# taz.de -- Obdachlose in Hamburg: Leichte Opfer
       
       > Ein 28-Jähriger muss sich vor Gericht dafür verantworten, einen
       > Obdachlosen schwer verletzt zu haben. Solche Übergriffe kommen immer
       > wieder vor.
       
 (IMG) Bild: Bei Gewalt gegen Obdachlose ist die Dunkelziffer hoch
       
       HAMBURG taz | Im Prozess um einen brutalen Angriff auf einen Obdachlosen am
       Bahnhof Ohlsdorf hat der Angeklagte die Tat gestanden. „Wie es genau
       abgelaufen ist, weiß ich aber nicht mehr“, sagte der 27-Jährige am
       Donnerstag vor dem Hamburger Amtsgericht. Er muss sich wegen gefährlicher
       Körperverletzung verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, den
       schlafenden 45-Jährigen im November 2017 zunächst mit Bier überschüttet zu
       haben. Anschließend soll er die Flasche zerschlagen und den Obdachlosen mit
       einer Scherbe am Hals geschnitten haben.
       
       Dabei habe er mögliche „tödliche Verletzung billigend in Kauf genommen“,
       hieß es in der Anklage. Das Opfer erlitt eine zwölf Zentimeter lange
       Schnittwunde am Hals sowie eine drei Zentimeter große Wunde am Kinn.
       
       Er könne sich an die Tat nur noch sehr schwammig erinnern, weil er damals
       unter massivem Alkohol- und Medikamenteneinfluss gestanden habe, sagte der
       Angeklagte. Er habe das Opfer nicht gekannt, Gründe für seine Attacke
       konnte er auch nicht nennen. Er erklärte allerdings, dass sich seine
       Lebenssituation in der Zeit vor der Tat massiv verschlechtert habe, er
       schwer erkrankte und seinen Job verlor. Seit dieser Zeit habe er öfter
       daran gedacht, jemanden zu töten.
       
       Offenbar fand er in dem Obdachlosen ein zufälliges, aber passendes Opfer.
       Eine Anklage wegen versuchter Tötung blieb ihm erspart, weil er nach der
       ersten Attacke flüchtete, statt weiter das Opfer anzugreifen.
       
       Einige Wochen nach der Tat packten den Täter offenbar Gewissensbisse. Er
       suchte sein Opfer auf und entschuldigte sich bei ihm. Anschließend stellte
       er sich der Polizei.
       
       Wenngleich der Angeklagte wohl nicht aus Hass gegen Obdachlose zur Tat
       schritt, reiht sich die Tat in eine Anzahl ähnlicher Fälle, in denen
       Obdachlose Opfer von Gewalttaten wurden (siehe Kasten). Aber Hamburg
       veröffentlicht in der jährlichen Kriminalstatistik keine Zahlen darüber,
       wie häufig Obdachlose Opfer werden.
       
       Darum hatte schon Anfang vorigen Jahres die Linksfraktion in der
       Bürgerschaft eine Kleine Anfrage an den Senat gerichtet, um mehr über
       Gewalt gegen Obdachlose in Hamburg zu erfahren. Der rot-grüne Senat sah
       sich jedoch außerstande, Zahlen über Gewalttaten durch nicht-wohnungslose
       und wohnungslose Täter*innen zu nennen, weil die Daten nicht elektronisch
       standardisiert ausgewertet würden, hieß es. „Eine Auswertung speziell für
       obdachlose Opfer würde eine umfangreiche Sonderauswertung erforderlich
       machen“, erklärt ein Sprecher der Hamburger Polizei – dieser Aufwand ist
       den Behörden offenbar zu groß.
       
       Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter beim Straßenmagazin Hinz & Kunzt,
       beobachtet eine Zunahme an Gewalt. „Die Straße ist in den letzten Jahren
       rauer geworden und damit gefährlicher“, sagt er. Dies betrifft sowohl das
       Verhalten von Obdachlosen untereinander als auch, wie im derzeit
       verhandelten Fall, zwischen nicht-wohnungslosen Täter*innen und obdachlosen
       Opfern. „Es ist klar, dass Gewalt eher gegen Schwächere ausgeübt wird.
       Obdachlose sind dann in diesem Sinne gute Opfer“, sagt Karrenbauer.
       
       Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) beobachtet seit den
       1990ern systematisch Gewalttaten gegen Obdachlose. „Das Thema ist leider
       ein Dauerbrenner“, sagt deren Vorsitzende Werena Rosenke.
       
       Zwar unterliegen die Zahlen Schwankungen, allerdings steigt seit Jahren
       auch die Zahl der Obdachlosen. „Je mehr Wohnungslose es gibt, desto mehr
       Gewalt gibt es folglich auch“, sagt Rosenke. So waren laut der bundesweiten
       Kriminalitätsstatistik im Jahr 2014 in 406 registrierten Fällen Obdachlose
       Opfer von Gewaltkriminalität. 2017 waren es schon 592 Fälle. Allerdings,
       und das heben sowohl die jährlichen Kriminalitätsstatistiken als auch
       Karrenbauer und Rosenke hervor: Gerade in Bezug auf Gewalt gegen Obdachlose
       ist die Dunkelziffer hoch.
       
       Der Prozess gegen den 28-jährigen Angeklagten wird am kommenden Freitag
       fortgesetzt. Dann wird auch das Urteil erwartet.
       
       25 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) André Zuschlag
       
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