# taz.de -- Disneys „Der König der Löwen“: Ein Zirkustrick mit Zauberstab
       
       > Echt aussehende Computertiere statt Zeichentrick: Disney verfilmt einen
       > weiteren Klassiker als „Live-Action-Version“ neu. Alles sehr charmant.
       > Oder?
       
 (IMG) Bild: Kleine Konferenz der Tiere in „Der König der Löwen“
       
       Man kann viel sagen gegen das Disney-Projekt der sogenannten
       Live-Action-Remakes. Der belehrende Hinweis, es gehe dabei „nur“ ums
       Geldverdienen, hat den Nachteil, erstens offensichtlich und zweitens
       spaßbremserisch zu sein. Und um Spaß geht es eben doch auch.
       
       Als reines Unterhaltungsprojekt, das Zuschauer von acht bis achtzig bei
       Laune hält, erfüllt der neue „König der Löwen“ beherzt die in ihn gesetzten
       Erwartungen: Er folgt dem Plot und der Inszenierung des „Originals“ von
       1994 mit solchem Respekt, dass sich einem fast der urdeutsche Begriff der
       „Werktreue“ in den Sinn drängt, und bietet zugleich mit neuen Stimmen und
       neuem Look gerade genug Innovation, dass keine Langeweile aufkommt, selbst
       wenn man den alten Film erst vor Kurzem wieder gesehen hat.
       
       Es ist wie Weihnachten mitten im Sommer: Ein paar neue Songs mischen sich
       unter die alten, ein paar neue Gags setzen leicht andere Akzente, aber
       ansonsten wird hier mit viel Einsatz ein Ritual erfüllt. Eben das
       Disney-Spaßritual. Und man muss schon ziemlich blasiert sein, um sich nicht
       irgendwie mitreißen zu lassen vom Schicksal des Kätzchens Simba, dessen
       Fell in dieser „Live-Action-Version“ so schön fluffig aussieht, dass man es
       streicheln möchte.
       
       Und dann das Drama, zusammengeklaubt bei Shakespeares simpelsten Epigonen:
       von wegen böser Bruder, der einen Königsmord begeht und den wahren
       Thronfolger ins Exil jagt, der dann dort erwachsen wird und zurückkehrt, um
       sein rechtmäßiges Erbe anzutreten, auf dass die ganze afrikanische Savanne
       den „Circle of Life“ besingt.
       
       ## Fotorealismus trifft es besser
       
       Ja, so charmant und gefällig kommt der neue „König der Löwen“ daher, mit
       seinem Disney-typischen Mix aus drolligen und rührenden Momenten,
       dargebracht in tadelloser und neuester Handwerkstechnik – dass man sich
       regelrecht zusammenreißen muss, um all das im Kopf zu behalten, was sich
       gegen dieses Remake-Gewese dann doch sagen lässt.
       
       Das Offensichtlichste davon, gleich nach dem kommerziellen Aspekt, ist,
       dass dieser „König der Löwen“ mit „Live-Action“ so viel zu tun hat wie ein
       Hauskater mit den majestätischen Raubkatzen in der Savanne: nicht mehr als
       eine im Maßstab geschrumpfte äußere Ähnlichkeit. Gerechtigkeitshalber sei
       zugestanden, dass der Disney-Konzern selbst den neuen „König der Löwen“ im
       Unterschied zu den [1][dieses Jahr gestarteten „Dumbo“] und „Aladdin“ nie
       als Live-Action-Film bezeichnet hat, sind sämtliche Kreaturen hier doch
       reine Computergrafik-Geburten, vom Löwenrudel über die Hyänen bis hin zum
       launigen Komikerduo aus Warzenschwein und Erdmännchen.
       
       Das Stichwort „Fotorealismus“ trifft die Sache schon besser. Allerdings
       auch, weil der Begriff die Assoziation an die Schrecken erregenden
       Fototapeten weckt, mit denen sich einst überzeugteste Stubenhocker
       karibische Strandansichten ins Schlafzimmer holten. Der Fotorealismus, erst
       recht im Digitalzeitalter, überhöht das Reale durch eine Deutlichkeit der
       Darstellung, die eigene, nicht nur positive Effekte nach sich zieht.
       
       So beginnt der neue „König der Löwen“ ganz wie der alte: mit der
       sogenannten Präsentation des kleinen Simba als Thronfolger eines
       Königreichs, das die gesamte Savannenfauna einschließt. Das Löwenbaby wird
       auf der Höhe eines vorspringenden Felsens in die Luft gehoben, um vom
       untenstehenden „Volk“ bewundert werden zu können. In der Version von 1994
       waren die sich versammelnden Antilopen, Zebras, Giraffen und dergleichen
       schon durch die Zeichnung so vermenschlicht, dass man sich an der
       Projektion von Feudalmärchen auf Natur kaum störte.
       
       ## Mienen sind weniger leicht zu lesen
       
       Im neuen Film aber, wenn ebendiese Versammlung „fotorealistisch“
       nachgestellt wird, fällt ihre Unnatürlichkeit, ihre Fiktionalität viel mehr
       ins Auge. Und fast erschrickt man ein wenig, wenn die nun so realistisch
       aussehenden Löwen auf einmal Englisch oder Deutsch sprechen. Oder gar zu
       singen anfangen! „Hakuna Matata!“
       
       Aber das Kino-Auge passt sich schnell an. Wo die gezeichneten Disney-Tiere
       von einst dem Zuschauer die Identifikation stets leicht machten mit ihren
       expressiven Augen, die feine Nuancen wie hämisches Grinsen in die
       eigentlich wenig beweglichen Gesichter von Vögeln oder Schlangen zaubern
       konnten, muss sich die Fantasie im neuen Disney-Fotorealismus fast mehr
       anstrengen.
       
       Die Mienen der neuen Löwen sind weniger leicht zu lesen – was tut sich in
       den dunklen Augen des bösen Onkel Scar? –, was ihnen aber auch etwas
       intrigierend Geheimnisvolles verleiht. Oder ist es nur ein anderes
       Einfühlen, dem ähnlich, das den meisten Hundebesitzern so leicht von der
       Hand geht („Der will nur spielen“)?
       
       Tatsächlich gleicht dieses Umwandeln von ausdrucksstarken
       Zeichentrickfilmen in fotorealistische Reboots einem Zirkustrick, bei dem
       man einen Zauberstab dafür einsetzt, um einen simplen Toaster herzustellen,
       wie neulich jemand auf Twitter schrieb. Zugleich verändert sich im neuen
       „König der Löwen“ durch die neue Technik mehr, als auf den ersten Blick
       sichtbar scheint.
       
       ## Ideologische Renovierungsarbeit
       
       Zum Beispiel fallen interessanterweise die Stimmen, immer schon ein
       essenzieller Teil jedes Animationswerks, noch mehr ins Gewicht. Als hätte
       man das im Disney-Betrieb vorausgeahnt, hat man fürs Voice-over-Ensemble
       des englischsprachigen Originals höchste Prominenz gecastet. Und was
       [2][Sängerin Beyoncé] dabei in ihrer Rolle der Nala etwas an
       Modulationsfähigkeit vermissen lässt, gleicht sie durch ihre gleichsam
       königinnenhafte Aura wieder aus. Ähnliches gilt für Donald Glover, der
       seinem erwachsenen Simba nicht so viele Dimensionen abgewinnt, dafür aber
       Hipness mitbringt.
       
       Der Rest des Ensembles – von James Earl Jones, der als König Mufasa seinen
       Bass wie im Original dröhnen lässt, über „unsere“ Florence Kasumba, die als
       Hyäne Ränke schmiedet, bis hin zu John Oliver, der als Kurier Zazou
       herumschwirrt – bietet schon als reines Hörspiel ein Erlebnis. Besonders
       Seth Rogen, dessen Warzenschwein das paradoxe Kunststück vollbringt, jede
       Szene aus dem Off zu „stehlen“.
       
       Wobei die Stimmenbesetzung gut überleitet zu einem der heikleren
       Unteraspekte, die Disney bei seinem Remake-Projekt verfolgt, das schon in
       den 90ern mit einer damals untergegangenen Version des „Dschungelbuchs“ und
       den erfolgreichen „101 Dalmatinern“ begann und seit „Alice im Wunderland“
       2010 so richtig Fahrt aufnahm. Mit der technischen Modernisierung nämlich
       wird zugleich ideologische Renovierungsarbeit geleistet, wenn etwa
       „Aladdin“ um seine Araber-Klischees bereinigt wird und im neuen „Dumbo“ das
       Töchterlein die schlaue Jungwissenschaftlerin geben darf.
       
       ## Da wäre mehr drin gewesen
       
       Dass das im kommerziellen Interesse geschieht, kann man verteufeln oder
       interessant finden. Sollte es so sein, dass der moderne
       „Vierquadranten-Film“, der Männern und Frauen unter und über 25 gefällt,
       nicht mehr ohne starke weibliche Helden auskommt, [3][Diversität abbilden]
       und [4][„Whitewashing“] vermeiden muss? Oder macht es sich „König der
       Löwen“ zu einfach, weil man hinter der Fassade des Tierfotorealismus so
       viel leichter mit einem starken afroamerikanischen Ensemble (die Löwen
       genauso wie ihre koboldhaften Gegenstücke, die Hyänen) angeben kann?
       
       Doch wo im neuen „Aladdin“ die schöne Prinzessin am Ende das Sultanat
       übernehmen darf, bleibt im neuen „König der Löwen“ die Geschichte ganz die
       alte Jungsfabel von Vater und Sohn, Sohn und Vater; mit einer nur leicht
       erweiterten Rolle für Nala/Beyoncé. Dabei birgt, im Unterschied zum
       fabelhaften Morgenland übrigens, die Wirklichkeit der Savanne ganz andere
       Möglichkeiten für eine Stärkung der Frauenrollen.
       
       Die echten Löwenrudel nämlich, darauf wies National Geographic vor
       Filmstart eigens hin, sind matrilineare Gemeinschaften, in denen die
       wechselnd mitlaufenden Männchen nur wenig zu melden haben. Sogar ihre
       prächtige Mähne ist nur dazu da, den Frauen zu gefallen. Sollte Disney in
       Zukunft weiter an mehr „Realismus“ interessiert sein, kann man dem nächsten
       Remake also mit Spannung entgegensehen.
       
       17 Jul 2019
       
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