# taz.de -- 100 Jahre Novemberrevolution: Endlich Frauenwahlrecht
       
       > Vor 100 Jahren bekamen Frauen in Deutschland das Recht zu wählen. Das war
       > keine Selbstverständlichkeit in der damaligen Zeit.
       
 (IMG) Bild: Tausende gingen von Tür zu Tür, um Wählerinnen zu werben
       
       [1][Hier lesen Sie den Text in Leichter Sprache.] 
       
       Wer der Überzeugung ist, dass Demokratie nicht ohne die volle
       Gleichberechtigung der Frauen funktionieren kann, muss heute feiern. Denn
       genau vor 100 Jahren sprach die Revolutionsregierung in Deutschland allen,
       die über 19 Jahre alt waren – ob Männer oder Frauen –, das Recht auf freie,
       gleiche und geheime Wahl zu.
       
       Deutschland lag mit der vollen politischen Gleichheit für Frauen ein Jahr
       hinter der Sowjetunion, aber vor den Vereinigten Staaten von Amerika, wo
       die Frauen das Wahlrecht auf nationaler Ebene 1920 bekamen. In
       Großbritannien mussten Arbeiterfrauen und Frauen unter 30 bis 1928 auf den
       Zugang zu Wahlen warten. In Frankreich gar bis 1945. Wenn die
       Gleichberechtigung der Frauen unabdingbar ist für eine echte Demokratie,
       dann war Deutschland am 12. November 1918 die einzige existierende
       Demokratie unter den großen Nationen – was für ein großer Tag.
       
       Man muss allerdings sagen, dass in jenen Wochen kaum jemandem zum Feiern
       zumute war. Auf der politischen Rechten war man besorgt und wütend: Am 9.
       November war das Bismarck’sche Kaiserreich untergegangen, jetzt waren
       Sozialisten an der Regierung. Weit links Stehende waren verärgert darüber,
       dass im Erlass vom 12. November, in dem die Sozialdemokraten Frauen das
       Wahlrecht gewährten, nichts Konkretes über Sozialismus stand. Schlimmer
       noch, mit dem Waffenstillstand, der am 11. November unterzeichnet worden
       war, wurde deutlich, dass der Friede nur als Niederlage zu haben war.
       
       Noch blockierte Großbritannien deutsche Häfen – und das sollte weitere
       sechs Monate so bleiben. Lebensmittelimporte wurden unterbunden, Millionen
       Deutsche litten Hunger. Ehemänner, Väter und Söhne saßen in englischen und
       französischen Kriegsgefangenenlagern fest und sollten so bald nicht
       zurückkommen. Wer wollte schon feiern nach einem Krieg, in dem zwei
       Millionen Männer gestorben waren und doppelt so viele verwundet wurden?
       
       ## Über 300 Frauen kandidierten für die Wahlen
       
       Es zeigte sich außerdem, dass in den 1920er Jahren bald viele Frauen davon
       enttäuscht waren, wie die politische Gleichheit sich gestaltete. Die
       meisten männlichen Politiker wiesen die Belange, die Politikerinnen
       äußerten, ab. Immer weniger Frauen kandidierten für politische Ämter. Keine
       Frau wurde je in Preußen oder im Deutschen Reich der Weimarer Republik
       Ministerin, obwohl es durchaus hochqualifizierte Kandidatinnen gegeben
       hätte.
       
       Wie so viele Männer, die die Demokratie im Laufe der 1930er Jahre aufgaben,
       unterstützten auch Millionen Frauen Adolf Hitler, der ihnen aber 1933 de
       facto die politischen Rechte entzog. Die Revolution vom 9. November und der
       Waffenstillstand vom 11. November sind Tage, die die Deutschen lieber
       vergessen, und mit diesen Tagen ist auch der 12. November in Vergessenheit
       geraten.
       
       Aber denken wir für einen Moment nicht an die 1920er und 30er Jahre.
       Betrachten wir die Wochen nach dem 12. November 1918. Nie zuvor, in keinem
       Land, waren jemals innerhalb kurzer Zeit so viele, nämlich Millionen von
       Frauen zu so vielen Versammlungen gegangen. Sie bereiteten sich auf die
       nationalen Wahlen vor. In Vereinen und Theatern sprachen die Anführerinnen
       der Frauenbewegung unter anderem über bürgerliche Rechte und Demokratie.
       Diese Treffen brachten manchmal Tausende von Zuhörerinnen zusammen –
       niemals zuvor hatten sich Frauen in so ausgeprägt weiblichen Räumen bewegen
       können.
       
       In den Parteibüros schrieben Hunderte von Frauen mit an Kampagnen, die sich
       speziell an Frauen richteten. Tausende gingen von Tür zu Tür, um
       Wählerinnen zu werben. Alle politischen Parteien waren überzeugt davon,
       dass sie Kandidatinnen brauchten, um die Stimmen von Frauen zu gewinnen. Im
       Januar 1919 kandidierten über 300 Frauen für die Wahlen zur Deutschen
       Nationalversammlung, und über 85 Prozent aller erwachsenen Frauen gingen zu
       den Wahlurnen. 37 Frauen gewannen Sitze. Dutzende Sitze gingen in den
       preußischen und bayerischen Staatsversammlungen an Frauen. Erst 1993 sollte
       der US-amerikanische Kongress ähnlich viele weibliche Abgeordnete haben.
       
       Wir feiern heute also das Wahlrecht, das die Frauen in Deutschland am 12.
       November 1918 bekamen. Gerade weil es damals schwer war zu feiern, sollten
       wir, 100 Jahre später, [2][umso bewusster jenen Tag begehen], an dem
       Deutschland eine Demokratie wurde.
       
       9 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Andrew Donson
       
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