# taz.de -- Ausbeutung in Corona-Krise: Spargel unser
       
       > Der Wert eines Menschenlebens ist nicht verhandelbar. Für
       > Erntehelfer*innen aus Osteuropa aber scheint eine zynische
       > Kosten-Nutzen-Rechnung zu gelten.
       
 (IMG) Bild: Rumänische Erntehelfer bei ihrer Ankunft in Düsseldorf Mitte April
       
       Das System, in dem wir leben, der so heilige Sozialstaat, wird schon lange
       auch durch diejenigen aufrechterhalten, die unsichtbar sind: Arbeitskräfte
       aus dem Osten Europas. Jedes Jahr machen sich Hunderttausende von ihnen auf
       den Weg nach Deutschland und Österreich. Sie kommen aus Polen, Rumänien,
       Moldau, Bosnien oder Bulgarien.
       
       Sie kommen, um zu arbeiten, um die Jobs zu übernehmen, die andere nicht
       übernehmen wollen oder können. Ohne Lobby, die für ihre Rechte kämpft,
       trauen sich viele von ihnen nicht, ihre Stimme zu erheben, aus Angst, sie
       könnten ihre Anstellungen verlieren. Auch wenn man diese Menschen nicht
       hört, sind sie doch da.
       
       Jetzt, wo Grenzen geschlossen werden, ein Land sich vor dem Virus
       abriegelt, zeigt sich, wie unverzichtbar Arbeiter*innen aus Mittel- und
       Osteuropa sind. Ihre sonst unsichtbar gemachte Arbeit wird plötzlich
       sichtbar, Leerstellen klaffen auf. In dieser Krise zeigt sich nun einmal
       mehr, welches Leben in einer Gesellschaft als wertvoll und schützenswert
       erachtet wird.
       
       Ist es das der polnischen Pflegekraft, die sich rund um die Uhr um den
       deutschen Opa kümmert? Das Leben des rumänischen Spargelerntehelfers, der
       dafür sorgt, dass das Luxusgemüse auf dem Teller landet? Oder das der
       ukrainischen Haushaltshilfe, die für Ordnung und Sauberkeit sorgt?
       
       ## Freiheitsberaubung beim Bauern
       
       Am Mittwoch [1][berichtete der Spiegel] von einem in Baden-Württemberg
       verstorbenen rumänischen Erntehelfer. Der Mann, Ende 50, soll vor seinem
       Tod über Husten und Schnupfen geklagt haben. Der Test auf Covid-19 fiel
       positiv aus. Es ist der erste bestätigte Fall eines Erntehelfers in
       Deutschland im Zusammenhang mit der Coronakrise. Am selben Tag
       [2][berichtete der ORF] von einem österreichischen Landwirt, der seine
       ukrainischen Erntehelfer*innen eingesperrt haben soll – aus Angst, sie
       könnten sich mit Corona anstecken. Sie sollen bis zu 72 Stunden pro Woche
       gearbeitet haben. Zweiundsiebzig Stunden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt
       nun gegen den Mann wegen Freiheitsentziehung. Was nimmt eine Gesellschaft
       für ihren Luxus in Kauf? Und wie weit geht Ausbeutung?
       
       Rund 300.000 Saisonarbeitskräfte kommen jährlich nach Deutschland, um bei
       der Ernte zu helfen. In diesem Jahr sollten sie nicht kommen dürfen, das
       hatte das Bundesinnenministerium zunächst verfügt. Zu hoch sei das
       Infektionsrisiko. Doch die Landwirtschaft machte Druck und die
       Bundesregierung gab nach. 80.000 Saisonarbeiter*innen dürfen deshalb nun
       im April und Mai nach Deutschland einreisen. Aber: Sie können nur mit dem
       Flugzeug kommen, dürfen zwar auf den Höfen arbeiten, stehen aber unter
       Quarantäne.
       
       [3][Anfang April kamen sie dann tatsächlich], die ersten
       Erntehelfer*innen. [4][Aufnahmen vom Flughafen] im rumänischen Cluj
       offenbarten, wie wenig ernst man die Gesundheit der Arbeiter*innen nahm.
       Die rund 1.800 Menschen mussten Stunden ausharren, dicht gedrängt in
       Warteschlangen, keinen Sicherheitsabstand, zu wenige Schutzmasken.
       
       Was wiegt mehr: Der Wunsch nach billig geerntetem Spargel oder der Schutz
       von Menschenleben? In dieser Gesellschaft ist es leider der Spargel. Dabei
       müsste es doch anders sein: Menschen vor Spargel. Denn ein Land, das
       Arbeitskräfte aus dem Ausland anwirbt, sie prekär beschäftigt, ausbeutet,
       trägt doch umso mehr Verantwortung für diese Menschen.
       
       Um alte Menschen nicht gänzlich sozial zu isolieren, will die
       Bundesregierung bald Pläne für Alten- und Pflegeheime erarbeiten.
       [5][Verkaufsflächen bis zu 800 Quadratmeter sollen auch bald wieder öffnen
       dürfen]. Weiterhin wird gelten: Abstand halten, solidarisch sein.
       Zeitgleich werden osteuropäische Erntehelfer*innen in Flugzeuge gesteckt
       werden, sie werden in Mehrbettzimmern schlafen, isoliert von der restlichen
       Welt, aufs Feld geschickt werden – ohne Mundschutz oder ausreichend
       Abstand. Überall im Land wird man sich bemühen, die Gesundheit aller
       Menschen zu schützen. Fast aller Menschen.
       
       16 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/coronavirus-rumaenischer-erntehelfer-in-baden-wuerttemberg-nach-corona-infektion-gestorben-a-7ca0532c-6acd-49b3-b443-bcb806816bb7?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss
 (DIR) [2] https://ooe.orf.at/stories/3044008/
 (DIR) [3] /Erste-Fluege-fuer-Erntehelfer-aus-Rumaenien/!5675420
 (DIR) [4] https://de.euronews.com/2020/04/10/skandal-um-erntehelfer-kein-sicherheitsabstand-arbeit-in-quarantane
 (DIR) [5] /Kampf-gegen-Corona-Epidemie/!5676349
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erica Zingher
       
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