# taz.de -- Neues Album der Punkband Idles: Wenn die Knöchel knacken
       
       > Brutalismus wie noch nie: Der polternde Lärm von „Joy as an Act of
       > Resistance“, dem neuen Album der britischen Punkband Idles, steckt an.
       
 (IMG) Bild: Die Kings des Hochhauspunk: Idles mit Joe Talbot, zweiter von links
       
       Erinnert sich noch wer an die Rolling Stones? In ihrem Signatursong
       „Satisfaction“ fährt Mick Jagger Auto, im Radio hört er einen Mann, der ihm
       suggeriert, wie leuchtend weiß seine Hemden sein könnten. Dabei könne der
       Typ gar kein richtiger Mann sein, meint Jagger, „denn er raucht nicht die
       selben Zigaretten wie ich“. Der Song, aufgerauter, stampfender Bluesrock,
       ist von 1965, seine Volte kommt seitdem bei 14-Jährigen immer wieder gut.
       Ab einem bestimmten Punkt darf dann aber doch gerufen werden: „Ist das
       alles?“
       
       Im Spätsommer 2018 hören wir einen Song, der als wuchtiges Amalgam aus
       Hardrock und New Wave daherkommt und in dem ein wütender Sänger mannhafte
       Befehle ins Mikrofon bellt: „Man up / Sit down / Chin up / Pipe down /
       Socks up / Don’t cry / Drink up / Just lie“: „Reiß dich zusammen / Sitz
       still /Kinn raus / Luft anhalten / Socken hoch / Heul nicht / Sauf’s aus /
       Lern die Lüge.“ „Pipe down“ lässt sich übrigens auch mit „Werde klein“,
       „ganz klein“ übersetzen. Im dazugehörigen Video knacken Fingerknöchel,
       jemand bindet sich die Krawatte, ein anderer stemmt Gewichte. Wenige
       Sequenzen später wird am Schießprügel trainiert und durch den Schlamm
       gerobbt, werden Schlachtschiffe geentert. Dann fallen die Bomben.
       
       „Samaritans“, diese Absage an die Masken der Maskulinität (wortwörtlich so
       im englischen Refrain, das Wort ist hier treffender als „Mannbarkeit“ oder
       „Männlichkeit“) findet sich auf dem neuen, zweiten Album der britischen
       Punkband Idles „Joy as an Act of Resistance“.
       
       ## Harte Schale
       
       Sie bedienen sich dafür – das ist eine der wenigen ironischen Kniffe ihres
       Werks – einer durchweg maskulinen Musik, die vom Punk das Polternde und vom
       Hardcore die harte Schale hat. Allerdings ist da mehr. Die Band hat den
       zwölf Songs ihres dreiviertelstündigen Albums Erläuterungen beigelegt. Der
       zu „Samaritans“ liest sich wie ein Kommentar zum „Satisfaction“ der Stones.
       
       Idles, wie die rollenden Steine ein Quintett, im O-Ton: „Das schlichte
       Erscheinungsbild der Maskulinität ist zum Katalysator des Irrsinns
       geworden. Eine ganze Kette von Bullshit hat dazu beigetragen: Die Sorge,
       wie wir uns anziehen, was wir essen, welchen Rasierer wir benutzen,
       Kaugummis und Haarshampoo mit übernatürlicher Wirkung, wie wir mit Frauen
       umgehen, wie wir mit uns umgehen, wie wir gehen, wenn wir gehen müssen. Ich
       glaube ernsthaft, dass Maskulinität von einer entwickelten kulturellen
       Praxis zu einer Krankheit geworden ist. Ich wollte daher einen Song
       komponieren, der Geschlechterrollen auf den Prüfstand stellt.“
       
       Der da „ich“ sagt, ist Idles-Sänger Joe Talbot. Talbot hat die Band 2012
       mit dem Bassisten Adam Devonshire in Bristol auch gegründet. Getroffen
       hatten sich die beiden in einem Gothic-Schuppen. Bristol, jene englische
       Hafenstadt, ist eigentlich für einen ganz anderen Sound als den der Idles
       bekannt geworden: TripHop, ein verlangsamter HipHop, nicht selten
       geisterhaft, oftmals melancholisch verhallt. Idles debütierten 2014 mit
       einer EP, die sie „Welcome“ nannten.
       
       ## Ruppigkeit im Wartestand
       
       Wer die Songs jetzt hört, könnte sich über die eigentümliche Mischung aus
       flirrendem Postpunk und einer Ruppigkeit im Wartestand wundern, die die
       Band dort bietet. Böse Zungen würden gar sagen, die Idles hätten an diesem
       Punkt noch nicht gewusst, was sie eigentlich wollen, wohlmeinende ihnen
       zugute halten, dass sie sich ausprobieren wollten. Mit „Meydei“ und „Two
       Tone“ finden sich darauf immerhin zwei Songs, die auch jetzt gut in ihr Set
       passen würden: eine Art Verdrießlichkeit, deren latente Aggressivität
       allerdings nicht um sich schlägt.
       
       Erst im vorigen Jahr erschien dann das Debütalbum der Idles. Es markierte
       einen deutlichen Bruch im Sound und in den Inhalten der Band: „Brutalism“
       bezog sich im Titel auf die Architektur der Nachkriegswohnblocks, die noch
       heute in England stehen und Besuchern das Gefühl vermitteln, die Rauheit
       osteuropäischer Wohnschließfächer sei auf die Insel importiert worden.
       
       Die dutzendgeschossigen Sozialblocks von London bis Newcastle sehen in der
       Tat wie ihre Pendants aus Berlin-Marzahn oder Novi Beograd aus; die
       Erzählungen ihrer Bewohner verstärken den Eindruck noch. Und so klingt auch
       die Musik auf „Brutalism“: scharfkantige Sounds, Songs, die beim ersten
       Hören wirken, als seien sie nur um Bass und Schlagzeug herum gebaut, eine
       rockistische Entsprechung des Soulsample-Wutpunks der Sleaford Mods. Ein
       Vergleich, dem die Idles übrigens mit Vorsicht begegnen.
       
       ## Mathematisch simpel
       
       Die Simplizität, die Direktheit von „Brutalism“ war freilich eine bewusst,
       fast schon mathematisch gesetzte. In Interviews verwiesen die Punkrocker
       Idles auf Einflüsse wie Funk und Grime, Letzterer ein genuin britischer
       desolat-schroffer Hybrid aus HipHop und elektronischer Tanzmusik. Die
       Düsternis auf „Brutalism“ war sozial wie persönlich begründet: Den
       Betrachter des Albumcovers schaut von einer weißen Ziegelwand eine Frau an,
       es ist Joe Talbots Mutter. Sie ist während der Aufnahmen verstorben; der
       Sohn hat sie gepflegt.
       
       Und war in dieser Zeit ein schwerer Trinker, ein miserabler noch dazu, wie
       er in einem Gespräch mit dem Guardian einräumte. Talbot ist jetzt trocken.
       Er hat nach seiner Mutter die Tochter verloren. Sie starb unter der Geburt.
       
       Wie bringt einer danach ein Album heraus und betitelt es mit einem Motto
       der afroamerikanischen Dichterin Toi Derricotte „Joy as an Act of
       Resistance“? So schmerzlich banal das klingt, Talbot musste einfach, er
       konnte nicht anders. Eines der Wörter, die er in Interviews am häufigsten
       verwendet, ist „Glaubwürdigkeit“. Der Tochter hat er mit „June“ das
       Mittel-, das Herzstück des Albums geschrieben: Ein Requiem, getragen von
       Orgelklängen, grundiert von einer Rockband, die Halt gibt. Den gab es,
       betont Talbot.
       
       ## Noch direkter
       
       „Joy as an Act of Resistance“ ist in vielem anders als sein Vorgänger. Zwar
       pflegen die Idles immer noch einen direkten Punkrock; sie lieben ihn
       eventuell etwas sehr. Doch sind da jetzt Momente der Ruhe, eine
       Klangarchitektur, die weniger blockartig gezirkelt ist: Der fünfminütige
       Auftaktsong „Colossus“ zum Beispiel wird mit einem Schlagzeug eingeleitet,
       dessen metallisch-minimalistischer Klang vom Spiel auf dem Trommelrand
       herrührt.
       
       Ein Trick, der sich so eher auf Jazzalben hören lässt; einer, der sich in
       Zukunft ausbauen ließe. Bass und Gitarren fahren dann jäh hinein, die
       Dramaturgie ist die eines Hörspiels. „I am my father’s son / His shadow
       weighs a ton“, singt Talbot. Das muss nicht übersetzt werden. Gewidmet ist
       das Werk übrigens seinem Vater. Dann bringt Talbot eine ganze Ahnenreihe an
       ungewöhnlichen Männern ins Spiel: den Wrestler Steve Austin und den
       Stuntman Evel Knievel, aber auch einen Tänzer: Fred Astaire.
       
       Dass es um einen altgedienten Helden des Empire momentan schlecht steht,
       könnte Talbot freuen: Am Mittwoch kam die Nachricht, Regisseur Danny Boyle
       habe am Set des neuen James-Bond-Films aufgrund künstlerischer Differenzen
       das Handtuch geworfen. James Bond 007: Auch in „Scum“ auf dem neuen
       Idles-Album hat Bond seinen Auftritt. Talbot schert sich nicht um ihn,
       meint er. Bond töte fürs Vaterland, die Queen und Gott: „Wir brauchen
       keinen mörderischen Stutzer.“ Da wäre ein Schuss Ironie, wie ihn Barry
       Adamson, Bassist der Postpunkband Magazine und bei Nick Cave & the Bad
       Seeds, vor Jahren mit der Bearbeitung des Bond-Themas auf einem seiner
       Soloalben unter Beweis stellte, nicht fehl am Platz.
       
       Bond übrigens wurde in den Swinging Sixties berühmt, in der gleichen Epoche
       wie die Stones. Deren Alben nun um Gottes willen nicht auf den
       Scheiterhaufen sollen, im Gegenteil: Wer sich „Joy as an Act of Resistance“
       anhört, lege danach gleich „Have you seen your Mother, Baby (Standing in
       the Shadow)“, die Single, auf deren Coverrückseite die Rolling Stones,
       fotografiert von Jerry Schatzberg, im Fummel posierten und die Inspiration
       für Frank Zappas „Freak Out“ abgaben. Mit dem, darf vermutet werden,
       könnten sich die Idles anfreunden.
       
       24 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Mießner
       
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