# taz.de -- Premiere am Schauspielhaus Hamburg: Gefangen in ihrer Depression
       
       > Katie Mitchell inszeniert am Schauspielhaus Hamburg „Anatomie eines
       > Suizids“ von Alice Birch. Die Darsteller*innen agieren wie ausgebremst.
       
 (IMG) Bild: Jede scheint wie festgeschraubt an ihrem Platz
       
       Manchmal, leise, ist von Pflaumenbäumen die Rede, vom weiten Blick und von
       Feldern, die sich in jede Richtung erstrecken. Meist aber von Fischen, die
       am tiefen Grund des Teichs schwimmen, von Aquarien, kalten Kacheln und
       immer wieder von Blut. In diesem Text von Alice Birch ist verdammt wenig
       Licht und Hoffnung, umso mehr Dunkelheit und Lebensangst. „Anatomie eines
       Suizids“ lautet der Titel.
       
       Katie Mitchell hat das Stück am Hamburger Schauspielhaus als deutsche
       Erstaufführung auf die Bühne gebracht – die Uraufführung inszenierte sie
       2017 am Royal Court Theatre in London. In exakt derselben Ästhetik. Die
       Aufführung in Hamburg ist also ein Copy-Paste-Abend, ein düsterer noch
       dazu.
       
       In „Anatomie eines Suizids“ untersucht die britische Autorin, Jahrgang
       1986, wie sich die Depression in die DNA dreier Frauengenerationen
       einschreibt. Angefangen bei Clara (Julia Wieninger) über deren Tochter Anna
       (Gala Othero Winter) bis hin zu deren Tochter Bonnie (Sandra Gerling).
       Meist stehen die drei vor ganz, ganz grauen Betonwänden – und den darin
       eingelassenen gesichtslosen Türen – die Bühnenbildner Alex Eales ihnen als
       lichtarme Nicht-Genesungs-Umgebung gebaut hat.
       
       In schlaglichtartigen Szenen werden ihre Geschichten erzählt, ihre Ehen,
       ihre Schwangerschaften und vor allem natürlich ihre Verzweiflung. Die
       Darsteller*innen agieren darin wie ausgebremst. Mit angehaltenem Atem und
       gedrosseltem Aktionsradius können sie nicht mehr zeigen als
       holzschnittartige Reißbrettpsychologie.
       
       ## Die Tochter der Tochter
       
       Alles geschieht stockend, fast mechanisch und oftmals (text-) simultan. Das
       heißt, während Clara an einem Herbsttag Mitte der 70er Jahre ihr Baby Anna
       schaukelt, erzählt – nur wenige Meter neben ihr – die erwachsene Anna in
       den frühen 2000er Jahren dem ambitionierten Filmkünstler Jakob (Tilman
       Strauß) von ihrer Drogenkarriere – und verliebt sich in ihn.
       
       Zeitgleich führt deren gemeinsame Tochter Bonnie im rechten Drittel des
       Bühnenbilds ein Verkaufsgespräch über das Familienhaus mit ebenjenen
       Pflaumenbäumen im Garten und den Feldern ringsum. „Der Text ist als
       ,Partitur' entstanden – das Stück wurde simultan über die Seiten
       geschrieben und nicht in einzelnen Strängen,“ so die Vorbemerkung der
       Autorin.
       
       Diese Gleichzeitigkeit von Zeit, Raum und Text folgt einer genauen
       Struktur. Auf der Bühne verlangt sie ein präzises Timing, das Katie
       Mitchell bestens beherrscht, und dessen Keynotes man zunächst noch eifrig
       aufzuspüren sucht. Bald aber fügen sich alle Ereignisse in ein düsteres
       Grundrauschen, in ein gemeinsames, unausweichliches Schicksal.
       
       ## Tonnenschwer drückt die Geschichte
       
       Wortkarge, stockende Dialoge, dröhnende Musik von Paul Clark und Melanie
       Wilson im Wechsel mit fernen Schreien und diffusen Partygeräuschen aus den
       Verstärkern tun ihr Übriges. Die drei Protagonistinnen, das ist von Anfang
       an klar, sind gefangen, in ihrem Leben, ihrem Schicksal, in ihrer
       Depression.
       
       Aufheiterndes von Außenstehenden, wie etwa von der schrecklich patenten
       Tante Emma (grandios: Ruth Maria Kröger), die unaufgefordert
       Lebensweisheiten und Blumensträuße von sich wirft, haben wenig Platz.
       Tonnenschwer drückt die Last der Geschichte, die Katie Mitchell mit vielen
       dunklen Regenwolken verhängt. Die Wiederholung von Lebensstrukturen als
       mögliches Metathema ertrinkt in dieser Düsternis.
       
       Bedrückte Stimmen erzählen vom Unglück, am Leben zu sein und vom
       gemeinsamen Trauma, das sich so lange weitererzählt, bis es Bonnie, die
       letzte in der Reihe, mit einer Sterilisation durchbricht. Zuvor versucht
       ihr die rührend verliebte Fischerin Jo (Josefine Israel) einen Fisch zu
       schenken. Vergeblich. Schließlich ist in dieser Familie auch die Abneigung
       gegen Fisch – wie die Depression – erblich.
       
       Kurz aufleuchtende Jahreszahlen zeigen die jeweiligen Zeitsprünge an.
       Dazwischen bauen die Schauspieler*innen in den Bühnen-Dritteln immer neue
       Minisettings auf: ein Krankenzimmer, ein Café, ein Picknick am See. Eine
       Küche, ein Hausflur und wieder ein Krankenzimmer. Die drei Hauptfiguren
       verharren starr in diesen Momenten des Umbaus, von den Kolleg*innen werden
       sie wie Schaufensterpuppen eingekleidet: zur Schwangerschaft, zur Hochzeit,
       zum Klinikaufenthalt. Dunkle Wände, fahle Gesichter, fahrige Interaktionen
       und lange blutrote Mäntel illustrieren diesen fugenartig komponierten,
       recht pathetischen Text.
       
       So rauscht ein zwar formal kunstvoller, aber inhaltlich und ästhetisch sehr
       eindimensionaler Abend über die Bühne. Von Katie Mitchell in einem rauen
       Atemzug und leider auch in nur genau einer Temperatur erzählt. Diese ist
       kalt. So kalt wie ein Fisch. Am tiefen Grund eines Teichs.
       
       21 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Ullmann
       
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