# taz.de -- Ein Jahr Jamaika in Schleswig-Holstein: An der Schmerzgrenze
       
       > Seit fast einem Jahr regiert in Schleswig-Holstein eine Jamaika-Koalition
       > aus CDU, Grünen und FDP. Ohne offenen Streit, aber hinter den Kulissen
       > rumort es.
       
 (IMG) Bild: So ging's los mit Jamaika: Schleswig-Holsteins Obermokels beim Schnapseln
       
       KIEL taz | Bei den Windrädern herrscht zurzeit Baustopp, dafür bauen die
       drei Parteien, die in Schleswig-Holstein seit knapp einem Jahr als
       Jamaika-Koalition regieren, eine neue Abschiebehaftanstalt. Und sind
       weitgehend guter Dinge dabei. „Streit kann ich nicht feststellen“, sagt
       Ministerpräsident und CDU-Landeschef Daniel Günther. „Es gibt Themen, die
       schwierig für uns sind“, sagt Steffen Regis, der mit Ann-Kathrin Tranziska
       seit Oktober 2017 als neue Doppelspitze den Grünen-Landesverband führt.
       
       An der grünen Schmerzgrenze befindet sich die Abschiebehaftanstalt, die in
       einer ehemaligen Kaserne in Glückstadt an der Elbe entstehen soll. Die
       Vorgängerregierung aus SPD, Grünen und SSW hatte 2014 die ehemalige
       Abschiebehaft in Rendsburg geschlossen – nun müssen die Grünen im Landtag
       die Finger für den neuen Bau heben. Die Haftanstalt käme zwar, sagt Regis,
       „aber nur mit grünen Korrekturen: innere Offenheit, Sozial- und
       Asylberatung. Es darf kein Knast werden.“
       
       Schleswig-Holsteins Flüchtlingsbeauftragter Stefan Schmidt kritisiert die
       Einrichtung dennoch „grundsätzlich“ und fordert weitere „Mindeststandards“:
       soziale Betreuung, juristische Beratung und Bewegungsfreiheit im Inneren,
       Sport- und Freizeitangebote. Dass CDU und FDP auch Familien, Schwangere und
       Minderjährige in Glückstadt kasernieren wollen, kritisiert auch die SPD.
       „Das entspricht nicht mehr der humanen Flüchtlingspolitik in
       Schleswig-Holstein, die bisher einen breiten politischen Konsens
       darstellte“, sagt deren flüchtlingspolitische Sprecherin Serpil Midyatli.
       
       Rumort es wegen solcher Themen in der Jamaika-Koalition? „Ich habe in gut
       unterrichten Zeitungen gelesen, dass es so sein soll“, sagt Daniel Günther.
       Klar sei, dass nicht alles „das Herzblut aller beteiligten Parteien“ sei.
       „Aber das ist öffentlich bekannt.“ Zu weiteren öffentlich bekannten
       Streitpunkten gehört auch der von Dänemark geplante Ostseetunnel im
       Fehmarn-Belt.
       
       „Wir sind einig, dass wir nicht immer einig sind – unter diesem Motto
       arbeitet die Koalition, die fast Modell für den Bund geworden wäre, seit
       Juni vergangenen Jahres. Die Grünen nehmen für sich in Anspruch, die
       soziale Frage zu stellen und Solidarität und Gerechtigkeit im Blick zu
       behalten“, sagt Regis: „In der Koalition sind wir Grünen links.“
       
       Die CDU hat sich hingegen urgrüne Themen angeeignet: Windenergie-Ausbau ist
       ein zentrales Thema der ganzen Regierung, im Juli soll dazu ein Konzept
       vorgestellt werden. In der Folge wird es um die Frage gehen, wie das
       Windstrom-Land seine Energieüberschüsse speichern und verwerten kann, da
       die Leitungen gen Süden auf sich warten lassen. Ein Problem damit, dass der
       frühere Gegner im eigenen Themenfeld wildert, hat Regis nicht: „Grüne
       Themen sind auch beim Ministerpräsidenten präsent. Das zeigt unsere starke
       Rolle.“
       
       Der Bau von Windrädern, Kita-Gebühren, kommunaler Finanzausgleich und der
       Verkauf der HSH-Nordbank – es klingt wenig spektakulär, womit sich Jamaika
       aktuell befasst. Dennoch steckt in allen Fragen Zündstoff: „Wir haben Dinge
       angeschoben, aber noch längst nicht abgeräumt“, sagt Günther.
       
       In den nächsten Monaten könnte sich etwas im Zusammenspiel verschieben,
       wenn Robert Habeck, bisher prägende Gestalt im Landesverband und in der
       Regierung, aus dem Kabinett ausscheidet und sich auf seinen neuen Job als
       Grünen-Bundesvorsitzender in Berlin konzentriert. Die FDP hatte ihren
       Lautsprecher Wolfgang Kubicki im Herbst in die Bundespolitik ziehen lassen
       – möglich, dass sich das mittelfristig auch bei Wahlen auswirkt. In der
       Vergangenheit schnitten die Liberalen im Land oft besser ab als im
       Bundestrend, das wurde dem Bekanntheitsgrad des Rechtsanwalts mit dem
       schnellen Mundwerk zugerechnet.
       
       Droht den Grünen ähnliches? „Nein“, sagt Steffen Regis, „das Zugpferd
       Robert Habeck ist nicht weg. Die Zügel werden nur länger.“ Viel Gegenwind
       durch die Opposition muss die Regierung nicht fürchten: Die drei
       Abgeordneten der Minderheitenvertretung SSW setzen auf konstruktive
       Zusammenarbeit, die fünf AfDler sind inhaltlich schwach, ihre Anträge sind
       häufig Kopien aus anderen Ländern und kreisen um die ewig gleichen Themen.
       Die SPD steht nach Wahlniederlagen – zuletzt bei den Kommunalparlamenten –
       vor der Aufgabe, sich neu aufzustellen.
       
       „Angst vor der SPD hatte ich nie – Respekt zuletzt heute“, beteuert
       Günther. „Es wäre ja schlimm, wenn man keinen Respekt vor dem politischen
       Gegner hätte.“ Klingt ein bisschen nach Mitleid.
       
       18 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
 (DIR) Sven-Michael Veit
       
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