# taz.de -- Clubkultur-Ausstellung „Night Fever“: Dancefloor als Happening
       
       > Weder Tanzsaal noch Theater: Die Ausstellung „Night Fever“ in Weil am
       > Rhein zeigt die Entwicklung von der Diskothek zur Clubkultur.
       
 (IMG) Bild: Radical Style in Italien: Diskothek „Flashback“ in Borgo San Dalmazzo (ca. 1972)
       
       Love will save the day“: Rote Leuchtbuchstaben weisen vor dem
       Museumsgebäude den Weg in eine Vergangenheit, die zur Abwechslung mal
       glorreich ist. Die Ausstellung „Night Fever“ beginnt mit einem Grundriss.
       „Ich möchte gerne einen riesigen Flipperautomaten eröffnen, einen Ort, an
       dem sich junge Leute treffen und Herkunft, Bildung und Schönheit keine
       Rolle spielen“, schwebte dem Römer Alberigo Crocetto 1965 vor. Dafür fand
       er den Saal eines gebauten, aber nie eröffneten Kinos geeignet, nannte ihn
       „Piper Club“ und beauftragte für den Innenausbau den jungen Architekten
       Francesco Capolei.
       
       Dessen preiswerten Designideen waren gleich in mehrfacher Hinsicht
       radikal: So verwendeten er und sein Kompagnon Manlio Cavalli Gerüststangen,
       Eierkartons, Gummi und Plexiglas als Baustoffe, unterteilten den hohen Raum
       durch verschiebbare Podeste in verschiedene Ebenen.
       
       An die Wand waren simple Lichtprojektionen geworfen, durch die die Schatten
       der Tanzenden den Betrachtern eine andere Realität vorgaukelten. Auch die
       statische Raumordnung – Musiker auf der Bühne und Zuschauer davor – war
       somit verworfen. Die Diskothek war weder Tanzsaal noch Trattoria noch
       Theater. Capolai inszenierte als einer der Ersten Nachtleben als Happening
       und feierte das Flüchtige. Die Diskothek wurde zum sozialen Experiment in
       einem geschützten Raum, in dem BesucherInnen mehr gedanklichen Freiraum
       zugestanden bekamen, als nur zu konsumieren.
       
       ## Multimediale Ausrichtung
       
       Capoleis Entwürfe und die weiterer italienischer Club-Designer in Florenz,
       Turin und Rimini stehen zu Beginn der Ausstellung „Night Fever. Design und
       Clubkultur, 1960 bis heute“ im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Der
       Begriff Diskothek wurde zwar ursprünglich in Frankreich geprägt, aber das
       Italien der Sechziger war das erste Mekka jener neuartigen multimedialen
       Ausgehkultur, bei der zu Schallplatten getanzt wurde, eine Lightshow
       flimmerte, Bands spielten und Filme liefen. Die wildwüchsigen
       architektonischen Do-it-yourself-Provisorien waren eine Antithese zum
       kühlen und monotonen International Style.
       
       Was für eine famose Idee, in Fotografien und Worten, Filmen und
       Planstudien, Texten und Tönen jene Veranstaltungsorte zu dokumentieren. Das
       Nachtleben als Hort von Kultur beschäftigt uns zwar seit geraumer Zeit,
       aber durch die temporäre Existenz seiner Orte besteht immer Gefahr, dass
       die Umstände seiner Entstehung in Vergessenheit geraten.
       
       Nachtleben-Ambiente, das zeigt „Night Fever“ sehr anschaulich, ist eine
       Spielwiese für künstlerisch-gestalterische Experimente, diese schaffen Raum
       für Subversionen von gesellschaftlichen Normen und für exzentrische
       Gestaltungsideen. Waren Drogen vorher ein Tabu, die im Versteckten
       konsumiert wurden, zeigten sich ihrer Einflüsse in den frühen Diskotheken
       von New York und Montreal offen.
       
       ## Synthesizerexperimente und Op-Art Plakate
       
       Die bubble-artige Plastikeinrichtung des Clubs „Le Drug“ in Montreal und
       die synästhetischen Klang- und Lichterfahrungen des New Yorker Clubs „The
       Electric Circus“ (1967–71) seien hier genannt. Mit Flickerfilmprojektionen
       und Synthesizersound prägten im „Circus“ der Synthesizer-Pionier Don Buchla
       und der Komponist Morton Subotnik eine neue Rundumerfahrung, während Tomi
       Ungerer für den Club Op-Art-Werbeplakate gezeichnet hatte, auf denen
       Cartoon-Figuren aus einem Toaster als flache Brote herausfloppen. Ein
       nervöser Schriftzug wurde zum Markenzeichen des Clubs.
       
       Musik spielt bei „Night Fever“ eine Hauptrolle. In einer zentralen, von dem
       Münchner Designer Konstantin Grcic und dem Lichtbildner Matthias Singer
       gestalteten immersiven Installation innerhalb eines rechteckiges Bands aus
       Albumcovern, massieren Lichtblitze und fluoreszierende Neonröhren die
       Retina. Auf Kopfhörern, die von Stahlträgern auf einer erhöhten Tanzfläche
       baumeln, hören sich BesucherInnen durch [1][Dancefloor-Tracks], quer durch
       alle Genres bis zur Gegenwart. Tanzmusik mag heute als Kulturgut akzeptiert
       sein, viele Gebäude, in denen Clubs untergebracht waren, sind aber
       abgerissen, was die Mythenbildung nur verstärkt hat.
       
       Dass das New York der siebziger Jahre als Puls der Diskotheken-Welt gilt,
       liegt auch an der Aura seiner Clubs. Ausgefuchste Verstärkeranlagen,
       sexuelle Libertinage, Drogenexzesse und endlose Nächte, hier wurden
       (Alp-)Träume von NachtschwärmerInnen wahr und Weltkarrieren begründet. In
       einem großen Saal vereint „Night Fever“ zentrale Orte und Protagonisten
       jener Ära: Fotos, Filme, Garderobenstücke, sogar der Schaltplan der
       DJ-Anlage aus der [2][„Paradise Garage“] ist zu sehen.
       
       ## Elektronische Emotionen
       
       Dieser in einer Parkgarage befindliche Club war Wallfahrtsort der Schwulen
       und Musikliebenden. Im „Studio54“ tummelten sich die Stars und Prominenten,
       wie Grace Jones, Bianca Jagger und Andy Warhol, aber auch sie mussten an
       den gefürchteten Türsteher-Diktatoren vorbei. In der „Paradise Garage“, die
       Keith Haring und Jean-Michel Basquiat frequentierten, wurde dagegen das
       begründet, was heute als DJ-Kultur Weltgeltung hat: Larry Levan
       beschäftigte einen Toningenieur. Der kalibrierte Levans mit von einem
       Mischpult und zwei Plattenspielern erschaffene elektronische Emotionen.
       
       Der eingangs zitierte Satz „Love will save the day“ wiederum war Motto der
       Eröffnungsnacht des halbprivaten queeren Clubs „Loft“ in Chinatown. Sein
       Besitzer [3][David Mancuso] beschwor damit eine friedfertige
       LSD-Atmosphäre. Was für ein Unterschied zum aggressiven Branding heutiger
       Clubkultur, wo – wie beim Londoner Riesenclub „Ministry of Sound“ – auch
       ein Fitness-Salon zum Portfolio gehört: [4][Work your body]. „Night Fever“
       verschweigt Pleiten, Pech und Pannen nicht: irre Geschäftsideen und der nie
       realisierte Größenwahn des „Tresortower“ von Dimitri Hegemann, den er Mitte
       der Neunziger am Leipziger Platz in Berlin eröffnen wollte, sind zu
       bewundern. Einziges Manko der Ausstellung: das Nachtleben Münchens,
       Hochburg der westdeutschen Disco-Ära, wird nur mit dem eher unbedeutenden
       Club „Yellow Submarine“ im knallbunten Schwabylon-Hochhaus abgedeckt.
       
       Fokussiert wird auf den angloamerikanischen Raum. Auch wenn, wie vom Club
       [5][„Hacienda“] in Manchester, nur mehr Poller übrig sind und ein kleines
       quadratisches Stück des Tanzbodens, das an einer Wand lehnt. Fehlte nur
       noch, dass man in Flaschen abgefüllten Geruch im Museumsshop erwerben kann.
       
       ## Boomt auch in Beirut
       
       Clubkultur boomt heute nicht nur im Westen, wie Panoramafotos des Clubs
       „B018“ im ehemaligen Hafenviertel von Beirut zeigen. Während des
       libanesischen Bürgerkriegs waren dort Flüchtlinge untergebracht, heute
       sieht der in einem Parkplatz versenkte Club aus wie ein unterirdisches
       Waffensilo. Die Tische sind Särgen nachempfunden, Geschichte spricht.
       
       Im Zeichen erhöhter Mobilität der Gegenwart sind Stereo-Möbel und
       Verstärkerboxen selbst zu raumgestalterischen Elementen geworden: Wie
       Boxentürme von Soundsystems hat die Designagentur Bureau A einen
       brutalistischen Triumphbogen aus Bassboxen aufgetürmt. Das passt zur Mode
       der Pop-up-Clubs und Soundsystems, die wie Festivals umherziehen und eine
       ernstzunehmende Konkurrenz für eingeführte Veranstaltungsorte sind.
       
       Auch die Schattenseite zeigt „Night Fever“: einen Film des
       Internet-Unternehmens „Boiler-Room“. Seine erfolgreiche Geschäftsidee,
       Nachtleben zu filmen, inszeniert Clubkultur als Home-Entertainment: In
       statischen Kameraeinstellungen blicken die Viewer auf DJs und Tanzende, die
       wiederum ehrfürchtig auf DJs blicken.
       
       15 Apr 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=UeiH9Mm0E5Y
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=epsFK_sg1EI
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=GeLQ3ts8ceQ
 (DIR) [4] https://www.youtube.com/watch?v=wPlZ4wByPyQ
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=66gk1RJgcyw
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
       ## TAGS
       
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