# taz.de -- Datenspeicherung von Mailanbietern: Zum Überwachen gezwungen
       
       > Ermittler wollten von Posteo IP‑Adressen. Der Mailanbieter speichert die
       > Daten nicht. Muss er aber, meint das Bundesverfassungsgericht.
       
 (IMG) Bild: Verbindungsdaten sind die neuen Überwachungskameras
       
       E-Mail-Anbieter müssen Daten von Nutzer:innen extra für die Strafverfolgung
       erheben – auch wenn sie das gar nicht wollen. Das Bundesverfassungsgericht
       hat in dieser Woche eine Verfassungsbeschwerde des E-Mail-Anbieters Posteo
       abgewiesen. Bei datenschutzbewussten Nutzer:innen hat das für Unruhe
       gesorgt, weil das Gericht damit die Möglichkeiten der Strafverfolger:innen
       deutlich ausweitet. Doch was bedeutet die Entscheidung nun – für
       Nutzer:innen, für die Gesellschaft, für privatsphärefreundliche
       Geschäftsmodelle?
       
       Zunächst einmal hilft es, die Geschichte zu kennen, über die die
       Verfassungsrichter:innen entschieden haben. Protagonist ist der
       E-Mail-Provider Posteo. 2009 gründen Patrik und Sabrina Löhr das für den
       damaligen Markt ungewöhnliche Unternehmen – einen E-Mail-Anbieter, der
       keine persönlichen Daten verlangt, auf Verschlüsselung setzt und seine
       Server und Geschäftsräume mit Ökostrom betreibt.
       
       Dafür müssen die Nutzer:innen, anders als bei konventionellen Anbietern wie
       Gmail, GMX oder T-Online, für ihren Mail-Account zahlen. Wer anonym sein
       will, steckt den Schein in einen absenderlosen Briefumschlag. Durch ein
       komplexes Codierungssystem lässt sich die Zahlung zuordnen.
       
       Außerdem treffen Patrik und Sabrina Löhr eine Entscheidung, deren Folgen
       sie jetzt zu spüren bekommen: [1][Sie verzichten darauf], die IP-Adressen
       ihrer Kund:innen zu erheben. Das ist eine Ziffernfolge, die Computer in
       Netzwerken zur Kommunikation verwenden und über die sie identifiziert
       werden können.
       
       Im Zuge der Snowden-Enthüllungen 2013 fällt immer mehr Menschen auf, dass
       Datenschutz doch eine ganz sinnvolle Sache sein könnte: Posteo wächst. Für
       das Jahr 2017 beziffert das Unternehmen die Zahl der Postfächer schließlich
       auf 230.000.
       
       Während Posteo wuchs, verschaffte sich der Staat in den vergangenen Jahren
       immer mehr Befugnisse in Sachen Überwachung der Telekommunikation. Die
       Vorratsdatenspeicherung, in erster Auflage von 2007, gehört genauso dazu
       wie die Überwachung per Trojaner. Historisch gesehen ist das folgerichtig:
       Früher war die Telekommunikation in staatlicher Hand. Wollte eine Behörde
       an Daten herankommen, stand sie nicht vor großen Problemen.
       
       Doch bei den Überwachungsmaßnahmen nach der Privatisierung galt für
       Anbieter von E‑Mail-Diensten bislang: Sie mussten nur das herausrücken, was
       sie sowieso schon erhoben hatten. Verlangt ein E-Mail-Anbieter also das
       Geburtsdatum bei der Anmeldung – dann muss er es auch auf den
       entsprechenden Beschluss hin an die Polizei herausgeben. Hat er es dagegen
       nie erhoben – dann gehen die Strafverfolger:innen leer aus.
       
       ## Das Ende der Datensparsamkeit?
       
       Mit ihrer Entscheidung gegen Posteo haben die Verfassungsrichter:innen
       die Pflichten nun deutlich ausgeweitet: Erstmals muss ein E-Mail-Anbieter
       Daten – in diesem Fall die IP-Adresse – zum Zweck der Strafverfolgung
       überhaupt erheben. Und hier wird es etwas kleinteilig. Denn technisch sind
       IP-Adressen natürlich notwendig, um einen E-Mail-Dienst betreiben zu
       können.
       
       Posteo setzt allerdings auf eine Lösung, bei der die Adressen nur
       kurzzeitig an der Außenkante des IT-Systems vorhanden sind und die
       Adressinformationen automatisch durch andere ersetzt werden. Zugriff auf
       die IP-Adressen hat das Unternehmen nicht. Die Richter:innen fanden
       dagegen: Schön und gut, das mag für die Vergangenheit gelten. Aber wenn die
       richterliche Aufforderung kommt, dann möge man bitte die IP-Adresse
       liefern.
       
       Nach der Entscheidung des Gerichts könnte es schwerer werden, im Netz
       anonym unterwegs zu sein. „Die Gefahr ist, dass die Entscheidung zur
       [2][Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen] herangezogen wird“, sagt
       Friedemann Ebelt vom Verein Digitalcourage. Auch das BKA-Urteil des
       Bundesverfassungsgerichts, das sich auf die Abwehr von Terrorismus bezogen
       habe, sei später verwendet worden, um die Befugnisse bei normaler
       Polizeiarbeit auszuweiten.
       
       Und noch etwas kommt erschwerend hinzu: „Für datensparsame Geschäftsmodelle
       ist diese Entscheidung ein Dämpfer“, sagt Elisabeth Niekrenz von der
       Digitalen Gesellschaft. Auch Friedemann Ebelt befürchtet, dass als Nächstes
       andere privatsphärefreundliche Geschäftsmodelle Einschränkungen erfahren
       werden. Der Anonymisierungsdienst Tor zum Beispiel oder VPN-Dienste, die
       Nutzer:innen vor Überwachung schützen können.
       
       Dass das Bundesverfassungsgericht gegen Posteo entschieden hat, könnte auch
       an dem Grund für die Ermittlungen liegen. 2016 hatte ursprünglich das
       Amtsgericht Stuttgart angeordnet, die Telekommunikation eines verdächtigen
       E-Mail-Accounts zu überwachen. Der Verdacht: unerlaubter Handel mit
       Betäubungsmitteln und Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.
       
       ## Die Überwachungs-Gesamtrechnung
       
       „Natürlich müssen Ermittlungen möglich sein, aber das Problem ist, dass
       Datenschutz viel geringer gewichtet wird als das Interesse an
       Strafverfolgung“, sagt Friedemann Ebelt. Und dass alternative
       Ermittlungsansätze außen vor blieben. Eine Idee: Ist den Ermittler:innen
       die Mail-Adresse bekannt, könnten sie beispielsweise eine mit einem
       Tracking-Pixel präparierte E-Mail schicken. Das ist keine Geheimfunktion;
       Unternehmen oder Verbände nutzen diese Methode sehr häufig, um
       herauszufinden, ob und wann ihre Sendungen gelesen werden. Auch die
       IP-Adressen der Abrufenden lassen sich so erheben. Natürlich lässt sich so
       ein Pixel blocken – aber den Versuch wäre es wert.
       
       Es gibt einen Begriff, der die Problematik zusammenfasst: die
       Überwachungs-Gesamtrechnung. Er entstand auf Grundlage eines
       Verfassungsgerichtsurteils zur Überwachung per GPS. Damals sagten die
       Richter:innen sinngemäß: Ob eine Überwachungsmaßnahme verfassungsgemäß ist,
       hängt auch immer davon ab, wie viel Überwachung es sonst so gibt. Je mehr
       Überwachung es schon gibt, desto kritischer muss man sich die anschauen,
       die noch dazukommt.
       
       Diesen Begriff verwendete auch eine Expertin, die des grenzenlosen
       Privatsphäre-Aktivismus relativ unverdächtig ist: die damalige
       Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff. In einer Stellungnahme, in der
       sie Posteo bei der Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht attestierte,
       datenschutzfreundlich zu handeln, wies sie auf die immer weiter
       ausgedehnten Befugnisse der Sicherheitsbehörden hin. Und forderte das
       Verfassungsgericht auf, sich gut zu überlegen, ob eine zusätzliche
       Überwachungsauflage wirklich sein muss.
       
       „Auch deshalb ist es so wichtig, was Posteo macht“, sagt Friedemann Ebelt.
       Und Elisabeth Niekrenz weist darauf hin: „Schon die Sorge, überwacht zu
       werden, führt dazu, sich einzuschränken.“ Auch wenn man hierzulande derzeit
       nicht von politischer Verfolgung sprechen könne – man wisse nie, wie sich
       die politische Großwetterlage eines Tages ändere.
       
       Posteo hat angekündigt, erst einmal in Ruhe zu prüfen, welche Möglichkeiten
       bestehen – technisch wie juristisch. Und betont in seiner Stellungnahme:
       „Wir werden nicht damit beginnen, die IP-Adressen unserer unbescholtenen
       Kundinnen und Kunden zu loggen.“ Näheres will das Unternehmen nicht sagen.
       Doch es klingt danach, als suchte man eine technische Lösung, um dann, wenn
       es ein Gericht fordert, im Einzelfall IP-Adressen erheben zu können.
       Systemadministrator:innen schätzen das als etwas aufwendig, aber nicht
       unmöglich ein.
       
       2 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Svenja Bergt
       
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