# taz.de -- Der Hausbesuch: „Hass gegen andere ist dumm“
       
       > Aminu Tanko aus Ghana zog der Liebe wegen nach Hamburg. Sein Sohn soll
       > einmal Bundeskanzler von Deutschland werden.
       
 (IMG) Bild: Rassistische Übergriffe und Anfeindungen: Aus der bayerischen Provinz wollte Tanko nur noch weg
       
       Königssohn, Modedesigner, Gabelstaplerfahrer, Rapper – nur wenige Menschen
       haben so viele Identitäten wie Aminu Tanko. Zu Besuch in Hamburg.
       
       Draußen: Plattenbauten liegen wie Inseln im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel.
       Ein Einsatzwagen rauscht über die dreispurige Hauptstraße. Szenecafés und
       Imbissbuden, ältere Menschen auf Parkbänken, die schon in der Mitte des
       Monats auf ihren Hartz-IV-Satz warten. Sogar „die Omis“ würden ihn hier
       akzeptieren, sagt Aminu Tanko. Sein Name steht auf einem der
       Klingelschilder neben türkischen und ostfriesischen Namen. In Deutschland
       fühle er sich nur hier in Hamburg zu Hause.
       
       Drinnen: Eine Küche, ein Tonstudio in einer Abstellkammer, ein Bad mit
       Tigerprint-Klobrille, ein Schlafzimmer, das ist Aminu Tankos Zuhause und
       auch sein Arbeitsplatz. Links geht es ins Wohnzimmer, dort: ein Glastisch
       mit Nussnougat-Creme, ein Schreibtisch voller Monitore und ein Mischpult,
       der Fernseher läuft. Tanko kommt gerade von der Arbeit nach Hause. Sein
       Kumpel ist schon da und schaut mit verschränkten Armen Fußball. Die beige
       Couchgarnitur knarzt, als sich Tanko setzt, um eine Zigarette zu drehen.
       
       Aminu Tanko: 39, weißes Hemd, buntes Kopftuch, die Dreads wippen, wenn er
       lacht. Tagsüber ist er Gabelstaplerfahrer, starrt acht Stunden täglich von
       Monitoren auf Listen, hier ein Piepsen, da eine Unterschrift, fährt
       Baumaterialien durch ein Lager. In seiner Wohnung aber sei er ein anderer:
       Hier gibt er Tanz- und Aerobicunterricht. Er rappt, er näht, er lernt seine
       Texte. Neben dem Fernseher liegt ein verwelktes Skript. Mit pinkfarbenem
       Filzstift ist seine Rolle markiert: 2016 spielte er bei einem Spielfilm den
       Mafiaboss. Fast täglich bekommt er Nachrichten von einer Agentur für
       Filmprojekte nur für Schwarze.
       
       Königssohn: Tanko springt auf und klatscht in die Hände. „Bumboklak“,
       schreit er. Gerade fiel ein Tor. Als er sich setzt, flimmert im
       Hintergrund weiter das Fußballspiel, während Tanko erzählt, wie er als Sohn
       eines Königs in Ghana aufwuchs. Die Erinnerungen an seine Kindheit: Häuser
       mit großen Zäunen, das Internat, sein Vater. Er ist eine Art Bürgermeister
       einer großen Region, ein wohlhabender Fleischer – und sein bester Freund,
       von dem er niemals ein Nein hört, aber viele Ratschläge. In der Jugend riet
       er ihm: Wenn du einmal an einem fremden Ort bist, gehe auf den Markt und
       kaufe dir die Kleidung, die man dort trägt. In Tankos Worten bedeutete das:
       Adaptiere dich, komm schnell klar.
       
       Modedesigner: Der Vater ist auch derjenige, der ihn unterstützt,
       wegzugehen. Nach der Schule zieht Tanko nach Nigeria, „weil ich mehr lernen
       wollte“. Vier Jahre lang macht er eine Ausbildung zum Modedesigner. Zurück
       in Ghana eröffnet er seinen eigenen Laden. In der Hamburger Wohnung steht
       im Hintergrund seine Nähmaschine von damals. Tanko trägt die langen, selbst
       genähten Baumwollgewänder, ein Cap und Sneakers, wie ein Kompromiss
       zwischen der alten Heimat und der neuen. Noch in der alten lernt er eine
       deutsche Austauschstudentin kennen.
       
       Neues Leben: Als sie schwanger wird, zieht das junge Paar nach Hamburg. Es
       geht nicht lange gut. Seit der Trennung sieht Tanko seinen Sohn nur noch
       jedes zweite Wochenende. Er bemüht sich. Wie Urlaub möchte er seine Wohnung
       für Rahim gestalten. Nur er würde seinen Sohn beim Zahnarzt dazu bringen,
       den Mund aufzumachen. „Wenn ich heute Rahim frage, wer ist dein bester
       Freund, würde er ,erst Samuel und dann Papa' sagen“, weiß Tanko, und er
       weiß auch, dass es nicht immer so war.
       
       Bayern: Auf einem Festival lernt er „seine große Liebe“ kennen: „Ich habe
       einfach alles für sie gemacht“. Als er zu ihr in eine bayerische Kleinstadt
       zieht, sieht er seinen Sohn noch seltener. Sein Herz pocht, wenn Rahim ihn
       fragt: „Wann kommst du wieder?“ Tankos Leben in Bayern bedeutet für ihn
       sechs Jahre Zeitarbeitsfirma und Provinz. Er hört in der Zeit immer wieder,
       er sei ein Affe. Alte Frauen mit Hunden an der Leine hätten die
       Straßenseite gewechselt, wenn sie ihn sahen. Auf dem Heimweg sei ein Auto
       auf den Fahrradweg ausgeschert, um ihn umzufahren. Auch als er bei seiner
       Arbeitsstelle die Rassismusvorwürfe meldet, reagiert die Polizei nicht:
       „Seitdem wollte meine Seele nur weg“, sagt Tanko.
       
       Ausländerfeindlichkeit: Und dennoch: „Ich war der einzige Nigger im Ort mit
       einem Nazi als Freund.“ In Bayern arbeitet Tanko in einem Betrieb, Tisch an
       Tisch mit einem Nazi, der sogar den Augenkontakt zu ihm meidet. Ein Dialog
       verändert nicht nur ihr Verhältnis: „Bitte beantworte mir eine Frage und
       ich lasse dich für immer in Ruhe“, sagt Tanko. „Warum magst du mich nicht –
       weil ich schwarz bin?“ „Ja“, antwortet sein Kollege. Seine Großmutter sei
       im Zweiten Weltkrieg von einem Schwarzen vergewaltigt worden. „War ich das
       oder habe ich das veranlasst?“, fragt Tanko. Der Kollege verneint. Tanko
       fragt weiter: „Mein Urgroßvater wurde als Sklave in die USA verfrachtet und
       mit ihm ganze Generationen, warst du das?“ Der Kollege verneint ein zweites
       Mal. Danach unterhalten sie sich plötzlich auch in den Pausen. Auf einer
       Dorfparty sagt der Arbeitskollege seinen Freunden: „Nennt ihn nicht ‚Affe‘,
       er ist mein Kollege und nett.“
       
       Sprachgewalt: „Es ist lustig, wenn sich Deutsche die Zunge verknoten, um
       nicht ,Neger' zu sagen“, sagt Tanko. Es käme auf das richtige Pronomen und
       den Kontext an. „Mein Neger“ klinge nach Unterdrückung, „My Nigger“ sogar
       liebevoll. Komisch sei es, dass mit „Schwarz“ alles negativ assoziiert
       werde: „Schwarzfahren, Schwarzarbeiter, Schwarzmalerei“. Dagegen hätte ein
       guter Mensch eine „weiße Weste“: „Wie hat das angefangen?“ Tanko lacht,
       dass seine Dreads wippen.
       
       König der Löwen: An der Wand hängt ein „König der Löwen“-Stundenplan.
       Eingetragen die Zeiten, an denen Tanko seinen Sohn von den Proben abholen
       muss. Das Musical werde regelmäßig kritisiert, obwohl es seit mehr als 25
       Jahren immer ausverkauft sei. Sein elfjähriger Sohn Rahim spielt heute in
       der Kinderabteilung des Musicals. „Er tanzt, wie ich“, sagt Aminu Tanko.
       Zwanzig Mal hätte er das Stück mittlerweile gesehen. Es sei eine uralte
       Geschichte von Afrika, das könnten Deutsche gar nicht spielen: „Ihr checkt
       das nicht.“
       
       Familie in Ghana: Das Handy klingelt. Per WhatsApp schickt Tankos Schwester
       ihm ein Video aus Ghana. Es zeigt seinen älteren Bruder, der mittlerweile
       der König ist, in einer Trage bei einem Straßenfest. Um ihn tanzen Menschen
       in bunten Gewändern. Es sei das Ende von Ramadan, erklärt Tanko, acht
       Stunden feiern am Stück, „wie die Loveparade“.
       
       Glaube: Auch Tanko ist gläubiger Muslim. Was ihn am Koran fasziniert: die
       Vorstellung, wie „Gott dich quasi baut“. Im vierten Monat der
       Schwangerschaft, so erklärt Tanko, käme ein Engel mit einem Brief und würde
       mit dem Ungeborenen gemeinsam den „Masterplan fürs Leben“ schreiben. Egal
       ob Araber, Schwuler oder Mörder, glücklich oder unglücklich, sagt Tanko:
       Jeder Lebensplan sei vorbestimmt. Deshalb findet er: „Hass gegen andere
       Menschen ist dumm.“ Er sei eine Beleidigung Gottes und seiner
       Entscheidungen.
       
       Sein Lebensplan: „Ich bin ein Nigger, ich bin nicht auf der Welt, um reich
       zu sein, aber um hart zu arbeiten, zu sterben und zu gehen“, sagt Tanko. Er
       habe sich in allen Gebieten schon abgearbeitet: Küchenhelfer, Fußballprofi,
       Modedesigner, Hausmeister, Postbote, Lagerlogistiker. Ganz anders sei der
       Lebensplan für seinen Sohn: Wenn er nicht Schauspieler wird, soll er
       Bundeskanzler von Deutschland werden.
       
       Wie findet er Merkel? Tanko sagt, er sei froh, dass Angela Merkel die
       Menschen nach Deutschland kommen lasse und ihnen glaubt, dass sie in ihrer
       Heimat echte Probleme haben. In einer Zeit, in der Hass auf Fremdes durch
       die Medien kursiert, symbolisiere sie eine „gütige Mutti“. Wenn sein Sohn
       einmal Bundeskanzler sei, werde er trotzdem etwas anders machen – nämlich
       den Bürgern zeigen, dass jeder ein Mensch ist. Und dass man nicht nur
       arbeiten muss, um zu leben.
       
       25 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ann Esswein
       
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