# taz.de -- Ausstellung über Archäologie: Es ging nicht mehr ohne Kunst
       
       > Die Ausstellung „Bewegte Zeiten“ im Berliner Gropius-Bau zeigt
       > archäologische Superlative. Sie beweist einmal mehr: Wir sind nur
       > zufällig hier.
       
 (IMG) Bild: Höhepunkt der Ausstellung: die ca. 40.000 Jahre alte Venus vom Hohle Fels
       
       Ob Saurierknochen oder zarteste Gebilde von menschlicher Hand gefertigt: Am
       besten, weil für alle Beteiligten sichersten aufgehoben sind die
       Hinterlassenschaften früherer Zeiten immer noch im Boden – sagen die
       Archäologen. Und da haben wir von den Antiquitäten Öl, Kohle und Gas, die
       uns immer schneller einheizen und die Luft zum Atmen nehmen, noch gar nicht
       gesprochen.
       
       Trotzdem mag der Mensch das Buddeln nicht lassen, schon die Kleinsten
       werden dazu angehalten, Strände und Sandkisten gründlich zu durchwühlen,
       kein Kindergeburtstag funktioniert mehr ohne Jagd nach dem Schatz, wo die
       lieben Kleinen sich als „Sachensucher“, wie es bei Pippi Langstrumpf heißt,
       betätigen.
       
       Es ist das einzige echte Manko der wunderschönen, ja in weiten Teilen
       zauberhaften Ausstellung „Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland“,
       dass sie dieser naiven Grabungsleidenschaft der Kleinen und Großen etwas zu
       wenig Futter gibt: bizarrerweise genau derjenigen Leidenschaft, die das
       Titelbild des empfehlenswerten Katalogs abbildet. Da sieht man die um die
       4.000 Jahre alte Himmelsscheibe von Nebra zu drei Vierteln aus der Erde
       blitzen, eine idealisierte Darstellung des glückselig machenden
       Fundschocks.
       
       Wenn Faszination und Handwerk der Archäologie etwas zu kurz kommen bei
       einer Leistungsschau der letzten 20 Jahre ebendieser Wissenschaft, dann
       birgt der zweite Teil des Ausstellungstitels „in Deutschland“ noch andere
       Untiefen.
       
       ## Damals, lange vor dem deutschen Boden
       
       Fast alle Exponate stammen tatsächlich aus dem Boden unter diesem, dem
       einen mehr, dem anderen weniger lieben Deutschlandbegriff. Als sie da
       allerdings hineinkamen, war von Deutschland und den Deutschen noch nicht
       die Rede.
       
       Dafür steht der Haupttitel der Ausstellung „Bewegte Zeiten“. Wir hier heute
       zwischen Oder und Rhein sind Zufällige, sagt schon der spektakuläre Empfang
       des Publikums im Lichthof des Gropius-Baus, wo Artefakte der beim Ausbau
       der Kölner U-Bahn entdeckten römischen Hafenanlage präsentiert werden.
       
       Was nicht zuletzt schlicht auf Zivilisationsmüll hinausläuft, Massen von
       mit Markenzeichen versehenen Amphoren und Scherben aus allen Gegenden, die
       das Römische Reich so unter seine Herrschaft gezwungen hatte und die in der
       Metropole am Rhein anlandeten, benutzt und schließlich entsorgt wurden.
       
       Im nächsten Raum wird Mobilität greifbar, mit Rädern und Routen, beginnend
       mit vor über 6.000 Jahren angelegten hölzernen Moorwegen, über die die
       ersten Wagen rumpelten. Beide Empfangsräume laden ein, sich einzulassen,
       sind ausstellungstechnisch großzügig und sinnlich gebaut.
       
       ## Exponate als Belege für Migration
       
       „Bewegte Zeiten“ ist eine Konzeptaustellung, die – und das mag man durchaus
       auch als Ablenkung empfinden – ihre Einzelteile weniger als Kunstwerke
       setzt als in den Kontext von menschlicher Migration und Kommunikation: ob
       das nun schreckliche eiserne Sklavenketten im wohl nie aus der Mode
       kommenden Menschenhandel sind, oder ob das die Mode der künstlichen, den
       menschlichen Schädel in die Länge streckenden Deformation betrifft, die in
       spätantiken Gräberfeldern im bayerischen Burgweinting belegt ist.
       
       Mobilität, Austausch, Konflikt, Aneignung sind Gliederungsbegriffe dieser
       Menschlichkeitsschau. Hier gibt es viele Superlative: Die älteste bekannte
       Waffe der Menschheit, ein steinzeitlicher Speer zur Wildpferdjagd, gefunden
       beim – tja – Braunkohletagebau in Niedersachsen, 300.000 Jahre alt, perfekt
       ausbalanciert wie eine modernes Sportgerät, im Experiment 80 Meter weit
       fliegend.
       
       Gezeigt werden die einzigartigen Ausgrabungen im Tollensetal in
       Mecklenburg, die Belege für die älteste Schlacht zwischen Menschen um 1300
       vor Christus liefern, wo sich Hunderte, wenn nicht Tausende junge
       Problemmänner gegenseitig die Köpfe einschlugen, womit das Konzept Krieg
       als vollständig entwickelt in die Historie eintritt. Der Höhepunkt
       schließlich ist eine 40.000 bis 35.000 Jahre alte, vielleicht nicht
       übermäßig glücklich als „Venus“ bezeichnete sechs Zentimeter große
       Frauenstatuette aus Mammut-Elfenbein.
       
       Bevor wir zu sehr ergriffen werden von der Schönheit dieses Gebildes,
       zitieren wir etwas ausführlicher den Katalog: „Interessanterweise“, heißt
       es dort, „setzt die Herstellung der ersten figürlichen Darstellungen, die
       in archäologischen Kreisen als Kunst bezeichnet werden, ziemlich
       schlagartig vor etwa 40.000 Jahren ein.
       
       ## Innovationen aus Afrika
       
       Obwohl viele Forscher erwarten, dass die wichtigsten Innovationen auf dem
       afrikanischen Kontinent entstanden sind, weil auch der Homo sapiens von
       dort stammt“ – woran zu erinnern in diesen Zeiten nie schaden kann –
       „kommen die bestgesicherten Belege für eiszeitliche figürliche Kunst aus
       Europa.“ Und nun, nicht ohne Humor: „Auch wenn es vielleicht überraschen
       mag, fanden sich besonders vielfältige und gut dokumentierte Kunstwerke in
       vier Höhlen der Schwäbischen Alb.“
       
       Die schwäbische „Venus“ wurde 2008 ausgegraben, in der Höhle „Hohle Fels“.
       Wer sie sich, warum auch immer und eigentlich unverzeihbar, nicht in Berlin
       ansieht und seinen Kindern zeigt, der muss sich dann schon ins
       Urgeschichtliche Museum Blaubeuren begeben. Die steinzeitlichen
       Atelierhöhlen sind seit 2017 Unesco-Weltkulturerbe, ein Titel, der
       allerdings nicht jedem Schatz der Menschheit gut bekommen ist.
       
       Wer das hochempfindliche und deswegen etwas arg technokratisch gesichert
       präsentierte kleine Kunstwerk im Gropius-Bau betrachtet, kann auf alle
       möglichen Mona-Lisa-Interpretationen kommen. Was wir wissen, ist, dass
       sich die figürliche Kunst, einmal erfunden, sehr rasch verbreitete. Es ging
       nicht mehr ohne. Mensch sein ging nicht mehr ohne.
       
       Womit wir abschließend und an den Beginn anknüpfend noch kurz sagen müssen,
       worauf wir getrost hätten verzichten können. In einer so einerseits
       erfreulich wie andererseits merkwürdig unbemerkt-durchgerutschten
       Großrezension der „Bewegte Zeiten“-Ausstellung im Spiegel entwirft der
       Autor Guido Kleinhubbert nämlich ein völlig absurdes Bild von dem, was es
       in Berlin zu sehen gibt.
       
       ## Das „Wir“ im „Spiegel“
       
       Sein „Wir“ ist nicht die Menschheit und ihr Erbe, sondern ein sich schon in
       Björn-Höckesche-Höhen versteigendes Deutschland-Tremolo. Und zwar vom
       idiotischen Titel – „Krieg im Blut“ – über die raunenden-falsche
       Unterzeilen –„Die Geschichte der Deutschen beginnt nicht erst mit den
       Germanen …“(die Germanen waren viel – aber ganz bestimmt keine
       „Deutschen“), bis zum dann nur noch geschmacklosen, freidrehenden
       Schlussassoziieren – „So war der Weg nicht mehr weit: in den Krieg und das
       Schlachtfeld. Zu den Kelten, den Germanen, der bitteren Armut im
       Mittelalter. Zum Ersten Weltkrieg, zum Zweiten Weltkrieg“ – usw, eben vor
       allem, der Weg „Nach Deutschland“.
       
       Nochmal: Die allermeisten Menschen, deren Hinterlassenschaften im
       Gropius-Bau zu bestaunen sind, hatten von Deutschland und den Deutschen nie
       gehört. Die Ausstellung taugt so wenig zur deutschnationalen
       Traditionspflege wie das vergangenes Jahr von Spiegel-Redakteur Johannes
       Saltzwedel in die „Sachbücher des Monats“-Liste gehievte rechtsradikale
       Machwerk „Finis Germaniae“ als demokratische Schulbuchlektüre.
       
       Und so absurd einem die Angelegenheit auch erscheinen mag und so mehr oder
       weniger spannend die Frage ist, was da beim Spiegel eigentlich genau immer
       wieder falsch läuft, sollte man nicht unterschätzen, dass – so der
       Historiker Valentin Groebner – Auseinandersetzungen um Geschichtspolitik
       mit großer Schärfe geführte Konflikte darum sind, „wer das Recht hat, in
       der medialen Gegenwart im Namen der Toten von früher zu sprechen“.
       
       13 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ambros Waibel
       
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