# taz.de -- Essay Sprache der französischen Macht: Do you speak Macron?
       
       > Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich haben ihre Ursache auch im
       > Sprachgebrauch des Präsidenten. Er belehrt, ermahnt, spottet und
       > frotzelt.
       
 (IMG) Bild: Emmanuel Macron liebt Unternehmersprache
       
       Stellen wir uns vor, Angela Merkel würde uns als störrische Landsleute
       bezeichnen, unfähig zum Wandel. Sie würde behaupten, einige von uns seien
       Faulenzer, viele Frauen Analphabeten. Sie würde Menschen, denen sie in
       einer Bahnhofshalle begegnet, einteilen in jene, die ihr Leben meistern,
       und jene, die schlichtweg nichts sind. Schließlich würde sie damit prahlen,
       selbst schon beim Überqueren der Straße einen Job finden zu können, uns
       aber dazu auffordern, es doch mal mit Arbeiten zu probieren, wenn wir uns
       einen Anzug kaufen wollen.
       
       Ja, was wäre dann? Empörung? Revolte? Wut? Auf jeden Fall kämen derlei
       Äußerungen dem Bild von Frau Merkel sicher nicht zugute. Dieu merci, sie
       stammen nicht aus ihrem Mund. Nein, es handelt sich um ein Best-of an
       markigen Kommentaren des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, mit dem
       Merkel erst in dieser Woche einen neuen [1][Freundschaftspakt] geschlossen
       hat. Doch während Macron in Aachen feierlich den Geist der
       deutsch-französischen Aussöhnung beschwor und mit staatstragender Miene von
       Europa schwärmte, zogen draußen Menschen in gelben Warnwesten durch die
       Straßen, wie in Frankreich [2][schon seit drei Monaten], immer wieder
       samstags. Angeheizt auch durch Macrons Punchlines, diese bissigen Sätze,
       mit denen er in Frankreich um sich wirft und die man als Zuhörer seiner
       Reden auf internationalem Parkett nicht vermuten würde.
       
       Die kleinen Macron-Sätze wirken wie Speerspitzen und lassen sich
       hervorragend in sozialen Netzwerken teilen. Kaum eine Woche vergeht, ohne
       dass er mit neuen verbalen Entgleisungen die Aufmerksamkeit auf sich zieht,
       als sei es fast egal, wie man über ihn spricht, solange man über ihn
       spricht. Dabei müssten seine Berater allmählich beten, er möge sich auf die
       Zunge beißen. Wie soll es ihnen gelingen, das Bild des arroganten,
       elitären, realitätsfremden Präsidenten aufzumöbeln, wenn dieser dauernd
       belehrt, ermahnt, spottet und von oben herab frotzelt?
       
       In Wahlkampfzeiten war das durchaus von Nutzen: permanent Präsenz zeigen,
       um den Informationsfluss, in dem eine Neuigkeit die nächste jagt, ständig
       mit Futter zu versorgen. Da konnte ein schlecht platzierter Witz des
       Kandidaten auch wieder verdrängt werden durch die nächste knackige
       Bemerkung. Doch Macron scheint vergessen zu haben, wie beständig Worte
       eines Präsidenten sein können. Zumindest, wenn sie in der Bevölkerung als
       verachtend wahrgenommen werden. Die Gelbwesten posten und teilen was das
       Zeug hält, und so laufen Macrons Verbalfehltritte in Dauerschleife:
       Menschen, die nichts sind … die nichts sind … nichts sind … nichts.
       
       Wenn man die aktuellen Proteste verstehen will, kommt man nicht am
       präsidentiellen Hochmut vorbei, der sich zuallererst in seiner Sprache
       äußert. Erinnert uns das an etwas? Natürlich.
       
       Als Donald Trump auf die politische Bühne trat, dauerte es nicht lange, bis
       man seine Rhetorik mit Orwells Vision vom „Neusprech“ verglich, die der
       Autor in seinem legendärem Werk „1984“ verwendet. Die Umdeutung von Worten
       ist kein neues Phänomen. Doch im französischen Kontext, wo Rhetorik Teil
       der Ausbildung an den Eliteschulen ist und die Académie française seit dem
       17. Jahrhundert über die Sprache wacht, hört man noch genauer hin als
       andernorts.
       
       Die Politik Macrons hat, einmal von den Worthülsen befreit, mit
       Überzeugungen nur noch wenig zu tun. Selbst Anhänger seiner Bewegung „En
       Marche“, die man nach großen „Meetings“ befragte, gaben zu Protokoll, sie
       hätten außer der Parole „weder rechts noch links“ inhaltlich nicht viel
       mitgenommen. Macron spielt dabei mit einer weit verbreiteten Wahrnehmung:
       Seit 40 Jahren wechseln sich in Frankreich Sozialisten und Konservative ab.
       Schlussfolgerung: Ist das Entweder-oder nicht genaugenommen immer nur das
       gleiche? Ein Nullsummenspiel. Macron hat seine Politik zur einzig möglichen
       erhoben und sie gar mit Vernunft gleichgesetzt. Der Macronismus als einzig
       wirksames Heilversprechen für die kranke Marianne.
       
       Das Rezept, das Macron vorschlägt, zeigt eine weitere Marotte des
       Präsidenten: Seine Liebe zur Unternehmersprache. In ihrem Buch „Der neue
       Geist des Kapitalismus“ haben die Soziologen Luc Boltanski und Eve
       Chiapello schon 1999 den Diskurs des Neo-Managements untersucht und
       aufgezeigt, wie die sich ausbreitende Management-Sprache den Kapitalismus
       befähigt, ihm entgegengebrachte Kritik aufzugreifen und zum eigenen Vorteil
       zu transformieren. So ist das in den 60er-Jahren verwandte Wort
       „Hierarchie“ nahezu verschwunden, stattdessen hat „Projekt“ die Spitze
       übernommen. Macron redet ständig von Projekten, denn Projekte vermitteln
       den Eindruck, man befinde sich permanent in einem produktiven Prozess, mit
       dem politischen Anspruch zu produzieren, zu entwickeln, zu wachsen.
       
       Seine Anleihen aus der Unternehmenswelt – er selbst war Banker bei
       Rothschild – zeigen sich aber auch in Anglizismen, die man am Kickertisch
       oder im Open Space junger Firmen vernehmen könnte. Do you speak Macron? Da
       muss von business model die Rede sein, dann soll Frankreich eine
       start-up-nation werden, muss es venture capital geben und job mentoring,
       und das made in France wieder zum Gütesiegel werden.
       
       Was man als erfrischend empfinden kann, als jung, dynamisch und
       zukunftsweisend, ist den Gelbwesten verhasst; es verstärkt nur das Gefühl,
       abgehängt zu sein, nicht dazuzugehören. An den Stadträndern spricht keiner
       wie der Youngster-Präsident.
       
       Bereits jetzt kann man beobachten, wie sich Bedeutungen verschieben, wofür
       es in der Kommunikationswissenschaften die Bezeichnung „Framing“ gibt.
       Begriffe werden durch Bilder so aufgeladen, dass ihre Bedeutung eine
       Richtung vorgibt – man denke an Markus Söders [3][„Asyltourismus“]. In
       Frankreich waren Sozialabgaben mal „cotisations sociales“, also ein
       „Beitrag zum Sozialen“, heute spricht man von „charges sociales“, von den
       sozialen Abgaben, von der Last für den Arbeitgeber. Es geht also nicht mehr
       um die kollektive Anstrengung, um den öffentlichen Dienst zu finanzieren,
       der allen Bürgern zugutekommt. Nein, es handelt sich um eine Belastung, die
       zu verringern ist. Hier ebnet die Sprache den Weg für den Schwenk in
       Richtung Neoliberalismus, ohne Alternative.
       
       Gerade jetzt, wo Macron seine Franzosen zur [4][„Grand débat“], einer
       großen nationalen Debatte, aufgefordert hat, verbreiten sich
       Falschinformationen als „alternative Fakten“ immer weiter. Miteinander
       sprechen, ja. Aber worüber, wenn man schon von unterschiedlichen Realitäten
       ausgeht?
       
       Zur Erinnerung: 2017 wurde „Alternative Fakten“ in Deutschland zum
       [5][„Unwort des Jahres“] gewählt. Es war die Regierung Trump, die einen
       bizarren Umgang mit Zahlen, Fakten und Beweisen pflegte. Die eigensinnige
       Auslegung der Teilnehmerzahl bei Trumps Vereidigung, die dreiste Lüge
       seines Sprechers Sean Spicer wurden kurzerhand zu „alternativen Fakten“
       erklärt.
       
       Auch in Frankreich reibt man sich verwundert die Augen, wenn Macron oder
       Mitglieder seiner Regierung derzeit über die Zustände in Frankreich
       sprechen. „Unwissenheit ist Stärke“, heißt es bei George Orwell. Das
       Unwissen, die Ignoranz der real existierenden sozialen Schieflage, wie sie
       die Gelbwesten anprangern, ist frappierend. Zuletzt deklarierte Macron in
       seiner großen Fernsehansprache, man habe die Basis gelegt „für eine
       ambitionierte Strategie bei der Organisation der Krankenhäuser“. Dabei
       verschlechtert sich die Situation dort massiv und das Pflegepersonal
       schlägt regelmäßig Alarm und streikt gegen die miserablen
       Arbeitsbedingungen, gegen die fehlenden Mittel, die wiederholten
       Selbstmorde von überforderten Angestellten. Erst am vergangenen Dienstag
       waren wieder Tausende auf der Straße. Macron aber blendet diese Realität
       aus, anstatt zunächst eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, bevor das
       Reformprojekt ins Spiel kommt; er versucht, sich nur mit dem Positiven (der
       Reform), nicht aber mit dem Negativen (der akuten Lage) in Verbindung zu
       bringen.
       
       Auch in der aktuellen Auseinandersetzung über die Bewegung der Gelbwesten
       erstaunt die Auslegung der Vorkommnisse und die verwendeten Formulierungen.
       Innenminister Christophe Castaner gab zunächst zu Protokoll, es habe keine
       Polizeigewalt gegen Gelbwesten gegeben. Da kursierten in den sozialen
       Medien bereits eindeutige Videoaufnahmen, die zeigen, wie Polizisten brutal
       und ohne offenkundigen Grund gegen Demonstranten vorgehen. Krieg ist
       Frieden, sagt Orwell. Und während die französische Zeitung Libération
       offenlegt, dass wegen des Einsatzes sogenannter Flashball-Geschosse seit
       Beginn der Proteste 15 Menschen ihr Auge verloren haben, erklärt Castaner:
       „Vier Personen haben durch den Einsatz der Polizei schwere Einschränkungen
       ihres Sehvermögens erlitten.“ Ist es da verwunderlich, dass
       Verschwörungstheorien bei einigen Gelbwesten gerade Hochkonjunktur haben
       und dass diese bereits eigene Nachrichtenkanäle, Radiosender, Webseiten ins
       Leben gerufen haben, einzig für die eigenen, vermeintlich wahren Fakten?
       
       Macron sitzt also in der selbst produzierten Sprachfalle: Einerseits
       schafft er es nicht, den Ton seiner Mitbürger zu treffen, wenn er zu
       verklausuliert und zu technokratisch spricht und wenn er behauptet, seine
       Reformpolitik sei alternativlos. Andererseits kommen die Versuche seiner
       knackigen, leger formulierten Punchlines, die an den
       Tausendsassa-Präsidenten Nicolas Sarkozy erinnern, wie ein Bumerang
       zurück. Der darin zum Vorschein tretende Hochmut schadet Macron weit mehr,
       als er ihm nützt. Aber der Musterschüler versucht zu lernen: zum Auftakt
       der „Grand débat“ hat er schon mal ein siebenstündiges Gespräch mit 600
       Bürgermeistern hingelegt.
       
       Die Gelbwesten werden ganz genau hinhören, was der Präsident in den
       kommenden Wochen zu sagen hat. Auch wenn eine Abkehr von seiner bisherigen
       Linie nicht zu erwarten ist, so doch zumindest gewisse Schattierungen. Die
       Nuancen, das Einsehen, die Kompromissfähigkeit nun auch sprachlich zu
       vermitteln, darin besteht die Herausforderung, die der Präsident vor sich
       hat.
       
       Schlichten statt spalten, versöhnen statt aufwiegeln, verstehen statt
       verspotten. Macron hat es in der Hand. Oder besser: auf den Lippen.
       
       27 Jan 2019
       
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