# taz.de -- Redaktionen der „Berliner Zeitung“: Einfach mal was meinen
       
       > Die „Berliner Zeitung“ vertritt in Grundsatzfragen viele Linien. Eine
       > publizistische Vision ist in dieser wilden Mischung noch nicht erkennbar.
       
 (IMG) Bild: Holger und Silke Friedrich bei einem Interviewtermin mit der dpa im November 2019
       
       Wer bei Redakteuren der Berliner Zeitung ein besonders kräftiges
       Augenrollen auslösen will, muss den Namen Netschajew nennen. Sergei
       Jurjewitsch Netschajew ist der russische Botschafter in Berlin – und er hat
       der Berliner Zeitung im vergangenen Jahr nicht nur ein Interview zu Nord
       Stream 2 gegeben, sondern auch zwei „Gastbeiträge“ und einen
       „Gastkommentar“ für das Ostberliner Traditionsblatt verfasst.
       
       Die Überrepräsentanz Netschajews wird ergänzt durch weitere tendenziell
       russophile Beiträge, mit denen die Berliner Zeitung in der jüngeren
       Vergangenheit aufgefallen ist. „Moskau traut dem Westen nicht und fürchtet
       eine ‚militärische Kolonialisierung‘ der Ukraine“ – dieses Kreml-Narrativ
       wird [1][in einem Text des Herausgebers Michael Maier] vom Jahresende
       unverblümt vor sich hergetragen. Anfang Februar brachte die Zeitung die
       ausführliche Nacherzählung eines „Gastbeitrags“ Wladimir Putins für die
       staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua, [2][wieder verfasst von
       Maier].
       
       Um das einordnen zu können, muss man zunächst feststellen, dass es „die“
       Berliner Zeitung nicht gibt. Mitarbeiter betonen immer wieder, dass es drei
       verschiedene Redaktionen gebe: eine für die montags bis freitags
       erscheinende Ausgabe, eine für online und ein Team für die
       Wochenendausgabe, die den Charakter einer Wochenzeitung hat. 2019
       übernahmen die medienbranchenfremden Unternehmer Silke und [3][Holger
       Friedrich den Verlag], malten sich mit deutlicher Bezugnahme auf
       ostdeutsche Identität eine „Vision für einen Neustart der Berliner Zeitung“
       aus – und versprachen dabei, gegen die „strukturelle, systemische
       Langeweile“ im Diskursbetrieb angehen zu wollen.
       
       Als Teil der „Vision“ entpuppte sich dann später, die traditionelle
       Trennung von Verlag und Redaktion in Frage zu stellen. Noch kurz vor
       Weihnachten sagte Holger Friedrich in einem Interview mit der Süddeutschen
       Zeitung, die Trennung von Verlag und Redaktion „wirkt ahistorisch und
       amüsiert mitunter“.
       
       ## Die Sache mit der Trennung von Verlag und Redaktion
       
       Nun hat im Februar gerade Friedrichs Wochenendzeitung über Verwicklungen
       von Redaktionellem und Unternehmerischem bei Dieter Holtzbrincks
       DvH-Mediengruppe [4][tadelnd berichtet.] Bei mehreren Holtzbrinck-Medien
       waren euphorische Artikel über Start-ups erschienen, an denen der
       Zeitungsverleger Holtzbrinck beteiligt ist – ohne redaktionelle Hinweise
       auf diese Verflechtung, wie die Berliner Zeitung zurecht moniert. Aber
       dieser scheinbare Widerspruch kann auch einfach davon zeugen, dass die
       Trennung zwischen Redaktion und Friedrich bei der Berliner Zeitung
       zumindest teilweise noch funktioniert. Und natürlich sollten Zeitungen
       investigativ über andere Zeitungen recherchieren – das passiert ohnehin
       viel zu wenig.
       
       Dass man sich in Sachen Trennung von Verlag und Redaktion intern nicht
       einig zu sein scheint, überrascht nicht. Die Berliner Zeitung vertritt in
       Grundsatzfragen viele Linien. Als Muster ist allenfalls ein schräger
       Konträrismus zu erkennen, ein selbstzweckhaft wirkendes Dagegenhalten gegen
       das, was einige im Haus als hegemoniale Medienmeinung wahrnehmen. Mitte
       Dezember twitterte eine Redakteurin der Wochenausgabe, in ihrer Redaktion
       ärgere man sich „über viele Texte“, die auf berliner-zeitung.de erschienen.
       
       Anlass für den Ärger der Redakteurin – sowie vieler Twitter-User – war ein
       sogenannter Faktencheck zu einer Äußerung von Karl Lauterbach. Der
       Gesundheitsminister hatte prognostiziert, dass die Omikron-Variante dazu
       führen werde, dass mehr Kinder ins Krankenhaus kämen. Der „Faktencheck“ der
       Berliner Zeitung bestand nun darin, [5][den Virologen Klaus Stöhr, wegen
       schriller Abweichungen vom wissenschaftlichen Konsens recht beliebt bei
       Clickbait-Journalisten], die Äußerungen Lauterbachs kommentieren zu lassen.
       Unter Faktenchecks versteht man gemeinhin eher Prüfungen durch
       spezialisierte Teams, nicht aber das Einholen von Statements eines
       Debattenteilnehmers.
       
       ## Nähe zum Schwurbler-Milieu
       
       Das könnte ein Einzelfall unterlassener Sorgfalt beim Content-Schrubben
       sein, wie Journalist*innen das rasante permanente Publizieren von
       Online-Inhalten nennen, aber eine Nähe der Zeitung zum Schwurbler-Milieu
       ist auch an anderen Stellen spürbar. Ende Dezember publizierte die Berliner
       Zeitung die Demo-Redebeiträge von Synchronsprecherin Giovanna Winterfeldt
       und Schauspielerin Miriam Stein im Wortlaut.
       
       Beide hatten sich, wie auch der „Faktenchecker“ Stöhr, zuvor [6][an der
       Querdenker-Aktion #allesaufdentisch] beteiligt. Jörg Reichel,
       Geschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju)
       in Berlin-Brandenburg nannte es „befremdlich“, dass die Berliner Zeitung
       „unkommentiert Reden einer rechten Demo veröffentlicht“, auf der
       Teilnehmende ihre Feindseligkeit gegenüber der Presse zum Ausdruck gebracht
       hätten.
       
       Kurz zuvor war bereits ein Interview des Herausgebers Michael Maier mit
       Miriam Stein erschienen. Und davor hatte der verglichen mit anderen
       Zeitungsherausgebern mitteilsame Maier schon mit Steins ebenfalls quer
       denkendem Gatten Volker Bruch („Babylon Berlin“) über dessen „politisches
       Engagement“ gesprochen. Bruchs Bündnisgenosse Jan-Josef Liefers wurde in
       Sachen Pandemie ebenfalls groß interviewt. Liefers ist eine Art Scharnier
       zwischen dem Ost-Identitäts-Fanblock und dem Schwurbler-Milieu und somit
       eine wichtige Figur für Teil-Zielgruppen der Berliner Zeitung.
       
       Aber, wie gesagt, „die“ Berliner Zeitung gibt es nicht. In der noch relativ
       jungen, Ende März 2021 gestarteten Wochenendausgabe findet man ein
       ambitioniertes Polit-Feuilleton – mit zeitgemäßen gesellschaftlichen
       Themen: Interviews mit Philosophinnen zu Rassismus und zur Gewaltfrage,
       Debatten über Geschlechter und Kolonialismus.
       
       ## Am Wochenende wird's Medienbubble-lastig
       
       Ganz frei vom Konträrismus ist aber auch die Samstagszeitung nicht. Von
       „einer gefühlte Mehrheit“ in der „deutschen Medienöffentlichkeit“ grenzt
       sich etwa Redakteur Hanno Hauenstein in einem Kommentar ab, in dem er die
       Einstufung Israels als „Apartheid“-Staat im jüngsten
       Amnesty-International-Bericht als „einkalkulierte Provokation“ verteidigt.
       Auf zwei kompletten Druckseiten setzt er sich mit den journalistischen
       Reaktionen auf den Bericht auseinander. Ohnehin widmet sich die
       Wochenendausgabe gern dem, was die anderen schreiben. Ein bisschen
       Medienbubble-lastig wirkt das Ganze schon für die Wochenendausgabe einer
       Regionalzeitung.
       
       Tomasz Kurianowicz, Chefredakteur der Wochenendausgabe, sagt, er wolle dort
       „so viel Debatte wie möglich“ zulassen. „Möglich“ sind dabei auch Beiträge
       des Journalisten Milosz Matuschek, einst Kolumnist bei der NZZ. Die
       Zusammenarbeit endete nach unterschiedlichen Vorstellungen zur
       Zweitverwerung. Matuschek hatte eine Kolumne der verschwörungsgläubigen
       Plattform Ken FM überlassen. In einem Beitrag für die BLZ-Wochenend-Rubrik
       „Für und Wider“ analysierte Matuschek zum Beispiel, dass [7][„die
       Covid-Cancel-Culture die moderne Version des mittelalterlichen Prangers und
       der revolutionären Hinrichtungsbarbarei“] sei, „nur mit anderen Mitteln“.
       In dem Text geht es um die medialen Reaktionen auf das Impfverhalten des
       Bayern-Spielers Joshua Kimmich. Dieses Verhalten mache den Fußballer zu
       einem „Vorbild“, so Matuschek.
       
       „Es gibt in der Wochenendredaktion Kollegen, die der Ansicht sind, dass
       impfskeptische Texte ein No-Go sind, aber ich finde, dass wir auch diesen
       Teil des Meinungsspektrums abbilden müssen“, sagt Chefredakteur Kurianowicz
       gegenüber der taz. Die Haltung anderer Verlage, solche Texte „aus ethischen
       Gründen nicht zu publizieren“, könne er aber „nachvollziehen“. Gegen den
       Eindruck, dass in der Wochenendausgabe viele impfskeptische Texte
       erscheinen, wehrt sich Kurianowicz: „Das stimmt numerisch einfach nicht.“
       Der Eindruck entstehe aufgrund der bekannten Online-Dynamiken.
       „Pro-Impf-Texte verpuffen dagegen, sie werden nicht geteilt, sie werden
       nicht gelesen“, sagt Kurianowicz.
       
       Denkt man sich all die Elemente zusammen, die die Gesamtmarke Berliner
       Zeitung ausmachen, lässt sich sagen: So etwas gibt es im hiesigen
       Journalismusbetrieb kein zweites Mal. Eine „Vision“, von der das Ehepaar
       Friedrich noch 2019 sprach, ist aber nicht zu spüren. Die Berliner Zeitung
       vermittelt einem eher das Gefühl, als stünde man in einem dystopischen
       Supermarkt, in dem man sich ständig am Kopf kratzen muss, weil das
       Sortiment durcheinander ist.
       
       20 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/nato-und-russland-ein-angebot-zum-gespraech-aber-viel-skepsis-li.202809
 (DIR) [2] https://www.berliner-zeitung.de/welt-nationen/spiele-in-china-die-spaltung-der-welt-wird-sichtbar-li.209801
 (DIR) [3] /Verleger-der-Berliner-Zeitung/!5642378
 (DIR) [4] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/streit-in-berlin-berliner-zeitung-greift-das-biotop-holtzbrinck-an-17794975.html
 (DIR) [5] /Aktion-Alles-dicht-machen/!5768434
 (DIR) [6] /allesaufdentisch-vs-Youtube/!5804084
 (DIR) [7] https://www.berliner-zeitung.de/wochenende/medialer-impfzwang-joshua-kimmich-steht-am-pranger-wie-im-mittelalter-li.191660
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Martens
       
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       Die Stasi-Akten des Eigentümers des Berliner Verlags wurden Expert*innen
       vorgelegt. Diese bewerten sie in einem Bericht mit großer Vorsicht.