# taz.de -- Nach der Bayernwahl: Bloß keine Aufregung
       
       > Auf das bayerische Beben folgt in der Berliner Großen Koalition ein
       > vernehmliches Rumpeln. Der SPD bleibt wenig außer Durchhalteparolen.
       
 (IMG) Bild: Verlässt nach nur zehn Minuten die Bühne des Willy-Brandt-Hauses: SPD-Parteichefin Andrea Nahles
       
       München/ Frankfurt a.M./ Berlin taz | Isabell Zacharias’ Abbild ist
       abgerutscht. Gras bedeckt ihr Gesicht. Sie packt es mit der linken Hand,
       zieht es hoch, klopft mit der Kneifzange dagegen. Dann zwackt sie die
       Plastikringe durch, einen oben, einen unten, und zieht das Plakat vom
       Laternenpfahl. „SPD“ steht unten rechts im roten Kästchen: Zacharias wollte
       den Wahlkreis 108 erobern, München-Schwabing. Da wollte sie Ludwig Spaenle
       (CSU) ablösen. Das hat jetzt Christian Hierneis gemacht, für die Grünen.
       „Ich war die einzige Frau im Wahlkreis, die eine realistische Chance hatte,
       zu gewinnen“, sagt Zacharias.
       
       Mit der Zange zwackt sie die anderen Plastikringe durch, die die Pappe am
       Pfahl hielten. Ihre „Allwetterplakate“ sind aus Altpapier, Zacharias
       trennt. Ein Auto hat sie nicht. „Ich brauche kein Auto. Noch nie eins
       gehabt.“ Zacharias fährt Rad: eins mit vorderseitigem Anhänger wie eine
       Schubkarre. „Damit transportiere ich meine Einkäufe, meine Kinder – meine
       Wahlplakate.“ Zacharias ist 53, alleinerziehend – drei Kinder, das jüngste
       hat Down-Syndrom. Auf der Seite ihres Fahrradanhängers kleben
       Regenbogensticker und ihr Name.
       
       Als Zacharias das letzte Plakat löst, ist es etwa halb zwölf. Eigentlich
       wollte sie heute früher aufstehen. „Aber ich konnte gestern Abend nicht
       einschlafen, deshalb haben wir uns später getroffen.“ Das von Plastik
       befreite Plakat legt sie auf den Boden, faltet es, stellt drauf, um die
       Pappe möglichst flach zu pressen.
       
       Heute entscheidet sich, ob Zacharias über ihren Listenplatz doch noch in
       den Bayerischen Landtag einzieht. Ausgleichsmandate bekommt die
       Oberbayern-SPD nicht. „Die kommen den größeren Parteien zugute. Nicht den
       kleineren. Zu denen gehören wir jetzt.“
       
       ## Die Landtagskandidatin ist ratlos
       
       Woran es gelegen haben könnte, dafür fallen Zacharias einige Gründe ein.
       Ratlos ist sie trotzdem. Bisher war sie hochschul-, kultur- und
       queerpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. „Ich habe dafür gekämpft, dass
       die Lage der Künstlerinnen und Künstler in Bayern besser wird.“ Sie habe
       viel vorzuweisen, sagt Zacharias. „Und trotzdem: Ein sauschlechtes
       Wahlergebnis.“ Der Wahlkampf sei zu langweilig gewesen. Die Bundes-SPD
       hätte mehr tun können. Außerdem würden Frauen nicht mehr Frauen wählen,
       sondern Männer. „Der Landtag macht es dem Bundestag nach: Das männlichste
       Parlament seit den 50ern.“
       
       Gernot Grumbach ist wie Isabell Zacharias Landtagskandidat, nur nicht in
       Bayern, sondern in Frankfurt, wo in 14 Tagen gewählt wird. Der Chef der SPD
       Hessen-Süd gibt sich betont zuversichtlich. „Hessen ist anders als Bayern“
       lautet seine Botschaft. Während Zacharias in München ihre Plakate
       abmontiert hat, war Grumbach in seinem Wahlkreis unterwegs, im
       Nordwestzentrum, einer Ladenmeile im Norden der Stadt. „Ich habe kleine
       Marmeladengläser mit meinem Foto verteilt, Geschmack Erdbeer, Johannisbeer
       oder Kirsch, Hauptsache rot“, sagt er. „Das ist für das Frühstück am
       Wahltag“, gebe er den WählerInnen mit, „damit sie die Wahl nicht
       vergessen“. Fast alle Angesprochenen hätten ihn ermutigt.
       
       In der letzten Umfrage lag die SPD in Hessen bei 23 Prozent, sechs hinter
       der CDU. „Das können wir aufholen“, macht sich Grumbach Mut.
       
       Die Grünen werden übrigens mit 18 Prozent vermeldet.
       
       Ausgerechnet an diesem Vormittag stellt der hessische Spitzenkandidat
       Thorsten Schäfer-Gümbel, auch TSG genannt, seine Wahlkampftour vor. Es soll
       eigentlich ein dynamischer Endspurt werden, TSG am Bahnhof Dreieich mit
       Pendlern, TSG beim Roten Frauensalon in Frankfurt, auf eine Suppe mit TSG
       in Offenbach. TSG der Mann bei den Menschen, der ihre Sorgen viel besser
       kennt als die schwarz-grüne Landesregierung. Aber jetzt muss er den Irrsinn
       in Bayern erklären. 9 Prozent!
       
       ## Grabesstimmung im Berliner Willy-Brandt-Haus
       
       Der Kandidat steht vor Kameras auf dem Wiesbadener Schlossplatz zwischen
       seiner Frau Anette Gümbel und seiner Generalsekretärin Nancy Faeser. Im
       Hintergrund lächelt TSG in Überlebensgröße vom Wahlkampfbus. Aber der TSG
       vor den Mikros schaut ernst. „Bayern ist Bayern, und Hessen ist Hessen“,
       sagt er. „‚Weiter so‘ hat in Hessen einen Namen: Schwarz-Grün.“
       
       Schäfer-Gümbel muss verhindern, dass die Hessen-Grünen vom Image ihrer
       bayerischen Freunde als dynamische Veränderer profitieren. „Wer einen
       echten Politikwechsel für mehr bezahlbare Wohnungen und gebührenfreie
       Bildung will, muss SPD wählen. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben“, sagt
       er. Dann noch ein Ordnungsruf nach Berlin: „Ich erwarte von meiner Partei,
       dass alle jetzt mit mir in Hessen für den Wechsel kämpfen und zeigen, dass
       die SPD auch anders kann!“
       
       Im Berliner Willy-Brandt-Haus herrscht an diesem Montagmorgen
       Grabesstimmung. Mit hängenden Schultern huschen die MitarbeiterInnen der
       SPD-Zentrale durch die Gänge. Mit ernsten Mienen treten pünktlich um 11.15
       Uhr Andrea Nahles und Natascha Kohnen vor die Presse. Es ist ein kurzer,
       schmuckloser Auftritt. Martin Schulz hatte bei solchen Anlässen noch die
       gesamte Parteiführung antanzen lassen, um Geschlossenheit zu demonstrieren.
       Diesmal steht niemand hinter Nahles und Kohnen auf der Bühne. Nicht einmal
       mehr der obligatorische Blumenstrauß wird der traurigen bayerischen
       Spitzenkandidatin überreicht. „Wir müssen jetzt nach vorne schauen“, sagt
       Nahles. Wenn nichts mehr bleibt, bleiben nur noch Durchhalteparolen.
       
       Viel erwartet hatten die Sozialdemokraten ohnehin nicht von dieser Wahl.
       Bayern gilt von jeher nicht gerade als ihr Stammland. Aber dass es so
       knüppeldick kommen würde! Seitdem Bayern kein Königreich mehr ist, also
       seit hundert Jahren, hat die Partei hier noch nie so schlecht
       abgeschnitten.
       
       „Wir haben in Bayern so geschlossen wie nie gekämpft in diesem Wahlkampf“,
       sagt Kohnen. Geholfen hat das nichts. Das Ergebnis habe „unglaublich viel
       damit zu tun, dass die Menschen uns mit einer ganz großen Skepsis begegnen
       und mit einer unglaublich großen Distanz.“ Verantwortlich macht Kohnen
       dafür die Große Koalition im Bund, die die bayerische SPD in einen Spagat
       gezwungen habe.
       
       ## SPD-Spitze setzt auf Abwarten
       
       Auch Parteichefin Andrea Nahles räumt ein, dass das schlechte Bild der
       Bundesregierung nicht gerade förderlich gewesen sei: „Dass sich der ganze
       Stil der Zusammenarbeit ändern muss, ist offensichtlich.“ Grundsätzlich
       will Nahles die sozialdemokratische Regierungsbeteiligung aber nicht
       infrage stellen. Danach gefragt, antwortet sie mit einem Schachtelsatz:
       „Also die Frage, ob diese Große Koalition funktioniert, auch im Sinne
       dessen, was wir gemeinsam verabredet haben im Rahmen des
       Koalitionsvertrages, entscheidet sich nicht alleine am Ergebnis, so
       schmerzlich es ist, einer Landtagswahl.“
       
       Sie halte es „zum jetzigen Zeitpunkt nicht für angesagt“, rote Linien zu
       definieren, fügt Nahles noch hinzu. Nun stehe erst mal die Wahl in Hessen
       an, „wo wir alle Power jetzt reinstecken, deshalb verschwenden wir unsere
       Kraft und Zeit nicht auf interne Debatten“. Nach exakt zehn Minuten
       verlassen Nahles und Kohnen die Bühne und entschwinden in den Tiefen des
       Willy-Brandt-Hauses zur Parteivorstandssitzung. Den Eindruck, dass sie
       irgendeine Idee hätten, wie die SPD wieder aus ihrem Jammertal
       herausfindet, haben die Parteivorsitzende und ihre Stellvertreterin nicht
       vermitteln können.
       
       Routiniert beschließt der Vorstand, sich Anfang November zu einer Klausur
       zu treffen. Die SPD-Spitze setzt auf Abwarten. Das Kalkül: Dann ist das
       Debakel in Bayern verblasst und von einem besseren Ergebnis in Hessen
       überdeckt.
       
       „Wer jetzt den Schuss nicht gehört hat, dem ist nicht mehr zu helfen“,
       ärgert sich Marco Bülow. Der Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete war schon
       immer strikt gegen die Große Koalition – und hält immer noch nichts davon,
       auf ein besseres Morgen zu hoffen. „Auch für Hessen wäre es doch besser,
       wenn die SPD in Berlin diskutiert und nicht ruhig bleibt“, sagt er der taz.
       „Die hessischen Genossen brauchen das Signal, dass nicht alles bleibt, wie
       es ist.“ Bülow denkt laut über radikale Lösungen nach: „Nur raus der Groko
       reicht nicht mehr“, ist er überzeugt. „Wir müssen über alles reden: einen
       kompletten Wechsel der Führung und einen kompletten Wechsel der Strategie.“
       
       Allerdings fehlen sowohl für das Ende der Groko in Berlin und erst recht
       für ein Tabula rasa in der Partei entschlossene AkteurInnen und Mehrheiten.
       Die moderate Parteilinke hält nach dem bayerischen Debakel den Ball flach.
       Bei einem Basiskongress der SPD-Linken am Freitag in Berlin war zudem der
       Zuspruch bescheiden. Revolten beginnen anders.
       
       ## Wenigstens zwei sind sich hier einig
       
       Isabell Zacharias von der SPD montiert in München noch ihre Wahlplakate ab,
       da tritt in Berlin die Konkurrenz vor die Presse. Oder sollte man besser
       sagen, die Leidensgenossen? Schließlich geht es der Union kaum besser als
       den Sozialdemokraten, hat auch die CSU in Bayern knapp 10 Prozentpunkte
       verloren.
       
       Der wahlkämpfende Hesse Volker Bouffier, dessen CDU in den Umfragen 9
       Prozentpunkte unter dem Ergebnis von 2013 liegt, versucht es mit ein
       bisschen Zuversicht. Er präsentiert ein Plakat, auf dem steht: „Jetzt
       geht’s um Hessen: BOUFFIER“. Seine PR-Agentur hat auch gleich noch Buttons
       mit dem Slogan produzieren lassen. Volker Bouffier trägt ihn nun am Revers,
       CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am Ausschnitt ihrer
       signalgrünen Bluse. Wenigstens zwei sind sich hier einig.
       
       Der 66 Jahre alte Landesvater würde gern seine schwarz-grüne
       Regierungskoalition wiederauflegen. Aber aktuell kämen beide zusammen
       nicht über die erforderlichen 45 Prozent hinaus. Seine Angst, das Abstrafen
       der CSU durch die Bayern würde am 28. Oktober auch von seinen HessInnen
       praktiziert, ist spürbar. „Hessen ist anders“, raunzt er in seinem
       unnachahmlichen Timbre, nämlich erfolgreich und ohne Zoff mit den Grünen.
       „Wenn uns die ganze CDU dabei unterstützt, kann das nur helfen“, sagt er
       und macht für die Fotografen eine heranholende Geste.
       
       Klar ist: Wenn Bouffier scheitert, steht die CDU-Parteiführung in Frage.
       Und damit die Regierungsfähigkeit. Bei der CDU heißt sowohl die Partei- als
       auch die Regierungschefin Angela Merkel. Und die möchte sich nach jetzigem
       Stand Anfang Dezember zur Wiederwahl für das Amt der Vorsitzenden stellen.
       
       ## Ist Merkel noch die Führungsfigur?
       
       Als Regierungschefin wird ihr die Hauptverantwortung für den desaströsen
       Auftritt der Großen Koalition zugewiesen. Ist Merkel noch die
       Führungsfigur? Dass sie am Montag nach der Bayernwahl nicht die Gelegenheit
       nutzt, sich nach den Sitzungen vor Vorstand und Präsidium zu äußern,
       spricht nicht eben dafür.
       
       Jetzt alle mal zusammenrücken und den Hintern zusammenkneifen. So in etwa
       könnte man die Gefechtslage unter den CDU-Funktionären beschreiben – nicht
       unähnlich den Sozialdemokraten. In der CDU-Parteizentrale huschen am
       Montagnachmittag die Vorstands- und Präsidiumsmitglieder auffallend
       wortkarg an den wartenden JournalistInnen vorbei zu ihren Limousinen. Alle
       tragen sie den Bouffier-Button. „Unspektakulär“, „geordnet“, das sind so
       die Beschreibungen für die hinter ihnen liegenden Sitzungen. Die Botschaft
       ist klar: Wenn wir uns jetzt wie die Bayern fetzen, geht für uns die
       Hessenwahl flöten.
       
       Nur einer traut sich aus der Deckung. Thüringens Landeschef Mike Mohring
       sagt über das fremdenfeindliche Getöse der CSU, die Schwesterpartei habe
       „die richtigen Fragen gestellt“, aber den Ton nicht recht getroffen.
       Mohring, bekannt als einer der jüngeren Scharfmacher aus dem
       Anti-Merkel-Team, will beim CDU-Landesparteitag am kommenden Wochenende zum
       Spitzenkandidaten gewählt werden. Zusätzlich ist es ihm ein Anliegen, zu
       erklären, wie es dazu kommen konnte, dass seine Parteivorsitzende dort
       auftreten wird. „Sie hat mich im Februar gefragt: Wann machst du
       Wahlparteitag? Ich komme.“ Mohring macht an diesem Montag nicht unbedingt
       den Eindruck, als freue er sich auf den Besuch aus Berlin. Die
       Merkel-Entourage, sie war auch schon mal respektvoller.
       
       Es ist kurz nach neun, als der bayerische Wirtschaftsminister auf den
       Eingang der CSU-Zentrale zusteuert. „Worauf warten Sie eigentlich“, fragt
       Franz Josef Pschierer die Journalisten. „Glauben Sie, dass das irgendwie
       spannend wird heute?“ In Pschierers Frage schwingt etwas Ironie mit,
       schließlich ist es die Sitzung des CDU-Vorstands am Morgen danach. Auf der
       Tagesordnung stehen Fragen, die nicht alltäglich sind, schon gar nicht in
       Bayern: Mit wem soll man koalieren? Welche Lehren zieht man aus dem
       katastrophalen Wahlergebnis, wer wird Ministerpräsident? Und doch soll der
       Minister vollends recht behalten: Der Verlauf der Sitzung gestaltet sich
       recht erwartbar.
       
       Dabei ist es ja wirklich absurd: Die CSU fängt bei der Wahl die größte
       anzunehmende Watschn ein und macht sich als Erstes daran, festzulegen, wer
       alles bleibt: der Regierungschef, der Fraktionschef, der Parteichef. Und
       dann einigt man sich auch noch darauf, dass man am liebsten mit den Freien
       Wählern koalieren möchte. Klar, eine bürgerliche Koalition verspricht
       schließlich die geringste Veränderung.
       
       Ein bisschen Kritik soll es in der Sitzung auch gegeben haben, vor allem an
       Horst Seehofer. Die kommt etwa vom ehemaligen CSU-Chef Theo Waigel oder
       regionalen Parteigrößen. Sonst bleibt alles ruhig. Als er gemeinsam mit
       Söder am Nachmittag vor die Presse tritt, spricht Seehofer nur von einer
       langen, offenen, ehrlichen und intensiven Debatte.
       
       ## Keine Antworten auf die wichtigsten Fragen
       
       Die Frage, ob es Schuldzuweisungen an ihn gegeben habe, will er nicht
       beantworten. Auch nicht, ob er eine Sekunde lang an Rücktritt gedacht habe.
       Stattdessen verspricht er, dass es nach der Regierungsbildung in Bayern in
       einem „geeigneten Gremium“ eine tiefere Analyse des Wahlergebnisses und
       eine Erörterung möglicher Folgen geben werde – mit allen Vorschlägen, die
       es konzeptionell, aber auch personell geben mag.
       
       Kenne man doch schon, wendet ein Journalist ein, solche Analysen würden
       immer gern nach Wahlniederlagen angekündigt, versandeten dann aber im
       politischen Alltag schnell wieder. Diesmal werde es nicht so kommen,
       verspricht Seehofer. Sobald „der Markus“ mit seiner neuen Regierung im Amt
       sei, könne man loslegen. Söder hebt eine Augenbraue: „Also liegt’s an mir?“
       
       Das Zeitfenster ist ohnehin kurz: In vier Wochen muss der Landtag den
       Ministerpräsidenten wählen. Es ist ein Zeitfenster, das Seehofer
       entgegenkommt. Er weiß, dass viele in der Partei in dieser Zeit keine
       Debatte über seine Person führen wollen. Zu groß die Gefahr von
       Verwerfungen, die Gefahr, dass Seehofer noch andere mit in den Abgrund
       reißen könnte.
       
       Was er denn aus dem Ergebnis gelernt habe, wird Seehofer schon auf seinem
       Weg in die Sitzung gefragt. Da spricht er von Wählerwanderungen und dass
       man den Trend umdrehen müsse. Von den Veränderungen in der Gesellschaft,
       von der Herausforderung, die die Grünen in den Großstädten darstellten. Und
       nein, die Sonderstellung der CSU sei nicht geschwächt, das Ergebnis sei
       zwar „nicht gut“, aber man habe doch einen Regierungsauftrag erhalten. Das
       Eingeständnis eigener Fehler sieht anders aus.
       
       Es wirkt fast, als habe die Partei manche Verhaltensweisen nach Jahrzehnten
       selbstgefälliger Regierung einfach nicht mehr im Repertoire. Selbstkritik
       findet man allenfalls in homöopathischen Dosen. Als Landesgruppenchef
       Alexander Dobrindt wenig später vor der Tür ebenfalls gefragt wird, ob
       Berlin etwas falsch gemacht habe, erwidert er nur: „Ich erkenne die Falle,
       aber Sie haben Verständnis, dass ich darauf nicht antworte.“
       
       ## Eine Freundin reicht ein Taschentuch
       
       Auch Söder ist guter Dinge, lächelt fröhlich, als er sich am Montag vor den
       Journalisten aufbaut. Vor einem Jahr, als die Bundestagswahl gerade
       verloren gegangen war, blickte man hier nur in versteinerte Gesichter. Wer
       heute solche Mienen sehen will, der muss zur SPD gehen. Söder spricht sogar
       von einem „tollen Schlussspurt“ und dass seine klare Abgrenzung zur AfD
       Wirkung gezeigt habe. Klar, mache auch er sich Sorgen – um die SPD. Bayern
       bräuchte eine zweite Volkspartei.
       
       Die gescheiterte Münchner SPD-Direktkandidatin Isabell Zacharias montiert
       ihre letzten Plakate ab. Wenn sie dabei über die Zukunft spricht, kommen
       ihr kurz die Tränen. Sie entschuldigt sich, eine Freundin reicht ihr ein
       Taschentuch. Was sie besonders beschäftige, sei gar nicht sie selbst, sagt
       Zacharias. „Ich mache mir Sorgen, in welche Richtung wir gehen. Polen,
       Finnland, Schweden, Ungarn, Italien Österreich, überall Rechtsruck. Gestern
       ist er in Bayern angekommen. Das rechte Lager hat mehr Sitze als vorher.
       CSU und FDP ahmen die AfD nach.“
       
       Schließlich ist das letzte Plakat im Fahrradanhänger. Zacharias
       verabschiedet sich. „Ich gehe gleich Mittag essen. Heute Nachmittag hole
       ich meinen Jüngsten im Hort ab, was ich seit Wochen nicht getan habe. Und
       danach werde ich mit ihm ein Eis essen gehen.“ Einen großen Becher. Und
       irgendwann kommt auch noch die Auszählung der Zweitstimmen, die
       entscheidet, wer noch Listensitze bekommt. Zacharias steht auf Platz 7.
       
       15 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anett Selle
 (DIR) Dominik Baur
 (DIR) Anja Maier
 (DIR) Pascal Beucker
 (DIR) Christoph Schmidt-Lunau
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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