# taz.de -- Pfiffe für den Kanzler bei Handball-EM: Die Politik der Tribüne
       
       > Die Pfiffe bei der Handball-EM gegen Scholz & Co werden als Protest gegen
       > die Ampel gedeutet. Dabei geht es vielleicht eher um Grundsätzliches.
       
 (IMG) Bild: Trotz Pfiffe: gut gelaunter Ehrengast Olaf Scholz auf der Tribüne
       
       Wozu braucht es noch diese aufwendige Meinungsforschung, wenn man doch die
       deutschen Wählerinnen und Wähler in einer Sporthalle wie eine Ärztin mit
       dem Stethoskop abhören kann?
       
       [1][Die Handball-EM im eigenen Lande] soll natürlich zuvorderst allen
       zeigen, was für eine tolle Sportart das ist. Einer der großen Nachrichten
       in der ersten Turnierwoche aber waren die schrillen Pfiffe gegen
       Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie seine Kabinettskollegen Nancy Faeser
       (SPD) und Robert Habeck (Grüne), während die Oppositionspolitiker Hendrik
       Wüst und Daniel Günther (beide CDU) glimpflich davon kamen. Was lässt sich
       aber aus dieser scharfen Tonlage auf den Rängen ableiten?
       
       Eine schlichte Diagnose wäre schnell erstellt. [2][Deutschland ist eine
       Handballnation.] Würde irgendjemand auf die Idee kommen, bei der EM unter
       den männlichen deutschen Besuchern mit den ulkigen schwarz-rot-goldenen
       Fanutensilien eine Vornamenabfrage durchzuführen, das Ergebnis würde von
       dem der deutschen Hauptdarsteller auf dem Parkett nicht stark abweichen.
       Die meisten Striche müssten bei Namen wie Andreas, David, Martin,
       Sebastian, Julian, Philipp, Nils, Kai, Christoph, Timo, Justus und Johannes
       eingetragen werden.
       
       Und sollte jemand fragen wollen, welche Gesellschaft das eigentlich
       abbildet, könnte man sagen, dass so im Traum von Rechtsextremisten in etwa
       eine deutsche Gesellschaft nach Deportationen, [3][Stichwort Remigration],
       aussehen würde. Kein Wunder also, dass in diesem Umfeld Politiker, die
       momentan in Regierungsverantwortung stehen, Unmut hervorrufen.
       
       ## Votum für was eigentlich?
       
       Aber das wäre so simpel wie falsch. Es ist bei den deutschen Namen genauso
       wie bei anderen. Aus ihnen lässt sich weder kriminelle Energie noch eine
       einheitliche Haltung ableiten. Alice Weidel (AfD) hätte bei dieser
       Handball-EM als Ehrengast gewiss ebenfalls schrille Unmutsbekundungen zu
       hören bekommen.
       
       Das Problem ist, dass diese Form der Meinungsäußerung wenig Differenzierung
       zulässt. Selbst wenn die Hälfte in der Halle die Lippen still hält, bleibt
       der Eindruck haften, das Publikum hätte ein überwältigendes Votum
       abgegeben. Aber zu was denn eigentlich? Zur laschen Klimapolitik, zum
       Heizungsgesetz, zur Asylpolitik oder zur nächsten Bundestagswahl?
       
       Der Fantasie sind da kaum Grenzen gesetzt. Vielleicht sollten jedoch die
       Reaktionen eines Sportpublikums, das für gewöhnlich auf die scheinbar
       kleinsten Ungerechtigkeiten auf dem Spielfeld mit einem gellenden
       Pfeifkonzert reagiert, etwas nüchterner bewertet werden. Möglicherweise
       haben es viele auch einfach satt, dass Politiker sich in den letzten Jahren
       verstärkt in den Sportarenen herumtreiben, im Glauben, die gemeinsam
       vorgelebte Sympathie für ein Team könne bei der nächsten Wahl ihrer
       politischen Karriere nützlich sein.
       
       Helmut Kohl war der erste Kanzler, der 1996 nach dem EM-Gewinn der
       deutschen Fußballer gar bis in deren Kabine vordrang. Die Kabinenfotos von
       Angela Merkel mit Mesut Özil waren von Anfang an für das große Publikum
       gedacht. Warum wird zuschauenden Politkern überhaupt diese exponierte Bühne
       geboten, auf der sie als Ehrengäste begrüßt zu Hauptdarstellern werden?
       Möglicherweise waren die Pfiffe bei der Handball-EM vor allem ein Votum
       dafür, mit diesem Unsinn endlich einmal aufzuhören.
       
       19 Jan 2024
       
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