# taz.de -- Präsidentenwahl in Polen: Ab an die Urne
       
       > Trotz Corona will die PiS-Regierung die Abstimmung am 10. Mai
       > durchziehen. Immer mehr Kommunalpolitiker widersetzen sich diesem
       > Ansinnen.
       
 (IMG) Bild: „Wer zum Einkaufen in ein Geschäft gehen kann, kann auch in ein Wahllokal gehen“: Duda Fans in Nysa
       
       Warschau taz | Warschau, zwei Uhr nachts: den meisten Politikern im Sejm,
       dem polnischen Abgeordnetenhaus, fallen schon die Augen zu. Die Debatte
       über den „Corona-Schutzschild“ für Polens Wirtschaft dauert und dauert, als
       [1][die nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit
       (PiS)] plötzlich noch 79 Seiten mit Änderungsvorschlägen einbringt.
       Darunter auch – wie Experten später feststellen – eine verfassungswidrige
       Änderung des Wahlgesetzes.
       
       Manche bemerken es, andere nicht. Um vier Uhr früh stimmen die Abgeordneten
       ab: neben Staatshilfen für in Not geratene Arbeitgeber und -nehmer soll es
       auch das Recht auf Briefwahl geben – für alle über 60-jährigen und in
       Corona-Quarantäne lebenden Polinnen.
       
       Dabei hatte die PiS erst 2017 die Briefwahl abgeschafft, weil sie angeblich
       Wahlfälschung Vorschub leiste. Doch jetzt ist Not am Mann: Nimmt die
       60-plus-Generation am 10. Mai nicht an der Präsidentschaftswahl teil,
       bricht dem amtierenden Präsidenten Andrzej Duda eine wichtige Wählergruppe
       weg.
       
       Doch nun weigern sich mehr und mehr Stadtpräsidenten und Bürgermeister
       Polens, die Präsidentschaftswahl in knapp sechs Wochen überhaupt zu
       organisieren. Denn die Zahlen der an Corona Erkrankten (zurzeit 2.100) und
       Verstorbenen (31) steigen auch in Polen stark an.
       
       ## Hohe Dunkelziffer
       
       Dabei werden nur diejenigen Personen getestet, die Krankheitssymptome
       zeigen oder nachweislich Kontakt mit Coronavirus-Infizierten hatten. Die
       Dunkelziffer liege um ein Vielfaches höher, so Experten.
       
       „Wir müssten für die Mitglieder der Wahlkommissionen sehr viele
       Atemschutzmasken, Schutzbrillen und Einmalhandschuhe besorgen, die zurzeit
       sehr schwer zu beschaffen sind“, empört sich Adam Neumann, Stadtpräsident
       von Gliwice (Gleiwitz). „Wenn es uns gelingt, etwas zu kaufen, übergeben
       wir das vor allem unseren Kliniken.“
       
       Er werde in Gliwice am 10. Mai keine Präsidentschaftswahl organisieren. „Es
       wäre unmoralisch, diese defizitären Sanitärartikel für die Organisation von
       Wahlen zu verwenden.“ Zudem gibt es in der Stadt niemanden mehr, der das
       Risiko auf sich nehmen würde, sich als Mitglied einer Wahlkommission
       anzustecken.
       
       „Im Gespräch mit Regierungschef Mateusz Morawiecki habe ich klar gesagt,
       dass nach meiner Einschätzung (...) die Wahl mit Blick auf die Sicherheit
       der Bevölkerung nicht zum geplanten Termin stattfinden kann“, schrieb
       Warschaus Stadtpräsident Rafał Trzaskowski von der liberal-konservativen
       Bürgerplattform am Montag in den sozialen Netzwerken.
       
       ## Automatische Verschiebung
       
       In einer Videokonferenz verlangten zahlreiche Bürgermeister vom Premier die
       Einführung eines Ausnahme- oder Katastrophenzustandes, wie ihn die
       Verfassung Polens bei Gefahr für Staat oder Staatsbürger vorsieht. Dadurch
       würde der Wahltermin automatisch verschoben.
       
       Doch die PiS, ihr Vorsitzender [2][Jarosław Kaczyński] und selbst Polens
       Präsident Duda sind bereit, für den Machterhalt auch die Gesundheit der
       Staatsbürger aufs Spiel zu setzen. „Wer zum Einkaufen in ein Geschäft gehen
       kann, kann auch in ein Wahllokal gehen“, meinte Duda vor Kurzem.
       
       Da er als einziger Kandidat noch Wahlkampf betreiben kann und ständig in
       den „Nationalen Medien“, dem früheren öffentlich-rechtlichen Rundfunk, zu
       sehen ist, führt er in allen Umfragen haushoch.
       
       Der PiS-Drohung, die aufständischen Bürgermeister abzusetzen und durch
       linientreue Kommissare zu ersetzen, antwortete Trzaskowski mit einem
       berühmten Satz aus dem Widerstand gegen Polens Kommunisten in den 1980er
       Jahren: „Ihr kriegt uns nicht klein. Wir geben nicht auf!“
       
       1 Apr 2020
       
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