# taz.de -- Uefa vergibt EM 2024: „Chance, über Rassismus zu reden“
       
       > Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir erklärt, warum Deutschland
       > die EM 2024 austragen wird und erzählt von einem besonderen
       > Stadionbesuch.
       
 (IMG) Bild: „Stolz wie Bolle“: Özdemir lässt sich mit Tayfun Korkut fotografieren, dem Coach des VfB Stuttgart
       
       taz: Herr Özdemir, Sie sind am Freitag auf dem Staatsbankett. Rechnen Sie
       mit einer miesen Stimmung? Es gibt ja auf jeden Fall [1][einen Verlierer]. 
       
       Cem Özdemir: Erdoğan hat versucht, im Vorfeld seines Deutschland-Besuchs
       schön Wetter zu machen. Doch das kann nicht über die katastrophale
       Menschenrechtslage in der Türkei und die [2][Abschaffung von Demokratie und
       Rechtsstaat] hinwegtäuschen. Deshalb enthält die türkische EM-Bewerbung
       auch keinen Menschenrechtsbericht, was hätte man auch reinschreiben sollen?
       Das wäre entweder eine Enzyklopädie gewesen oder ein leeres Blatt, und sie
       haben sich für das leere Blatt entschieden. Aus meiner Sicht ist es
       [3][nach Putins WM-Spektakel] unvorstellbar, dass jetzt Erdoğan eine
       Propagandashow veranstalten kann. Nach objektiven Bewertungskriterien kann
       die Entscheidung also nur für Deutschland ausfallen.
       
       Wir sind erstaunt, dass Sie sich da so sicher sind. Die letzten großen
       Turniere haben gezeigt, dass Evaluierungs- und Menschenrechtsberichte keine
       Bedeutung haben. Warum sollte es diesmal anders sein? 
       
       Tatsächlich ist eine Sitzung des Uefa-Exekutivkomitees kein grüner
       Bundesparteitag oder eine taz-Mitgliederversammlung. Die EM-Vergabe
       entzieht sich in höchstem Maße der Transparenz. Nicht nur als Politiker,
       sondern vor allem auch als Fußballfan wünsche ich mir da eine
       transparentere Entscheidungsfindung. Trotzdem hoffe ich, dass die Uefa sich
       nicht die Blöße geben wird, die Menschenrechtslage im gastgebenden Land
       völlig zu vernachlässigen.
       
       Freuen Sie sich denn, wenn Deutschland den Zuschlag bekommen sollte? 
       
       Aber sicher würde mich das freuen. Zumal ich aus Sicherheitsgründen
       momentan nicht in die Türkei gehen kann und einen fußballbegeisterten Sohn
       habe. Aber wir haben ja vielleicht schon davor die Gelegenheit, ein Spiel
       live zu erleben, bei der Europameisterschaft 2020 in 13 Austragungsstätten.
       Eine geniale Idee, das könnte ich mir gut für die Zukunft vorstellen. Das
       wäre auch eine gute Gelegenheit, den einen oder anderen
       EU-Beitrittskandidaten auf dieser Ebene einzubeziehen.
       
       Das heißt aber, Sie freuen sich [4][trotz der Özil-Affäre] und trotz
       DFB-Chef Reinhard Grindel? 
       
       Fußball ist Gott sei Dank mehr als die Özil-Affäre und Herr Grindel.
       
       Es wäre ja auch ein Erfolg für Herrn Grindel. 
       
       Wir lassen uns den Fußball nicht kaputt machen. Die Özil-Affäre hat nicht
       gerade die Nachwuchsarbeit erleichtert. Aber ich hoffe, jeder hat seine
       Lektion daraus gelernt. [5][Das Foto von Lothar Matthäus mit Putin] fehlte
       mir übrigens in der öffentlichen Empörung, die doch sehr auf Özil und
       Gündogan gerichtet war. Und Teil 2 des Skandals war der Umgang des DFB mit
       der Affäre. Spätestens, als die Kritik ins Rassistische schwappte und die
       AfD sich dieser Geschichte bemächtigte, wäre ein klares Stop-Signal vom DFB
       wünschenswert gewesen.
       
       Für wie glaubwürdig halten Sie diese Bewerbung mit Herrn Grindel an der
       Spitze? 
       
       Ich hoffe, Herr Grindel hat seine Lehren gezogen aus der Özil-Affäre. Es
       bleibt der Schaden. Ich höre von Übungsleitern an der Basis, dass es nun
       schwerer ist, junge Leute mit Migrationshintergrund für den Fußball zu
       begeistern. Und zu sagen: Wenn ihr euch anstrengt, steht euch der Weg zur
       deutschen Nationalelf offen. Auf der anderen Seite hat Erdoğan das Foto
       nicht nur gemacht, um seine Enkelkinder zu beeindrucken. Ihm ging es um
       Wahlkampf und um die EM-Vergabe. Erdoğan sieht den Fußball auch als ein
       Mittel, um Deutschtürken für sich zu gewinnen.
       
       Nun instrumentalisiert nicht nur Erdoğan den Fußball, sondern auch die
       deutsche Politik, namentlich Angela Merkel, die sich zum Beispiel mit dem
       Nationalteam in der Kabine fotografieren lässt. 
       
       Es gehören immer zwei dazu: Eine Bundeskanzlerin, die da rein geht und sich
       gerne mit schwitzenden Männern ablichten lässt, und Fußballer, die sich
       ablichten lassen – das sind ja erwachsene Männer.
       
       Also wären Sie für ein Kabinenverbot von Angela Merkel? Oder wie sollen die
       Spieler sich wehren? 
       
       Nein, soweit würde ich nicht gehen. Die Spieler könnten ja auch ihre
       Sympathien für die Grünen äußern. Aber im Ernst: Ein Selfie mit einer
       demokratisch gewählten Kanzlerin ist doch etwas völlig anderes als das Foto
       mit einem Despoten mitten in dessen Wahlkampf.
       
       Haben Sie sich für solche Sympathien mit Tayfun Korkut fotografieren
       lassen? 
       
       Das ist der Trainer meines Vereins, dem VfB Stuttgart. Das Foto ist
       zufällig entstanden weil ich ein Spiel bei Sky kommentiert habe und er nach
       mir mit einem Interview dran war. Ich war stolz wie Bolle, dem VfB-Trainer
       die Hand geben zu dürfen. In einem solchen Moment bin ich in erster Linie
       Fan.
       
       Der Kicker hat unter das Bild geschrieben: Korkut lässt sich mit Özdemir
       fotografieren. Es war also umgekehrt. 
       
       Das habe ich nicht gelesen, ernsthaft?
       
       Ja. 
       
       Naja, ich empfand das anders. Das Ganze war ja nach meiner AfD-Rede im
       Bundestag. Ich sollte das Spiel kommentieren und hatte mich vorbereitet,
       mit Fußballwissen glänzen zu können. Das Problem war nur: Die Journalisten
       wollten alles von mir wissen, nur nichts über Fußball. Aber eines werde ich
       mein Leben lang nicht vergessen: Nach dem Interview bin ich am
       Spielfeldrand entlang gegangen. Da sind die Fans aufgestanden und haben
       geklatscht wegen der AfD-Rede. Und das sind keine Fans, die alle schon auf
       dem Parteitag der Grünen waren. Sie haben gesagt: Es war super, dass du es
       denen mal gezeigt hast.
       
       Ist das nicht auch ein politischer Profit, den man aus dieser Annäherung an
       den Fußball zieht? 
       
       Das ist nicht politischer Profit. Das war wirklich ein Gänsehautmoment und
       ein tolles Lob, das mir viel bedeutet: Wenn du tagtäglich diese
       AfD-Gestalten im Bundestag siehst und damit leben musst. Und dann siehst du
       da noch ein anderes Deutschland: Diese Menschen, die sich bei aller
       Unterschiedlichkeit hinter einen stellen, der nicht Hans oder Eberhard
       heißt, sondern so ein Ötzelbrötzel-Namen trägt wie ich. Und die in dem
       Moment sagen, der sprach auch für uns und das im Fußballstadion. Damit habe
       ich nicht gerechnet, das hat mich bewegt.
       
       Fehlt der deutschen Euro-Bewerbung nicht eine Vision? Man könnte das
       Turnier doch beispielsweise mit ehrgeizigen ökologischen Zielen verbinden. 
       
       Man muss fairerweise sagen, sie haben mit dem Ökoinstitut ein
       Nachhaltigkeitskonzept für die EM 2024 vorgelegt. Das hätten sie nicht
       gemusst, weil es leider kein verbindliches Kritierium ist. Menschenrechte
       sind es immerhin.
       
       Sehen Sie eine Vision? Das Motto „United by football“ ist recht
       nichtssagend. 
       
       Ja, wie das bei Mottos oft so ist. Gemessen an der Türkei ist, glaube ich,
       die deutsche Bewerbung gut begründbar. Es wäre natürlich weltfremd, einfach
       das Sommermärchen wiederholen zu wollen und so zu tun, als hätte sich
       seither nichts geändert. Im Zusammenhang mit der WM-Vergabe 2006 stehen
       Vorwürfe von Korruption und Schmiergeldzahlungen im Raum. Und inzwischen
       haben wir die AfD im Bundestag sitzt. Da kann man nicht spurlos dran
       vorbeigehen. Positiv formuliert ist das auch eine Chance, das Thema
       Rassismus gerade in den unteren Ligen zum Thema zu machen. Und die
       Nachhaltigkeit muss künftig ein verbindliches Kriterium bei der Vergabe
       sein.
       
       Wie sollte Deutschland reagieren, wenn die Türkei den Zuschlag bekommt? 
       
       Die Nationalmannschaft sollte natürlich auf dem Spielfeld ihr Können
       zeigen. Aber wir müssen dafür sorgen, dass sich die Strukturen bei der Uefa
       und der Fifa grundlegend ändern.
       
       27 Sep 2018
       
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