# taz.de -- Geplantes Psychiatriegesetz in Bayern: „Der Plan ist lebensgefährlich“
       
       > Bayern will psychisch Kranke wie Straftäter behandeln. Ein Psychiater und
       > eine Patientin erzählen, was das Gesetz für sie bedeuten würde.
       
 (IMG) Bild: Patient in einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Symbolbild)
       
       Das [1][Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz], kurz BayPsychKHG, ist das erste
       Gemeinschaftsprojekt von Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml und
       ihrer neuen Kollegin im Sozialministerium, Kerstin Schreyer. Die beiden
       CSU-Politikerinnen sehen vor, dass psychiatrische Kliniken in Bayern
       künftig der Polizei melden, wer ihre Patienten sind. Die Daten sollen fünf
       Jahre lang gespeichert werden. MedizinerInnen, Betroffenenverbände, die
       Opposition im Landtag und viele BürgerInnen protestieren heftig. Nach der
       ersten Gesetzes-Lesung vergangene Woche im bayerischen Landtag hat
       Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Nachbesserungen angekündigt. Am
       Dienstag berät der Ministerrat. 
       
       ## Mediziner Samuel Thoma: „Ich würde mich für diesen Gesetzentwurf
       schämen“
       
       Die Psychiatrie hat Macht. In Deutschland können durch das
       „Psychisch-Kranken-Gesetz“ Menschen psychiatrisch untergebracht werden,
       wenn diese sich oder andere unmittelbar gefährden und dabei die Folgen
       ihres Handelns aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht absehen können.
       In Bayern, wo das Gesetz „Unterbringungsgesetz“ heißt, wird zur Begründung
       außerdem auf die Gefährdung der „öffentliche[n] Sicherheit oder Ordnung“
       verwiesen. Diese Macht will die CSU mit ihrer Novellierung des bayrischen
       Gesetzes gerade weiter potenzieren.
       
       In ihrem Gesetzentwurf wird die Psychiatrie als Ordnungshüterin
       präsentiert, die Verrücktheit erfasst und wegsperrt, ja kriminalisiert und
       bestraft: Unter anderem sollen Betroffene, die im oben genannten Zustand
       sind, polizeilich gemeldet und persönliche Informationen über fünf Jahre in
       einer behördlich zugänglichen „Unterbringungsdatei“ festgehalten werden.
       Besuchszeiten belaufen sich auf eine Stunde pro Tag und wie im Gefängnis
       gibt es Beschäftigungs- und Freizeit (keine Rede von Therapie). Schließlich
       sollen sie für ihre Unterbringung selbst finanziell aufkommen.
       
       In das Kostüm der psychiatrischen Macht schlüpfe ich jeden Arbeitstag, auch
       wenn ich dafür keinen weißen Kittel trage und man mich in der Notaufnahme
       nur durch mein Namensschild als Psychiater erkennt. Dennoch, die
       Beteiligten wissen meist um diese Macht. Sie ist mitunter sogar erwünscht,
       etwa wenn Menschen von der Polizei eingeliefert werden oder in Begleitung
       der Angehörigen erscheinen. Die Psychiatrie soll übernehmen, ich soll
       übernehmen. Oft sind es dramatische Situationen, in denen niemand einen
       Ausweg weiß.
       
       Die Menschen, die mir vorgestellt werden, sind keine Kriminellen. Sie sind
       häufig diejenigen, die einen Ausweg am meisten suchen, sei es indem sie
       selbst verrückt werden, sei es durch den eigenen Tod. Auch ich weiß keinen
       Ausweg. Ich gehe mit ihnen in einen „Raum für Gespräche“ und biete ihnen
       Hilfe an, Hilfe, die mir selbst oft nur als Aufschub für die eigentliche,
       an den jeweiligen sozialen Bedingungen ansetzende Lösung erscheint.
       
       Zwischen uns steht die Möglichkeit der Zwangsunterbringung. Ich schäme mich
       für diese Möglichkeit, die ein ehrliches Gespräch eigentlich unmöglich
       macht – und die mir doch in seltenen und extremen Fällen für einen Moment
       als unausweichlich erscheint. Das Wissen um diese Möglichkeit deutet sich
       in vielsagenden Blicken an, im Gespräch oder wenn wir gemeinsam eine
       psychiatrische Station betreten, deren Türen nur ich mit meinem Schlüssel
       öffnen kann.
       
       Auch ohne den Gesetzentwurf ist die Psychiatrie eine sehr bedenklich
       Veranstaltung. Zwar sind die weißen Kittel in den letzten Jahrzehnten aus
       der Psychiatrie verschwunden, wie auch die abseitigen psychiatrischen
       Großanstalten, mit ihren von jahrzehntelanger Internierung gebrochenen
       Patient_innen und ihren brachialen Behandlungsmethoden (etwa Elektrokrampf-
       oder Insulinschocktherapie).
       
       Gleichzeitig hat die Psychiatrie ihren Einfluss enorm ausgeweitet. Sie
       definiert immer mehr menschliches Verhalten als pathologisch. Die Menge an
       verschriebenen Antidepressiva hat sich in den letzten drei Jahrzehnten
       vervielfacht, ebenso wie die Zahl an stationären und ambulanten
       Psychotherapieplätzen. Zugleich dringt die Psychiatrie durch zahlreiche
       „Gesundheitsapps“ in unseren Alltag vor. Auch in der heutigen Psychiatrie
       werden Behandlungsmethoden wie die Elektrokrampftherapie oder jüngst die
       tiefe Hirnstimulation energisch beworben.
       
       Und zu guter Letzt kehrt sich die von der Psychiatriereform vor gut 50
       Jahren angestoßene Schließung der Großanstalten und der Abbau
       psychiatrischer Betten gegenwärtig um: Neben geschlossenen Pflegeheimen
       sind forensische Kliniken, in denen psychisch erkrankte Straftäter_innen
       auf häufig unbestimmte Zeit untergebracht werden, ein boomender
       Wirtschaftszweig.
       
       Die Psychiatrie trat einst mit dem Anspruch an, die „Geisteskranken“ von
       ihren Ketten zu befreien (Philippe Pinel). Eine heutige Tendenz der
       Psychiatrie ist, ihnen neue Ketten anzulegen. Der Entwurf der bayrischen
       Landesregierung macht aus ihr ein Gefängnis.
       
       ## Die Patientin: „Bin ich wirklich so „verrückt“?“
       
       Die Depression hat Macht. Sie zu beschrieben, ist schwierig. Zum einen,
       weil sie bei jede_r von einer Depression betroffenen Person anders wirkt.
       Zum anderen, weil diese Macht in ihrer Tragweite und Absolutheit nur
       erfassen kann, wer selbst schon mal unter ihr litt. Klingt exklusiv. Ist es
       auch. Das heißt nicht, dass man eine Erklärung nicht trotzdem versuchen
       muss, wenn Menschen, die Gesetze machen, die das Schicksal und die
       Behandlung von Patient_innen betreffen, verstehen sollen, was sie
       eigentlich tun. Hier also ein Versuch.
       
       Bei mir waren es die Farben, die plötzlich anders waren. Nicht mehr so
       bunt, nicht mehr so nuanciert, irgendwie ohne Glanz. So als hätte jemand
       einen Graufilter übers Bild gelegt. Und dann war da diese Schwere, dieser
       dunkle, dumpfe Schmerz, der den Körper erfasst. Als käme er aus einer
       unversiegbaren Quelle und breche sich auf brachiale Weise Bahn, wie ein
       dicker, zähflüssigen Strom durch den Körper. Wie ein Fluss, der Hochwasser
       führt und mit seinen schlammigen Wassermassen alles mit nimmt, was mal das
       Ufer war. Kein fester Halt mehr, nirgends.
       
       Der Schmerz bringt einen dazu, sich in Embryonalstellung unter der Decke
       zusammenzurollen, die Augen zusammenzukneift und sich an dem allerletzten
       festzuhalten, was einem noch bleibt: Dem eigenen Atem. Stundenlang,
       tagelang. Einatmen, ausatmen. Unendliche Müdigkeit und der Wunsch, für
       immer schlafen zu dürfen, weil eine Frage immer wieder kommt: Wozu das
       alles? Da vorne ist das Fenster. Der Weg hinunter bis zum harten Asphalt
       ist weit genug, um das nicht mehr spüren zu müssen.
       
       Eine Depression (lateinisch deprimere „niederdrücken“) ist aggressiv und
       gefährlich – für den Menschen, von dem sie Besitz ergreift. Es ist der
       eigene Geist, der sich gegen sich selbst wendet. Der zerstören und
       auslöschen will. „Eine Depression ist Dein Körper, der Dir „Fuck you“
       sagt“, wird der Hollywood-Schauspieler und Komiker Jim Carrey zitiert. Ein
       Zitat, das ich mag, weil es für mich stimmt. Die Seele, die schreit: „Ich
       will nicht mehr dieser Charakter sein. Ich bin nicht mehr bereit, diesen
       Avatar am Leben zu erhalten, den Du für diese Welt erschaffen hast.“
       
       Dass es einen Weg aus der Depression gibt, weiß man im oben beschrieben
       Zustand nicht. Und man kann es sich auch nicht vorstellen. Es erscheint
       unmöglich und absurd. Sich Hilfe zu holen, ist in diesem Zustand aber
       lebenswichtig. Zum Beispiel in einer psychiatrischen Klinik. Dort wird man
       im besten Fall vor sich selbst beschützt und muss sich um nichts kümmern,
       was man in diesem Zustand sowieso nicht leisten kann, nämlich alles, was
       der Alltag so mit sich bringt.
       
       Sich selbst in eine Psychatrische (Notfall)klinik einweisen zu lassen, oder
       dort einfach selbst hinzugehen, wenn man nicht mehr weiter weiß, kann eine
       unendlich große Entlastung sein. Eine echte Hilfe in einer vermeintlich
       ausweglosen Situation. Nur hingehen muss man eben. Und das machen auch ohne
       die geplante Neufassung des bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz
       nicht alle, die Hilfe brauchen. Ich zum Beispiel.
       
       Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer ist mit Sicherheit die
       Stigmatisierung, die mit einem Aufenthalt in der Psychiatrie einher geht.
       Das (falsche) Bild, dass man davon hat.
       
       Bin ich wirklich so „verrückt“? Bin ich eine von „denen“? Aber eben auch
       (man sabotiert sich ja selbst): Habe ich Hilfe verdient? Jetzt reiß Dich
       zusammen, Du Verliererin. Wenn Du das machst, will hinterher niemand mehr
       was mit Dir zu tun haben. Wer gibt sich schon gern mit einer „Irren“ ab.
       Merke: Der Geist eine_r Depressiven ist ein fieser Despot, der die
       Kontrolle behalten will. Am liebsten bis zum Tod.
       
       Gerade weil eine Depression zwar reale körperliche Auswirkungen hat, aber
       ihre Ursache im Denken liegt, zweifelt man an sich. Denn ja: Man bildet
       sich das irgendwie alles ein. Was nicht heißt, dass es nicht real ist.
       Absurd und wahr zu gleich. Und von nicht Betroffenen deshalb auch so schwer
       zu verstehen.
       
       Wenn nun auch noch das Label „Straftäter“ hinzukommt, wie in Bayern im
       Falle von Zwangseinweisungen geplant, fühlen sich Menschen, die für sich
       selbst die größte Gefahr darstellen, gerade weil ihr Denken beschlossen
       hat, sich auf gefährliche und aggressive Weise selbst zu schaden, noch
       weniger zugehörig, womöglich sogar abgeschreckt. Das kann lebensgefährlich
       sein.
       
       Der Entwurf der bayrischen Landesregierung macht aus einem potentiellen Ort
       der Hilfe einen Ort, an den ich niemals gehen würde, um Hilfe zu suchen,
       sollte es mir eines Tages wieder so gehen.
       
       23 Apr 2018
       
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