# taz.de -- Debatte Medien und die Kanzlerin: Männer meckern, Merkel arbeitet
       
       > Überall liest man derzeit Abgesänge auf Merkels Kanzlerschaft – vor allem
       > von Männern. Was soll dieser Kamikaze-Journalismus?
       
 (IMG) Bild: Gerade wo sich Merkel für die Zukunft Europas reinhängt, schreiben so viele gegen sie an
       
       Zugegeben, so manches läuft nicht gut hierzulande. Ich schäme mich manchmal
       für mich und meine Generation, dass wir das zugelassen haben: diesen
       Raubbau am Sozialwesen. Ein orientierungsloses Bildungswesen, das nach wie
       vor eher Herkunft sieht als die Potenziale der Kinder. Menschen, die arm
       sind trotz Arbeit in diesem reichen Land; Pfleger, die nicht in Würde
       pflegen dürfen; Kranke, die nicht in Würde krank sein dürfen. Alte, die
       nicht in Würde sterben dürfen.
       
       Ich weiß nicht, wie dem beizukommen ist – trotz zahlloser Debatten, die
       offensichtlich nicht wirken. Und ja, ich weiß, dass die Regierungschefin
       dieses Landes auch für diese Dinge verantwortlich ist und dafür kritisiert
       werden muss. Sie wird jedoch vor allem anlässlich ihrer Humanität
       kritisiert, die nun alle herunterbrechen wollen auf Kontrollverlust.
       Schönes Menschenbild.
       
       Im Jahr 2018 kommen [1][weniger Hilfesuchende nach Europa als 2014]. Es
       scheint inzwischen ein paar Kontrollhebel zu geben, aber das dringt nicht
       durch. Jeder, der in Deutschland geboren ist, hat allein durch diesen
       Zufall derzeit das Glück, Zugang zu einem Wohlstand zu haben, der großen
       Teilen der Welt verwehrt bleiben wird. Der Unterschied zwischen
       Ungleichheit „innerhalb eines Landes“ und „zwischen verschiedenen Ländern“
       muss auch in Deutschland Thema werden. Wenn Europas Weg künftig die
       Abschottung sein soll – wonach es aussieht –, wie kann Deutschland dann
       seiner Verantwortung gerecht werden?
       
       Da standen also in den letzten zwei Wochen große Fragen im Raum. Doch statt
       sie zu verhandeln, erlebte diese Republik ein bislang einzigartiges
       Spektakel im Kanzlerin-Niederschreiben. Seit Seehofer Merkel den Zweikampf
       angedroht hat, schreiben auffallend viele Herren Journalisten, als sei ein
       Merkel-Abgesang-Award ausgelobt worden. Die Mechanik der Männerbündnisse
       wirkt.
       
       ## Merkel, die Feministin?
       
       Zum ersten Mal in all den Jahren sehe ich in Angela Merkel vor allem eine
       Frau. Wieso erst jetzt? Wie wird man so gehirngewaschen? War das der
       deutsche Weg, Macht und Einfluss vom Frausein so sauber zu trennen, dass
       sich andere Frauen nicht ermutigt fühlen konnten?
       
       Feminismus hatte in diesem Land immer einen schweren Stand. Weshalb Merkel
       klugerweise stets negiert hat, Feministin zu sein. Eine solche wird man
       aber nicht dadurch, dass man sich als Feministin bezeichnet. Feministin
       wird man, indem der eigene Weg nicht vom biologischen Geschlecht bestimmt
       wird. Sie ist also auch Feministin, eben eine, die sich nicht so nennen
       mag. Auch gut. Feminismus ist kein Zwangsverein.
       
       Auf dem legendären Bild vom G7-Gipfel in Quebec sah man eine in ihrer
       Körpersprache verdammt starke Frau unter Männern. Je autoritärer die
       Herrscher werden, desto mehr Frau sehe ich in Angela Merkel. Das tun
       vermutlich auch jene Journalisten, die sie in dieser für Europa
       entscheidenden Phase so irrational in die Machtlosigkeit schreiben.
       
       ## Trump für Arme
       
       Seehofer und Söder mimen derzeit Trump für Arme. Man hätte im 21.
       Jahrhundert erwarten können, so ein pubertäres Gehabe ernte Lacher. Aber
       nein, die Herren Negativisten feilen an Merkel-Abgesängen. Seit der
       Regierungskrise kaum Worte zur politischen Statur der CSU-Männer.
       Stattdessen unzählige über Merkels letzte Stunde. Sie hat aber gerade erst
       vom Wahlvolk den Auftrag erhalten, noch einmal zu regieren.
       
       Aus den Forsa-Ergebnissen der neuesten Umfragen entpuppt sich: Die Bayern
       sind fortschrittlicher in der Beurteilung von Leistung jenseits der
       Geschlechterrollen als viele Herren Innenpolitikredakteure. Die Mehrheit
       der Bayern bevorzugen Frau Merkel gegenüber Herrn Seehofer oder Herrn
       Söder. Hätten die Politmagazin-Cover und Artikel gegen Merkel recht gehabt,
       wären die Zustimmungswerte für die Kanzlerin im Keller.
       
       Worüber wurde hingegen zu wenig berichtet? Über Austritte aus der CSU, weil
       sich selbst Konservativste in so einem Gehabe nicht wiederfinden. Über die
       Gelassenheit in Flüchtlingsfragen: 75 Prozent der Bayern finden, es gebe
       derzeit Wichtigeres. Seehofer riskiert dafür aber eine Regierungs- und
       Europakrise. Die Einzigen, die ihn laut Forsa beklatschen, sind Wähler der
       AfD. Das wäre doch ein Cover-Motiv gewesen: Seehofer, bejubelt von
       AfD-Wählern, während die CSUler sich abwenden und Europa untergeht. Hach!
       
       ## Merkel trägt Verantwortung – man sollte dankbar sein
       
       Politische Beobachter müssen lernen, bewusster durch die Geschlechterbrille
       zu sehen. Die deutsche Kanzlerin geht für Europa verhandeln – und die
       Herren Journalisten schreiben sie klein, bis eine Umfrage zeigt, dass
       [2][nicht einmal die Wähler in Bayern hinter Seehofer stehen].
       
       Merkel wird eines Tages gehen, klar. Doch derzeit muss man dankbar sein,
       wenn sie die Suppe mit auslöffelt. Sie trägt Verantwortung. Sie kämpft.
       Ihren Abgang vorzeitig herbeizukarikieren ist Kamikaze-Journalismus für
       ein Europa, das zurzeit Merkels Kontakte und ihre Erfahrung braucht. In
       diesem Weltgefüge Kanzler zu sein ist nichts, das zum Beispiel ein Jens
       Spahn – der noch dabei ist zu lernen, wie man mit Englisch sprechenden
       Barkeepern zurande kommt – leisten könnte. Außerdem warten viele im
       Pflegesektor darauf, dass er liefert. So, wie die Bayern auf Seehofer und
       Söder warten.
       
       Nur Angela Merkel macht ihre Arbeit und schweigt. Gerade jetzt, wo sie sich
       für die Zukunft Europas reinhängt, schreiben so viele gegen sie an. Wo
       waren sie all die Jahre, als man gegen Merkels Politik hätte anschrei(b)en
       müssen? Haben sie gar die Bequemlichkeit des entpolitisierten Deutschland
       eitel genossen?
       
       Manchmal wünsche ich, die Kanzlerin würde jetzt dann doch mal die harte
       Konfrontation suchen und die CSU daran erinnern, dass eine CDU in Bayern
       auch antreten kann, Schwestern hin oder her. Dann wieder bewundere ich
       diese mächtige Frau dafür, dass sie genau auf dieses Machogehabe
       verzichtet. Es ist so dermaßen von gestern. Hoffe ich.
       
       29 Jun 2018
       
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