# taz.de -- Neues Buch von Matthias Wittekindt: Nur irgendeine Art von Wahrheit
       
       > Matthias Wittekindts Roman „Die Brüder Fournier“ tarnt sich als Krimi,
       > ist aber eher ein Gesellschaftsroman. Es geht um ein merkwürdiges
       > Brüderpaar.
       
 (IMG) Bild: Im Brüsseler Winter spielt „Die Brüder Fornier“. Hier eine Aufnahme von 2013
       
       Im Grunde ist es Etikettenschwindel, wenn Matthias Wittekindt seine Bücher
       als Krimis bezeichnet. Auch sein neues – „Die Brüder Fournier“ – ist ein
       Gesellschafts- und Entwicklungsroman, der sich in erster Linie für die
       seelische Dynamik einer Gruppe Jugendlicher interessiert – wobei nicht
       unterlassen wird, die [1][nötigen Krimi-Elemente] zu berücksichtigen.
       
       Es gibt Tote, und die Frage, wer dafür verantwortlich ist, trägt bis zum
       Ende. Dass es einer der Brüder Fournier gewesen sein dürfte, wird von
       Anfang an angedeutet.
       
       Ihrem Lebenslauf folgt Wittekindt von 1966 bis in die unmittelbare
       Vergangenheit. Die Fournier-Eltern führen in einem Brüsseler Vorort eine
       erfolgreiche Confiserie, für die Kinder bleibt kaum Zeit. Vincent, der
       Jüngere, wirkt durchgeistigt, den profanen Anforderungen des Lebens nicht
       gewachsen, weshalb sein ein Jahr älterer Bruder auf ihn aufpassen soll.
       
       Doch Iason ist nicht minder sensibel, zudem mit einer außergewöhnlichen
       Sinneswahrnehmung ausgestattet. Überfordert ist er, wenn es darum geht,
       andere Menschen zu verstehen, da wirkt er fast autistisch. Und weil er
       stark und wild ist und ein ausgeprägtes Sensorium für Gerechtigkeit hat,
       macht er Fehler. Er zündelt, prügelt sich und gerät ins Visier von
       Jugendamt, Staatsanwaltschaft und Psychiatrie.
       
       Wie gewohnt erzählt Wittekindt dieses Psychodrama in einer vordergründig
       kühl referierenden, sachlichen Sprache, die suggeriert, die Oberhand über
       den Stoff zu wahren. Die Kunst besteht darin, diesen Eindruck immer wieder
       durch verunsichernde Zeichen zu konterkarieren.
       
       Am Ende sind wir zwar über alles einigermaßen gut informiert, Bescheid
       wissen wir aber nicht. Dass man nie mehr als nur „irgendeine Art von
       Wahrheit“ zu erfahren fähig ist, könnte als Moral dieses magischen Romans
       durchgehen.
       
       13 Mar 2020
       
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