# taz.de -- Bewerberandrang bei Merkel-Nachfolge: CDU fast wie einst bei den Piraten
       
       > Zwölf Bewerber wollen Parteichefin Angela Merkel beerben. Damit setzt die
       > CDU neue Maßstäbe – und ähnelt ein bisschen der Piratenpartei.
       
 (IMG) Bild: Gehört eigentlich an einen Laternenpfahl: das Wahlversprechen der CDU
       
       „Ziehe viele darüber zurate, was du tun sollst, aber teile nur wenigen mit,
       was du ausführen wirst.“ 
       
       Es ist rund 500 Jahre her, dass der Staatsphilosoph Niccolò di Bernardo dei
       Machiavelli diesen Satz so oder vielleicht auch nur so ähnlich gesagt haben
       soll. Machiavelli gilt vielen als böser Realo, als kalter Analytiker der
       Macht, der sich weniger darum scherte, was moralisch geboten sein könnte,
       und dafür mehr darum, was geboten war. Zur Herstellung, zur Sicherung und
       zum Erhalt von Macht.
       
       Dieser sein kühler, fürstengleicher Blick auf politisches Geschehen vieler
       Art vermochte es in den folgenden 500 Jahren nach seinem Ableben immer
       wieder, Relevanz zu entfalten. Machiavelli, das ist so eine Art Markenname,
       so eine Art Gebrauchsanweisung.
       
       Friedrich Merz, [1][der Anwalt mit den vielen Berufen], ist so ein Typ
       Machiavelli. Viele spotten nun darüber, dass der jahrelang vor allem auf
       eigene Tasche tätige Herr Merz sich nun so wohltemperiert, gut vorbereitet
       und zur Überraschung eigentlich aller in Szene brachte – es war allerdings
       genau dies: wohltemperiert, gut vorbereitet und [2][zur Überraschung
       eigentlich aller].
       
       Es wäre falsch, das falsch zu finden.
       
       ## Funkenflug und Zunder
       
       Denn mit seiner anspruchsvollen Siegerpose bringt Merz gerade doch etwas in
       Gang, das unabhängig von seinem Ergebnis bereits jetzt als historisch zu
       bezeichnen ist: ein nie gekanntes Maß an [3][innerparteilicher Demokratie]
       innerhalb der Machiavellipartei Deutschlands, der CDU.
       
       Dort wagte bislang gemeinhin nur zu kandidieren, wer die Mehrheit hinter
       sich wissen konnte. Von dieser Gewissheit, von dieser Vorhersehbarkeit des
       demokratischen Aktes verabschiedet sich die Partei derzeit. Sie tut es
       natürlich nicht freiwiliig, sondern, weil es nicht anders geht. Aber gut
       ist es doch.
       
       Zwar ist Friedrich Merz in politischen Ämtern, das lässt sich ja sagen, zu
       nichts Anständigem zu gebrauchen. Für Funkenflug und Zunder aber, ist er es
       jedenfalls doch.
       
       ## Zwölf KandidatInnen
       
       Zwölf Personen haben laut Medienberichten inzwischen ihre Kandidatur für
       den CDU-Parteitag Anfang Dezember erklärt. Das ist ein Wert, der an die
       basisdemokratischsten Zeiten der Piratenpartei erinnert, als Utopistinnen
       und Utopisten in den Bällebädern dieser Republik um ihre Zukunft rangen:
       oft belacht, meist verspottet. All dies stets zu Unrecht.
       
       Der Kampf um die Zukunft, ist ein Kampf um Ideen.
       
       Es hat gedauert bis die CDU, heute immerhin zweitgrößte Partei
       Deutschlands, sich, quasi versehentlich, darauf hat einlassen können, ihre
       Zukunftsfragen mit derlei Offenheit und Transparenz zu klären.
       
       Das letzte Mal 1971 
       
       Man muss sich das vergegenwärtigen: Das letzte Mal, dass die Delegierten
       der CDU beim Parteivorsitz die Auswahl hatten, war im Jahr 1971, als es
       noch West- und Ostdeutschland gab, als die USA einen Waffenstillstand mit
       Vietnam beschlossen und als Rainer Barzel in Saarbrücken gegen Helmut Kohl
       gewann. Seitdem trat immer nur einer an. Wie ausgemacht, wie fad und
       mutlos.
       
       Das ist das innerparteiliche Demokratiemodell der CDU.
       
       Dies wird sich nun ändern. Tingeln werden sie und werben und sie werden
       natürlich, hintenrum, den Landesverbänden und Mittelstandsvereinigungen und
       den Jungen und Alten und Frauen und Arbeitnehmern und überhaupt allen
       Geschäfte anbieten und Rat einholen und ein paar Versprechungen machen,
       klar, aber eines müssen diese Kandidatinnen und Kandidaten der zweitgrößten
       Partei Deutschlands auch tun: öffentlich und transparent ihre Versprechen
       abgeben, ihre Visionen schildern und ihre Ansprüche untermauern.
       
       Das ist eine gute Sache, und darauf, dass selbst die CDU so weit gekommen
       ist, sich so heute so grünengleich und piratenhaftig, so offen also zeigen
       zu müssen – darauf können wir alle stolz sein. Es geht in dieser Debatte um
       etwas. Nur wer sich hinterfragt, bleibt sich bekannt.
       
       Worum es eigentlich geht 
       
       Der nicht-öffentliche Teil dieses Machtkampfes, das ist wohl wahr, wird
       nach eigenen Regeln organisiert sein. Es sind 500 Jahre alte Regeln, so
       oder ähnlich formuliert von irgendwelchen Fürstenverstehern. Aber der
       öffentliche Teil dieses Wettbewerbes um die künftige inhaltliche
       Ausrichtung der Regierungspartei CDU wird beantworten, worum es ihr
       wirklich gehen wird. Um welche Art der Integrationspolitik, um welche Art
       der Steuerpolitik, um welche Art der Bildungspolitik – falls
       Bildungspolitik überhaupt eine Rolle spielt.
       
       Solcher Streit, solches Gezänk um die Sache, ist gut. Es ist gut, dass ihn
       alle mitbekommen können. Es ist gut, wenn viele mitreden können. Streit um
       die Sache wirkt immunisierend. Streit um die Sache ist wie Medizin.
       
       „Die Menschen“, soll Machiavelli mal gesagt haben, „sind so einfältig und
       hängen so sehr vom Eindruck des Augenblickes ab, dass einer, der sie
       täuschen will, stets jemanden findet, der sich täuschen lässt.“
       
       Streit um die Sache hilft, sich nicht täuschen lassen zu müssen.
       
       6 Nov 2018
       
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