastungszahlen zu sein. Das hat
       eine kürzlich veröffentlichte Mitarbeiterbefragung erneut bestätigt.
       
       Angesichts der Schweriner Kleinkriege war auch Frost klar, dass
       Bremerhavens Entscheidung für Tietje auf Kritik stoßen würde. „Dass er zu
       uns kommt, klingt für einige nicht glorreich“, erklärt der Kulturdezernent,
       „aber Tietje ist nach den Erfahrungen in Schwerin hart mit sich ins Gericht
       gegangen, hat offensiv an sich gearbeitet und sich beraten lassen. Er will
       die Chance bei uns nutzen und er kann das aufgrund seiner Erfahrung und
       seines Fachwissens“. Also, lassen wir doch den ersten Schreck beiseite und
       werden wir neugierig.
       
       15 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Fischer
       
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