# taz.de -- Kommentar Rettungsschiff „Lifeline“: Menschlichkeit ist kein Gnadenakt
       
       > Europa lässt die rund 230 Geflüchteten auf dem Rettungsschiff „Lifeline“
       > nun nicht auf See sterben. Doch der Kontinent ist nicht wiederzuerkennen.
       
 (IMG) Bild: Schiffe wie die „Lifeline“ retten die Menschen vor dem Ertrinken – und dem Vergessenwerden
       
       Europa, was auch immer das eigentlich noch ist, hat sich offenbar
       entschieden, die rund 230 geflüchteten Menschen auf dem Rettungsschiff
       „Lifeline“ doch nicht auf See sterben zu lassen. Wie weit ist es gekommen,
       dass so eine humanitäre Selbstverständlichkeit schon eine gute Nachricht
       ist?
       
       Noch am Nachmittag wusste die Besatzung der „Lifeline“ nicht offiziell,
       dass oder wann sie in Malta anlegen darf. Auch, welche europäischen Länder
       sich nun doch bereit erklären, die Menschen aufzunehmen, war zunächst
       unklar. Sicher ist aber: Es gibt von keinem einzigen europäischen Land mehr
       eine entschiedene Unterstützung für die zivilen Rettungsschiffe im
       Mittelmeer. Sie werden als Schleppergehilfen diffamiert, an der Arbeit
       gehindert, womöglich gar noch angeklagt.
       
       Die Logik dahinter sprechen die Hetzkommentatoren in den „sozialen“ Medien
       aus, und Europas Regierungen setzen sie stillschweigend um: statuiert
       Exempel, lasst die Leute ertrinken, lasst die Milizen der sogenannten
       libyschen Küstenwache sie einsperren, foltern, als Sklaven verkaufen – nur
       so werden sie lernen, sich nicht nach Europa aufzumachen.
       
       Wenn alles so weit gut geht, ist das unmittelbare Leiden der Menschen auf
       der „Lifeline“ jetzt erst einmal zu Ende. Sie erhalten hoffentlich etwas zu
       essen, ein Bett, medizinische Versorgung, mit viel Glück vielleicht sogar
       ein faires Asylverfahren. Das alles bekommen sie aber nur, weil die
       Rettungsschiffe dort unterwegs sind. Denn „Aquarius“, „Sea Watch“ oder eben
       „Lifeline“ retten die Menschen nicht nur vor dem Ertrinken, sondern auch
       vor dem Vergessenwerden. Nur deshalb haben sie überhaupt eine Chance.
       
       ## Europa auf Abschottungskurs
       
       Es scheint, als habe die Bereitschaft einiger Regionen, Bundesländer,
       Städte und Gemeinden dazu beigetragen, die Situation der „Lifeline“ zu
       lösen. Das ist gut. Aber es ändert nichts daran, dass Europa auf
       Abschottungskurs bleibt.
       
       „Wir müssen lernen, solche Bilder auszuhalten“, diese entsetzliche Maxime
       des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) hat offenbar
       aufs Furchtbarste funktioniert. Menschlichkeit gilt inzwischen als
       realitätsfern, das Einklagen von Rechten als unbotmäßig, das Einlösen
       derselben Rechte als generöser Gnadenakt, rechte Hetze als Volkswille.
       
       Und selbst die Linke meint ernsthaft darüber debattieren zu müssen, dass
       „Europa doch nicht alle aufnehmen“ könne, statt die sozialen Probleme auf
       die Tagesordnung zu setzen, die die neoliberale staatliche Selbstaufgabe
       seit den frühen 90ern geschaffen hat.
       
       Europa ist nicht wiederzuerkennen. Und das liegt nicht an den Geflüchteten.
       
       26 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Pickert
       
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