# taz.de -- Der Berliner Wochenkommentar I: In einem Klima der Verachtung
       
       > Mordanschlag auf Obdachlose: Am S-Bahnhof Oberschöneweide werden zwei
       > Männern angezündet. Was sagt das über die Gesellschaft aus?
       
 (IMG) Bild: Die Straßenzeitung ist eine Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen
       
       [1][Sonntagabend am S-Bahnhof Oberschöneweide]: Ein Mann übergießt zwei
       schlafende Männer mit Flüssigkeit aus einem Benzinkanister, zündet sie an.
       Herbeieilende Passanten können den Brand löschen, aber die beiden
       Obdachlosen werden schwer verletzt, einer schwebt weiterhin in
       Lebensgefahr.
       
       Noch weiß man nichts über den Täter und sein Motiv. Doch so viel kann man
       wohl sagen: Der Fall ist symptomatisch für den Zustand unserer
       Gesellschaft, in der die Abwertung von Schwachen, seien sie Flüchtlinge,
       Wohnungslose, Hartz-IV-Empfänger, stetig zunimmt. Und so berichten auch
       ExpertInnen der Wohnungslosenhilfe, dass Obdachlose immer öfter Opfer von
       Gewalt und Aggression werden.
       
       Das liegt zum einen offenbar am zunehmenden Konkurrenzkampf unter
       Wohnungslosen um Orte im öffentlichen Raum, um Hilfsangebote, um alles. Der
       Überlebenskampf im Spätkapitalismus wird härter, besonders für die Menschen
       „ganz unten“ – da kann es schon mal sein, dass man den Druck weitergibt an
       jene, die (für den Moment) noch wehrloser sind als man selbst.
       
       Dass der Kampf härter wird, liegt vor allem an der Ignoranz und Verachtung,
       die den Wohnungslosen von fast überall her entgegen schlägt. So werden in
       der Stadt gute Schlaf- und Aufenthaltsplätze immer rarer aufgrund der
       Anstrengungen von Politik und Verwaltung, diese „Störbilder“ aus dem
       öffentlichen Straßenbild zu verdrängen, die lästigen Armen unsichtbar zu
       machen.
       
       ## Platzverweise am laufenden Band
       
       Da werden Bänke in U-Bahnhöfen und an Plätzen so gestaltet, dass man nicht
       mehr drauf liegen kann, verteilen Ordnungsamtsmitarbeiter Platzverweise am
       laufenden Band und wird bei Sanierungen möglichst alles dafür getan, keine
       „kostenlose“ Aufenthaltsmöglichkeiten zu schaffen. Auch der jetzige Tatort,
       der S-Bahnhof Oberschöneweide, soll übrigens saniert werden – ob dann noch
       Platz für die beiden kiezbekannten Männer sein wird, ist offen.
       
       Und das Klima der Verachtung, das Politiker mit ihren Reden von „sozialen
       Hängematten“, „Fördern und Fordern“ und „Asyltouristen“ schüren, steckt an.
       Wie oft hört man nicht, dass Bettler „doch alle Mercedes fahren“?. Dass
       „die nicht so viel trinken sollen, dann könnten sie auch arbeiten“? Dass
       „mir auch nichts geschenkt wird“? Eigentlich ist es paradox: Je mehr Arme
       es gibt, desto genervter sind wir von ihnen – als ob sie schuld an ihrer
       Misere wären (was es manchmal sicher auch gibt, aber doch nicht im
       Regelfall).
       
       Es ist kein Wunder, wenn in diesem Klima bei dem einen oder anderen die
       Überzeugung heranreift, dass er „etwas unternehmen“ muss. Dann ist der
       Aufschrei in der bürgerlichen Öffentlichkeit groß. Aber dann ist es zu
       spät.
       
       28 Jul 2018
       
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