# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Was ist die „grüne Erzählung“?
       
       > Die Antwort lautet: Das ist der Welt völlig schnurz. Entscheidend ist,
       > welche gesellschaftliche Erzählung sich am Ende durchsetzt.
       
 (IMG) Bild: Braunkohlekraftwerk in Brandenburg: Die ökologische Frage ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts
       
       Die Angst, in einer komplizierten Welt verloren zu gehen, haben nicht nur
       die Anderen, die Rechten, die Kleinstbürger. Neuen Halt suchen derzeit sehr
       viele, weshalb auch der jüngste Kongress der grünennahen Böll-Stiftung
       bisweilen in Selbstvergewisserungsgespräche abdriftete.
       
       Wer sind wir, was ist die Grüne Erzählung? Die Antwort ist klar: Es ist der
       Welt völlig schnurz, was die „Grüne Erzählung“ ist. Die Frage lautet,
       welche gesellschaftliche Erzählung sich durchsetzen wird.
       
       Die alte Erzählung der liberalen Moderne mit ihrem linearen und unendlichem
       Fortschritt an Wohlstand, Freiheit, Gerechtigkeit und Emanzipation ist am
       Ende, weil alles zusammenhängt und selbst das gesellschaftspolitische
       Wachstum fossil befeuert ist. Die Welt, also der Planet, ist einfach zu
       klein für diesen alten Fortschrittsgedanken.
       
       Damit ist auch die alte Grüne Gegenerzählung erledigt, die sich
       gesellschaftspolitisch und vor allem kulturell gegen eine angeblich stulle
       Mehrheit positionierte. Gegen Atomkraft war man verdienstvollerweise auch,
       aber das wirkt heute wie ein Nebenwiderspruch, der noch immer den
       planetarischen Wachstumskonflikt überschattet.
       
       ## Neu auf dem Sehnsuchtsmarkt
       
       Eine starke Erzählung drängt wieder neu in den Sehnsuchtsmarkt. Es ist die
       autoritäre und nationale, an der in Deutschland gerade auch in ihrer
       „linken“ Variante herumgedoktert wird. Es ist das Ende der gemeinsamen Welt
       und das ist verführerisch, weil scheinbar komplexizitätsreduzierend und das
       eigene Ich wieder ins Zentrum rückend. Weder das reinrassige Volk (rechts)
       noch der edle deutsche Arbeiter (links) sind Chiffren, auf denen man
       Erderhitzung, Digitalisierung, Völkerwanderung, die Wohlstands- und
       Gerechtigkeitsgewinne anderswo, die wachsende globale Mittelschicht
       undsoweiter im Zusammenhang denken muss.
       
       Die Gegenerzählung einer offenen und freien europäischen Gesellschaft kann
       nur liberal sein, denn die Alternative dazu ist eben nicht links, sondern
       autoritär, ein Modell, das es auch in sozialistisch gibt. Diese Erzählung
       konkurriert aber nicht nur mit den Autoritären, sondern auch mit den
       Spindoktoren der Silicon Valley-Unternehmen und der Wirtschaftspolitik
       Chinas. Sie muss also weit über Einwanderungspolitik hinausgehen und sie
       gleichzeitig sehr ernst nehmen.
       
       Die emotional und kulturell naheliegende Fortsetzung der alten Erzählung
       wäre, wenn die Grünen sich als Gegenpol zur AfD inszenieren. Hier die
       Bösen, dort die Guten. Kann man machen, bringt ein paar Prozente, verstärkt
       aber nur die Spaltung, löst nichts. Eine neue Erzählung wäre, dass die
       Grünen die Kraft sind, die die Gesellschaft zusammenhält und gleichzeitig
       positiv dynamisiert und die breite Allianzen schließt, mit dem Ziel, auch
       ökosoziale Zukunftspolitik mehrheitsfähig machen. Ja, Öko ist die soziale
       Frage des 21. Jahrhunderts, ja, es ist die Grundlage für alles, aber darauf
       herumzureiten, bringt jetzt nichts. Das muss selbst ich als Ökosozialer
       derzeit einsehen.
       
       Am Rand der Gesellschaft stehen jetzt jedenfalls andere,
       gesellschaftspolitische Reaktionäre, Autoritäre, Anti-Europäer. Deshalb
       kann der Ort der Zukunft nur die Mitte sein. Diese Mitte ist entgegen des
       üblichen Denkens eben nicht voll. Sie ist leer, was die großen
       Zukunftsfragen angeht.
       
       Die SPD wird sie zu unseren Lebzeiten nicht mehr füllen. Wenn die Grünen es
       nicht können, bleibt nur noch Christian Lindner. Das sollte ja wohl Drohung
       genug sein.
       
       Und jetzt mal in die Gesellschaft gesprochen: Selbst wenn es schief geht,
       ist es besser, sagen zu können: Wir haben es verbockt. Statt wie früher: An
       uns lag es nicht, Fischer und Schröder waren es. Nein, wir haben zugeschaut
       wie Waldorf und Statler. Nur wenn wir jetzt riskieren, es selbst zu
       verbocken, besteht die Chance, dass die Sache doch nicht schief geht. Das
       ist die Grundlage für eine neue Geschichte.
       
       7 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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