# taz.de -- Forum Expanded der Berlinale: Am Maul des Kamels
       
       > Unter dem Motto „Part of the Problem“ versammelt das Forum Expanded
       > künstlerische Positionen vom Schaukel-Scherzo bis zum Tonband-Theater.
       
 (IMG) Bild: In Jonna Kinas „Akiya“ spielt das Tonbandgerät eine Stimme im Stil des japanischen Noh-Theaters ab
       
       Die Stimme spricht schnell, aber ausdrucksvoll moduliert. Da sie
       Portugiesisch spricht sind auf der schwarzen Leinwand weiße Untertitel zu
       sehen. Die Stimme behauptet überall zu sein, sich in jedes Lebewesen
       einnisten zu können und in jeden Stein. Nach einer gefühlten Ewigkeit
       blitzt auf der schwarzen Leinleinwand kurz das Fell eines Hundes auf.
       
       Und schließlich, als die Stimme in den Körper einer Frau einfährt, kommt
       eine solche auch ins Bild: Grace Passô, Autorin, Darstellerin und
       Regisseurin von „Vaga Carne“, der 45minütigen, großartigen Filmperformance,
       die im Programm 5 des Forums Expanded läuft und komisch, kraftvoll und
       dezidiert der Frage nachgeht, wie es denn so ist, im Körper einer Frau zu
       stecken.
       
       Der Ton macht die Musik. Das könnte das geheime Motto des diesjährigen
       Forum Expanded sein, dessen offizielles „Part of The Problem“ lautet. Der
       Ton macht die Musik jedenfalls in Akram Zaataris Film „The Landing“, in dem
       drei Männer den Raum einer verlassenen, schon halb im Wüstensand
       versunkenen Siedlung akustisch ausloten.
       
       Sie schlagen aus dem rostroten Cortenstahl-Tank mit der flachen Hand ein
       dunkles Grollen, während sie dem Griff des Spatens, auf den sie sich
       aufstützen, Maultrommelgesänge entlocken. Weil der Originalton
       Hauptdarsteller des Films ist, darf das Mikrophon an seiner Angel ins Bild,
       vors Maul der Kamele, um ihre Kaugeräusche einzufangen.
       
       ## Leise in den Sand ploppende Steine
       
       Und während die Männer Shaabiyat al Ghurayfah erkunden, eine in den 1980er
       Jahren gebaute und längst aufgegebene Beduinensiedlung in Sharjah in den
       Vereinigten Arabischen Emiraten, fügen sich die Laute von aufeinander
       prallenden oder leise in den Sand ploppenden Steinen, scheppernden Töpfen
       oder schwingenden Leitungen, von Natur, Architektur und Bewegung zu einer
       Art Symphonie.
       
       Ein hinreißendes Scherzo entsteht dadurch, dass einer der Männer eine
       Schaukel nicht nur für sich, sondern auch für sein Radio gebaut hat. Dessen
       Ton kommt nun mit dem Schwingen der Schaukel näher und entfernt sich dann
       wieder. Das große Finale liefert der Hubschrauber, der im Anflug mit dem
       aufgewirbelten Sand das Bild verdunkelt.
       
       „The Landing“ läuft im Programm 4, wo mit Jonna Kinas „Akiya“ wieder eine
       einzelne Stimme den Kinoraum und die Leinwand beherrscht. Sie zeigt ein
       klassisches analoges Tonbandgerät, Quelle der Stimme, die im Stil des
       Noh-Theaters einen Text spricht, der von der steigenden Zahl verlassener,
       leerstehender Häuser und Gebäude in Japan handelt. Von schrumpfenden
       Städten und einer schrumpfenden Gesellschaft.
       
       Auch diese Stimme entwickelt großen Charakter und eine eigene
       Persönlichkeit. Ihr Japanisch stammt aus der Zeit zwischen dem 14. und 16.
       Jahrhundert, ihr Text aber aktuellen Zeitungsberichten. Große fünf Minuten.
       
       Einzelne Filme des Programms sind auch Teil der Ausstellung im Silent Green
       im Wedding. So glücklich das Team von Stefanie Schulte Strathaus und Anselm
       Franke über den festen Standort der Ausstellung sein mögen, so unglücklich
       scheint der Raum selbst für das Vorhaben zu sein. Denn der tief unter der
       Erde gelegene, lange Schlauch ist zu überschaubar, um den
       Film-Installationen ihren je eigenen Raum zu geben. Die Vorhänge helfen
       wenig, machen die Sache nur noch klaustrophobischer.
       
       In ein hinterstes Eck gequetscht: Die kardinale Installation „Shipwreck at
       the Threshold of Europe, Lesvos, Aegean Sea: 28 October 2015“ von Forensic
       Architecture, basierend auf einer Dokumentation aus dem Filmprogramm des
       FE. Die syrische Filmemacherin Amel Alzakout hatte sich bei ihrer Flucht
       aus dem Kriegsgebiet nach Europa eine wasserdichte Kamera am Handgelenk
       befestigt.
       
       ## Ein angemessen komplexes Bild
       
       „Purple Sea“ sind ihre Aufnahmen von der Havarie des Schiffes mit dem sie
       nach Lesbos übersetzte und die wenigstens 43 Menschen das Leben kostete.
       Ausgehend von ihrem Material rekonstruierte die Gruppe um Eyal Weizman den
       Unfall, die Rettungsmaßnahmen und daraus folgend die Politik der EU zu
       Flucht und Vertreibung, subsummierbar unter Abwehr von Migration. Nur den
       griechischen Fischern verdankt sich die Zahl von rund 250 Überlebenden. In
       politischer Hinsicht sowieso, aber auch unter filmästhetischen Aspekten
       gelingt Forensic Architecture ein angemessen komplexes Bild.
       
       Dagegen zeigen Amel Alzakous rohe Bilder wenig (das Meerwasser, darin
       rudernd Hände und Beine und Markenlogos bekannter Sportswear) und
       suggerieren viel. Und auch ihre darüber gelegte Erzählstimme berichtet
       wenig (von einer zufälligen Begegnung mit einem Mann in Istanbul) und
       suggeriert viel. Eine Liebesgeschichte mit Happy End, die – analog dem
       Nike-Swoosh – wirkt wie das Markenzeichen einer westlich-patriarchalen
       Moderne.
       
       1 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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