# taz.de -- Doku über Heimkino im NS: Einfach mal laufen lassen
> In der ZDF-Doku „Privatfilme aus der NS-Zeit“ schimmert Stoff durch, der
> enormes Potenzial hat. Doch die Präsentation fällt dürftig aus. Schade.
(IMG) Bild: Bilder wie dieses aus der Zeit des Nationalsozialismus sind in der ZDF-Doku zu sehen
Selten sieht man eine historische Reportage zur Hauptsendezeit so scheitern
– und bedauert dabei, dass es so gründlich schiefgeht. Denn die
Versuchsanordnung der 45-minütigen ZDF-Doku „Privatfilme aus der NS-Zeit“
leuchtet ein: Material von Hobbyfilmern, die sich den teuren Farbfilm
leisten konnten, den es ab 1936 gab, [1][lässt den Alltag im
Nationalsozialismus unmittelbarer wirken]. Für uns, heute.
„Da wird die Brücke durch die Zeit geschlagen“, sagt die Historikerin
Isabel Heinemann im Film, das helfe, sich selbst zu fragen: „Hätten wir das
nicht auch großartig gefunden?“ Eine Rampe zur Identifikation also, zum
Vergleich, zum Abtasten, angesichts der Normalität des Rechtsextremismus in
unserer Gegenwart.
Allein, diese Momente lässt Filmemacher Jörg Müllner gar nicht erst
entstehen: Die Szenen werden permanent zugequatscht, zerschnitten, hechelnd
aneinandergereiht, abgebrochen, mit dem Sound unheilvoller Streicher und
Pauken zugegossen. Es ist ein Jammer – denn das Rohmaterial existiert ja,
wie er uns vorführt: jene Dokumente, die eine unheimliche Nähe, einen
Einblick in die Normalität hinter den allzu bekannten Bildern zulassen.
[2][Denn wie stark dieser Stoff wirken könnte], schimmert in raren
Augenblicken durch. Etwa die Schnipsel der Hochzeitsreise eines Ehepaars
mit dem Faltboot auf der Oder, zwei Wochen vor Kriegsbeginn, quasi entlang
des baldigen Frontverlaufs. Sie schneiden sich verliebt Brotscheiben ab und
blinzeln in die Sonne, mit Blick auf ein Passagierschiff, das vor Küstrin
liegt – schon geparkt als schwimmendes Lazarett. Oder als ein Sohn mit
Armbinde nach Hause kommt, die Mutter sich lächelnd über den Stoff beugt,
er stolz den rechten Arm in die Kamera streckt. Die Ideologie im Privaten,
fern der Wochenschau-Propaganda der Nationalsozialisten.
## Was will er denn nun?
Stattdessen vor allem Stirnrunzelmomente. In der Exposition fragt Müllner:
„Wird er es schaffen, zu überleben?“ – als sollten wir mit den Nazis und
feurig grinsenden Wehrmachtssoldaten mitfiebern, die er uns nun zeigt.
Oder, da läuft der Film schon 20 Minuten: „Wer nicht zu dieser Gemeinschaft
gehören soll, wird entrechtet und erniedrigt“, und: „An Fasnacht wird die
jüdische Bevölkerung verhöhnt“, „Restaurants und Lokale […] sind für Juden
verboten“, „In der Nacht zum 9. November werden jüdische Synagogen in Brand
gesteckt.“ Ach wirklich?!
Was will Müllner denn nun? Uns ernsthaft zur Primetime im Zweiten die
Geschichte der NS-Zeit auf dem Niveau eines Lehrfilms für die Schule
erklären? Will er analysieren, was Menschen dazu bringt, sich als Teil
einer Gruppe zu fühlen und andere Mitmenschen auszugrenzen? Will er
dokumentieren, wie die Nationalsozialisten Farbfilme als Propagandawerkzeug
einsetzten und ihre Reichsparteitage entsprechend inszenierten? Bitte,
gerne, aber wieso in diesem Film?
Denn auch all dies thematisch Angrenzende packt er in die knappen 45
Minuten, die eine andere Überschrift haben – und lässt dazu sage und
schreibe sechs Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachgebiete mehrfach
meist eher Allgemeines zum Nationalsozialismus erklären.
Dazwischen die Schnipsel verschiedener Filmer und ihrer Familien, aus
Bremen, Lahr, Leipzig, Bühl, Mainz, Stuttgart, Speyer, hier noch fix einen
Kraft-durch-Freude-Ausflug in die Berge, Erschießungsszenen, die im
Eichmann-Prozess als Beweismittel dienten. Zu viel von allem, als dass
dieses Rohmaterial auch nur ansatzweise die in ihm verborgene Kraft
entfalten könnte.
Dabei ist derlei nicht zum ersten Mal zu sehen. Es gibt einen „Spiegel
TV“-Film mit ähnlichem Ansatz von 2004 oder den ARD-Zweiteiler „Das Land
der Täter“ von Jan N. Lorenzen von 2017 (Wiederholung: 19. + 26. 8., je
23.30 Uhr). Beide haben die Auswertung des Farbmaterial von Hobbyfilmern
jener Jahre für den SWR beziehungsweise MDR auf regionale Versionen
runtergebrochen.
Einfach mal laufen lassen. Die Menschen sein lassen, wie sie sich selbst
gedreht haben. Ohne Erklärgequatsche. Ohne extra angefertigte
Alltagssounds. Ohne alberne Klischeemusik, die immer bedeutet: [3][Obacht,
hier geht es um die NS-Zeit]. Es gehe darum, zu zeigen, heißt es im Film,
wie sich damals „Politik und Privatleben vermischen“, wie Menschen
„beginnen, in neuen Kategorien über sich nachzudenken“. Schöne Idee
eigentlich. Vielleicht könnte jemand mal einen solchen Film machen. Gerne
auch mit Alltagsfilmstoff von jenen, die keine strammen Nazis waren.
6 Aug 2019
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## AUTOREN
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