# taz.de -- Der Hausbesuch: Boxen ist wie singen
       
       > Sie ist Opernsängerin, liebt Hunde, wuchs in Norwegen auf und lernte beim
       > Boxtraining, wie wichtig Teamgefühl ist. Zu Besuch bei Ivi Karnezi.
       
 (IMG) Bild: Viele Möbel hat sie nicht mitgenommen: Ivi Karnezi mag es gemütlich, aber nicht zu voll
       
       Das Leben als Opernsängerin kann einsam sein: In der Branche ist die
       Konkurrenz oft größer als die Kollegialität. Zum Glück konnte Ivi Karnezi
       schon immer gut alleine sein – am norwegischen Fjord, im Kreuzberger
       Boxstudio oder im niedersächsischen Braunschweig. Seit acht Jahren arbeitet
       sie als Opernsängerin, seit über einem Jahr ist sie Teil des Ensembles des
       Braunschweiger Staatstheaters.
       
       Draußen: Der Hagenring, vierspurig, der ein paar Meter in die eine Richtung
       noch Altewiekring und ein paar mehr Meter in die andere Richtung Rebenring
       heißt. Er trennt „das Östliche“ (Braunschweigs beliebtestes Wohngebiet) von
       der Innenstadt und verläuft fast parallel zur Oker, die einen unförmigen
       Kreis um die Altstadt zieht. Gegenüber eine blitzblanke Geschäftsstelle der
       regionalen Volksbank. Vor dem vierstöckigen Wohnhaus mit altrosa Fassade
       weist ein großes Verkehrsschild in Richtung Staatstheater (nur fünf Minuten
       Fußweg) und Zentrum. Nebenan wirbt das Restaurant Odysseus mit weißen
       Lettern in griechisch anmutendem Font für seinen Partyservice.
       
       Drinnen: Ein Treppenhaus wie Turnhallen und Großumkleiden. Die Wohnung ist
       spärlich, aber mit Bedacht eingerichtet, mit Kerzen für Gemütlichkeit. Ivi
       Karnezi hat gern Platz („nicht zu voll, das bringt mir nur Chaos im Kopf“).
       Suchen musste sie nicht lange, ein befreundeter Tänzer am Staatstheater
       zog um und überließ Karnezi die zwei Zimmer. Aus Berlin hat sie fast nichts
       mitgebracht, nur ihre Bücher, CDs („ich bin ja aus dieser Generation“) und
       ein paar Möbel: ein Bett und die Couch, die besonders wichtig für Karnezi
       ist, ein Ort zum Entspannen unabhängig vom Bett („immer in einem Sessel
       oder Stuhl zu sitzen ist mir dann auch zu anstrengend“).
       
       Im Wohnzimmer außerdem ein schwarzer Tisch, darauf eine glänzende,
       zylinderförmige Vase, auch schwarz. Darin rote und weiße Rosen („meine
       Lieblingsblumen sind eigentlich Tulpen“). An der einen Wand lehnt „Kallax“,
       das beliebte Ikea-Regal mit den vielen Quadern zum Füllen, weiß diesmal, in
       einem Quader eine Klaviertastatur zum Zusammenrollen. Auf dem Couchtisch
       ein Adventskranz, ein Geschenk von den Eltern zu Karnezis Premiere als Mimi
       in „La Bohème“ („ich bin kein totaler Weihnachtsfreak, aber es macht schon
       eine schöne Stimmung“). Karnezi brüht Kaffee in einer French Press auf,
       ihren trinkt sie schwarz, Milch hat sie fast nie im Haus, Sojamilch
       manchmal.
       
       Optik: Ivi Karnezi trägt einen sauber geschnittenen, schwarzen Bob. Sie mag
       Veränderung und Praktikabilität („ich bin nicht so girly und habe keine
       Geduld“). Zuvor waren ihre naturgewellten Haare lang und blond („ich habe
       viele Frisuren und Farben gehabt in meinem Leben“). Eitel ist sie nicht,
       sie will sich wohlfühlen. Einkaufen in Jogginghose ist kein Problem („ich
       war wahrscheinlich immer mehr so ein Tomboy“). Heute trägt sie schwarze
       Overknee-Stiefel mit Absatz, sonst bleibt sie lieber bei bequemen
       Klassikern. Ein Paar schwarze Chucks und ein Paar Doc Martens stehen im
       Flur.
       
       Familienhunde: Gegenüber von „Kallax“ hängt eine schlichte Illustration in
       Blautönen, etwa 30 mal 20 Zentimeter, ein Hund mit Knochen im Maul. Es ist
       der einzige Hund in der Wohnung. Manchmal darf sie auf das Tier einer
       Arbeitskollegin aufpassen („der süßeste Labrador überhaupt“), das beruhigt
       Karnezi während der Hundeabstinenz. In Norwegen wuchs sie mit zwei
       Familienhunden auf („meine Mutter ist auch so ein Hundefreak“): Týpo
       (Rottweiler) und Alani (Mischling zweier Straßenhunde aus Kreta).
       
       Norwegen: Als sie drei Jahre alt war, zog Ivi Karnezi mit ihren Eltern nach
       Norwegen, in die Heimat ihrer Mutter. Sie wuchs auf einer Halbinsel in der
       Nähe von Oslo am Fjord auf („wunderschöner Blick und mitten in der Natur“).
       
       Braunschweig: Ivi Karnezi hat sich die Stadt nicht ausgesucht, sie ist ihr
       eher zugefallen wie vielen Zugezogenen. Im Juli 2017 ging sie von der Spree
       an die Oker, vorher war sie hier nur zum Vorsingen und für eine
       Arbeitsprobe. Sie musste die ganze Partie der Elisabetta in „Don Carlos“
       lernen, in nur zwei Wochen. Sechs bis neun Stunden täglich übte sie in
       dieser Zeit – allein am Klavier und mit Lehrerin und Pianisten beim
       Gesangsunterricht („bis es langsam fließt“). Die Anstellung in der
       Löwenstadt ist für sie eine Chance („der Sprung und die Möglichkeit, die
       ich hier bekommen habe, waren schon sehr groß“).
       
       Musik: Musik und Schauspiel liegen bei Ivi Karnezi in der Familie. Ihr
       Vater ist Musiker und spielt das griechische Instrument Bouzouki („bekannt
       aus dem Film ‚Zorba the Greek‘ mit Anthony Quinn“). Die Mutter arbeitet als
       Sekretärin im Schauspieltheater in Oslo. Karnezi ist mit griechischer Musik
       aufgewachsen, mit neun oder zehn Jahren begeisterte sie sich für Metal,
       Punk und Ska. No Doubt und Skunk Anansie feierte sie, auch wegen der
       starken Frontfrauen stundenlang laut singend in ihrem Zimmer („meine armen
       Eltern“). Auf dem Gymnasium bekam Karnezi klassischen Gesangsunterricht
       („was ich am Anfang ein bisschen komisch fand“).
       
       Boxen: Karnezi hatte lange kein wirkliches Hobby, dann entdeckte sie das
       Boxen („aber das hat auch viel mit dem Singen zu tun“). Am Anfang hat sie
       sich nicht recht getraut („vielleicht weil ich eine Frau bin?“), dann
       erfuhr sie von der Boxerin Cecilia Brækhus („unsere norwegische Heldin,
       sozusagen“). In Oslo ging Karnezi zum ersten Mal in ein Boxstudio
       („Menschen, die schwitzen und kämpfen, meistens Männer natürlich“), von
       ihrem Trainer Johnny lernte sie mehr als Sport. Karnezi gefällt, dass es
       beim Boxen ein Team gibt, obwohl man während des Kampfs allein im Ring
       steht. Musiker und Künstler haben so ein Teamgefühl oft nicht, findet
       Karnezi. Boxen habe ihr geholfen, Denkmuster zu verändern und immer
       weiterzugehen („wenn dich jemand trifft, musst du weitermachen, dich
       schützen, weiterkämpfen, so ist es beim Singen auch“). Gerade boxt sie
       nicht („ich vermisse es sehr“), aus Zeitmangel.
       
       Einsamkeit: Karnezi findet ihren Beruf einsam („auf jeden Fall“), aber man
       treffe gleichzeitig tolle Menschen. In der Opernbranche gebe es viel
       Konkurrenz: viele Sänger, aber wenig Arbeit. Man hat viel Zeit allein, man
       muss alleine lernen, alleine reisen. Und Sänger wie sie, die aus einem
       anderen Land kommen, haben oft weder Familie noch Freunde an der Seite
       („man kann nicht einfach jeden Sonntag zusammen essen“). Mit sich selbst
       kommt Karnezi zum Glück gut aus, sie war immer gern mit sich allein („in
       diesem Beruf muss man seine eigene Gesellschaft mögen“).
       
       Die Stimme: Ivi Karnezi ist Fan von Soundgarden und Chris Cornell. In der
       Schulzeit sang Karnezi noch in zwei Metal- und Rockbands, parallel zum
       klassischen Gesangsunterricht. Irgendwann musste sie wählen („leider“),
       weil die Technik in den Genres doch sehr verschieden ist. Sie denkt nicht,
       dass Pop, Rock oder Metal schädlich für die Stimme sind („man braucht nur
       eine andere Technik“), aber beim Operngesang werden andere Muskeln
       trainiert („und dann entsteht ein Konflikt für die Stimme“). Ihre Stimme
       sei gewachsen mit der Zeit, größer geworden, das musste sie akzeptieren
       lernen („das ist auch eine Frage der Mentalität“), damit die Stimme sich
       befreien konnte.
       
       Das Ziel: Mit der Zeit habe sie gemerkt, dass toll singen nicht ausreicht
       („man braucht Kontakte und Glück“). Und viel Geduld brauche es, man müsse
       dranbleiben, auch wenn man gerade kein Engagement bekomme. Dadurch lernte
       Karnezi, sich kleinere Ziele zu setzen („diese eine Arie muss ich
       verbessern“). Das große Ziel, eine berühmte Opernsängerin zu werden, habe
       sie immer noch, aber vielleicht ist es etwas in den Hintergrund gerückt.
       Heute findet sie wichtiger, dass sie gute Arbeit leistet, sich
       weiterentwickelt und mit sich selbst zufrieden ist.
       
       Der Zweifel: Karnezi muss nicht lange darüber nachdenken, ob sie zweifelt.
       Sie zweifelt oft, sehr oft, zum Beispiel wenn sie eine neue Rolle lernt.
       Dabei dürfe man dem Zweifel nicht zu viel Raum geben. Auch das hat sie beim
       Boxen gelernt: cooler bleiben, ein bisschen praktisch und präzise denken,
       sich sagen, das mache ich gut und das hier sind nicht so meine Stärken,
       daran kann ich noch arbeiten („wenn das heute nicht klappt, arbeite ich
       morgen weiter daran“).
       
       Dazwischen: Ivi Karnezi fühlt sich oft dazwischen, zwischen Griechenland,
       Norwegen und Deutschland, zwischen Stadt- und Landmensch. Die Deutschen
       findet sie sehr direkt („das ist krass, wenn man aus Norwegen kommt, da
       versuchen wir immer etwas diplomatischer zu sein“), aber sie würde nicht
       sagen, dass sie sich deutsch, norwegisch oder griechisch fühlt. Ihr Vater
       sagte immer, er sei eben international – das findet Ivi Karnezi für sich
       auch passend („Man gehört irgendwie nirgendwo dazu und gleichzeitig
       überall“).
       
       Wie findet sie Merkel? Zu Merkel sagt Ivi Karnezi nichts („da werde ich
       mich nicht äußern“), politisch sieht sie sich schon eher links. Ihr
       Großvater war Politiker, sie macht sich Sorgen um Norwegen und auch um die
       Welt. Das mit Trump findet sie lächerlich, mit dem Rechtsruck in Norwegen
       ist sie unzufrieden („das ist nicht das Land, in dem ich aufgewachsen
       bin“). Ivi Karnezi findet, man müsse nicht immer einer Meinung sein, aber
       man solle respektieren, was andere denken.
       
       11 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lin Hierse
       
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