# taz.de -- Chefredaktion der “Berliner Zeitung“: Neues Chaos zur Unzeit
       
       > Vor drei Wochen wurde Matthias Thieme Chefredakteur des Berliner Verlags.
       > Nun hat er schon wieder gekündigt. Es ging wohl um Macht.
       
 (IMG) Bild: Kommen einfach nicht zur Ruhe: Berliner Zeitung und der Berliner Verlag
       
       Bei der Berliner Zeitung sind momentan viele Stellen neu zu besetzen. Vor
       allem für ihre ambitionierten Onlinepläne suchen Silke und Holger Friedrich
       gute Leute – und das gleich für Netzauftritte in mehreren Sprachen. Seit
       dem Wochenende gehört auch wieder die Position der Chefredaktion dazu.
       Matthias Thieme, vor gerade mal rund drei Wochen zum Gesamtchefredakteur
       des Berliner Verlags berufen, hört schon wieder auf, was wohl am
       Verlegerpaar liegt, das ihn geholt hat.
       
       Die [1][Friedrichs sind derzeit Lieblingsrecherche-Subjekt der Welt am
       Sonntag], die größere und kleinere Skandale vor allem über Holger Friedrich
       ans Licht zerrt. Dessen kurzlebige Stasi-Tätigkeit als junger Mensch zum
       Ende der DDR ist in der Tat erklärungsbedürftig. Und zu der vom Berliner
       Verlag zugesagten Aufklärung in eigener Sache kommt es nicht, weil das Haus
       um sich selbst kreist.
       
       Thiemes Entschluss, aufzuhören, dürfte weniger mit den aktuellsten
       Enthüllungen der Welt am Sonntag zu tun haben, die beinahe im
       Wochenrhythmus über die Friedrichs schreibt. Diesen Sonntag meldete das
       Blatt etwa, die Friedrichs hätten sich durch die Angabe eines
       Unternehmenssitzes in der Schweiz unter Umständen strafbar gemacht. Dabei
       geht es um eine angeblich zur deutschen Firmenholding der Friedrichs
       gehörende Schweizer GmbH, die sich aber in keinem Schweizer Handelsregister
       findet und wohl auch nie aktiv geworden ist.
       
       Dramatischer für Matthias Thieme, so viel ist aus der Redaktion zu hören,
       waren wohl Entscheidungen der Friedrichs in Fragen technischer Systeme und
       Abläufe. Für die klassische Zeitung habe sich zu wenig Spielraum geöffnet.
       Außerdem scheint es einen Konflikt zwischen Thieme und dem im November 2019
       auf seinen Posten berufenen Berliner-Zeitung-Herausgeber Michael Maier
       gegeben zu haben. Dabei ging es offenbar zunächst vordergründig auch um
       Technik.
       
       ## Klare Kante zur Unzeit
       
       Maier wollte Newstech einführen, ein System, das andere Medien durchfräst
       und auswertet. Thieme, der Anfang Februar zunächst als Chefredakteur fürs
       Digitale geholt und nach zehn Tagen zum Gesamtchef befördert wurde, soll
       dagegen gewesen sein. Die unklare Macht- und Aufgabenverteilung zwischen
       Herausgeber und Chefredakteur dürfte aber über reine Technikfragen
       hinausgegangen sein.
       
       Maier begrüßte den neuen Chefredakteur zwar noch mit den salbungsvollen
       Worten „Matthias Thieme wird der Berliner Zeitung entscheidende Impulse
       geben, um die Zeitung in die digitale Zukunft zu führen“. Doch Maier, der
       in den frühen 2000er Jahren die Netzeitung leitete, habe auch digital
       Richtung und Ton angeben wollen, heißt es aus Redaktionskreisen.
       
       Nur ist Thieme jemand, der bei kurzfristigen Änderungen der
       Geschäftsbedingungen schon früher Konsequenzen gezogen hat, etwa in der
       Funke-Zentralredaktion, wo er zuletzt für die Wirtschaftsberichterstattung
       verantwortlich war. Als er seinen Spielraum durch Jörg Quoos, Chefredakteur
       der Zentralredaktion, beschnitten sah, nahm er den Hut.
       
       Für den Berliner Verlag, der bei seinem Schlagzeilen produzierenden
       Eigentümer-Verleger-Paar mal ein ruhigeres Fahrwasser bräuchte, kommt die
       klare Kante zur Unzeit. Insider fürchten, dass die ohnehin erratisch
       reagierenden Friedrichs sich nun erst recht in der Opferrolle wähnen und
       unberechenbarer werden könnten.
       
       Was die Opferrolle angeht, wird die Welt am Sonntag vermutlich auch weiter
       für Stoff sorgen. Im Berliner Verlag fragt sich derweil mancher, was das zu
       Axel Springer gehörende Blatt antreibt. Ist es die [2][Skepsis gegenüber
       allen, die das andere Deutschland nicht allein als Unrechtsstaat] sehen?
       
       Hübsch, aber weniger plausibel ist die Lesart, die Neuverleger hätten sich
       zu hart mit dem Zeitungsverlegerverband BDZV angelegt, dessen Präsident
       Springers Vorstandschef Mathias Döpfner ist. Die Friedrichs hatten nämlich
       kurz nach dem Kauf des Berliner Verlags öffentlich wissen lassen, sie
       fühlten sich beim BDZV nicht willkommen und würden als
       zukunftsorientiertes, digitales Medienhaus lieber dem Digitalverband Bitkom
       beitreten. Doch gegen diese Lesart spricht, dass die Friedrichs und
       Springer bei einem ganz anderen Projekt Partner sind: beide sind an der
       Log-in-Plattform Veremi beteiligt.
       
       2 Mar 2020
       
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