# taz.de -- Sächsische Regierungserklärung: Wer zum Teufel ist dann rechtsextrem?
       
       > Sachsens CDU-Ministerpräsident Kretschmer sagt, es habe in Chemnitz keine
       > Hetzjagd und keinen Mob gegeben. Ist er noch zurechnungsfähig?
       
 (IMG) Bild: Nein, ein Mob lässt sich hier selbstverständlich erkennen (Aufnahme aus Chemnitz vom 27. August)
       
       Diese Zeilen wurden voller Verzweiflung geschrieben. Die Normalität des
       Bösen auf den Straßen führt zu einem Ohnmachtsgefühl, welches mich trotz
       einer über 20 Jahre langen Erfahrung mit Naziaktionen und
       antifaschistischen Protesten wütend wie selten zuvor macht. Und angefangen
       hat alles mit Worten, wie immer.
       
       Die [1][Sprache der AfD hat ihren Weg in die Gesellschaft gefunden] – das
       ist der größte Erfolg der Partei. Wir reden plötzlich darüber, [2][ob
       Menschen, die den Hitlergruß zeigen, wirklich Nazis sind]. Gleichzeitig
       sind die Reaktionen auf Chemnitz mittlerweile dermaßen unfassbar, dass man
       sich in einem Irrenhaus wähnt. Die CDU attackiert den Bundespräsidenten,
       [3][weil er zu einem Konzert gegen Neonazis aufruft]. Die Bild-Zeitung
       versucht, die bekanntermaßen höchst ironische Band K.I.Z. als Beweis für
       „Hass-Texte“ auf dem #wirsindmehr-Konzert heranzuziehen.
       
       Ein Schwarm an Intelligenzbestien aus dem linken Milieu stellt fest, dass
       es mit einem Event nicht getan ist. Danke ihr Sherlocks, who would have
       thought? Dabei dachten doch alle Beteiligten dass Rassismus und Faschismus
       nach einem Campino-Gig der Vergangenheit angehören.
       
       Der News-Feed spuckt Artikel um Artikel aus. Es hört nicht auf. Und während
       ich fassungslos auf eine absurde Meldung nach der anderen schaue und mir
       überlege, ob es besser wäre auszuwandern oder mit Fackeln und Heugabeln zum
       Springer-Haus zu ziehen, passiert etwas Unerwartetes: Michael Kretschmer,
       43 Jahre alt, Diplom-Wirtschaftsingenieur und Ministerpräsident des
       beschaulichen Bundeslandes Sachsen, ist offenbar geistig umnachtet und
       nicht mehr zurechnungsfähig.
       
       ## „Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd“
       
       Anders lassen sich seine Aussagen im sächsischen Landtag nicht erklären.
       Vor versammelter Mannschaft und Presse erklärt der CDU-Politiker: „Es gab
       keinen Mob, es gab keine Hetzjagd!“ Bäm! Da sind sie wieder, die Worte, die
       mordenden Faschisten ihre Legitimation geben.
       
       Später wird wieder niemand verstehen, wo das alles eigentlich her kam.
       Gegen Kretschmers Aussagen wirken wirre Erklärungen wie Olaf Scholz'
       „Polizeigewalt hat es beim G20 nicht gegeben“ wie eine flüchtige
       Kinderkrankheit neben dem Ebola-Virus. Es sollten nicht die an den Pranger
       gestellt werden, die aus Wut über das Tötungsdelikt in Chemnitz auf die
       Straße gegangen seien, erklärt Kretschmer: „Die sind nicht rechtsextrem.“
       
       Ja mein Gott, wer zum Teufel ist es dann? Wer ist denn überhaupt noch
       rechtsextrem, wenn nicht Menschen, die kein Problem haben in einem Pulk zu
       laufen, welcher „Adolf Hitler Hooligans“ und „Ausländer Raus“ brüllt?
       
       ## Michael Kretschmer ist natürlich nicht geisteskrank
       
       Vielleicht wäre es an der Zeit, den bereits mehrmals von seriösen Medien
       und Politikern für Donald Trump geforderten Test über die geistige
       Verfassung auch in Sachsens Politik einzuführen. Aber, sind wir ehrlich, da
       ist der Wunsch der Vater des Gedanken. Der gute Mann ist natürlich nicht
       geisteskrank.
       
       Und natürlich hat er all die Videos gesehen, in denen die versammelte Elite
       der deutschen Neonazis, zusammen mit Bürgern der Stadt Chemnitz, Migranten,
       Linke und Journalisten angreift. Michael Kretschmer weiß das alles. Die
       nächstbeste Erklärung wäre also: „Da fischt jemand am rechten Rand“ – wie
       es immer wieder gerne, äußerst verharmlosend heißt. Dabei ist die
       [4][Realität eine ganz andere].
       
       Niemand fischt hier am rechten Rand. Ein Land, in dem der Innenminister
       sich öffentlich darüber freut, dass an seinem 69. Geburtstag ausgerechnet
       69 Asylbewerber abgeschoben wurden, hat das auch gar nicht nötig. Wozu die
       Angel auswerfen, wenn die Seehofers und Kretschmers sich überhaupt keine
       Mühe geben, ihre klare Sympathie für rechte Inhalte und Politik zu
       verbergen.
       
       Denn eigentlich lieben diese Leute den Druck von rechts, erlaubt er ihnen
       doch, es sich richtig schön gemütlich zu machen in ihrem „Wir sind die
       Mitte“-Nest und nur ein wenig an den Stellschrauben zu drehen. Wer nicht
       begreift, woher die Stimmung in diesem Land kommt und immer noch denkt, es
       gäbe lediglich einen „rechten Rand“, der gehört in die gleiche Gummizelle
       wie Michael Kretschmer.
       
       5 Sep 2018
       
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